Kapitel 103

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Dennis fühlte sich an seine Kindheit und Jugend erinnert, als er, auf der Rückbank sitzend, im Wagen seiner Eltern die Fähre verließ.

„So sind wir früher in den Urlaub gefahren! Janik und ich saßen hinten und haben manchmal Karten gespielt oder Musik gehört....“

Er lächelte ein wenig wehmütig bei der Erinnerung, während seine Mutter mit zittrigen Fingern versuchte, das Radio auszuschalten.

„Mach das doch mal aus, Robert...,“ bat sie ihren Mann leise, aber dieser reagierte nicht auf ihre Aufforderung.

Statt dessen konzentrierte er sich fast schon krampfhaft auf den vor ihm fahrenden Wagen.

Dennis beugte sich vor und schaltete das Radio aus. „Besser so? Und ich glaube nicht, dass ihr nervös sein müsst....“

„Hast du vorhin mit Anja telefoniert?“, erkundigte sich Miriam nun und wechselte damit das Thema. 

Dennis ging auf das Ausweichmanöver seiner Mutter ein. „Ja, natürlich. Sie wäre gerne mitgekommen, aber dann meinte sie, dass das eine Familienangelegenheit sei. Außerdem bekommt sie leider keinen Urlaub. Ihre beiden Kolleginnen sind weg, eine auf Teneriffa und die andere im Krankenhaus...“

„Die Arme! Hoffentlich nichts Schlimmes,“ nuschelte Miriam nervös, während Robert auf die Bremse trat, als der Wagen vor ihm zum Stehen kam.

„Jetzt reg dich nicht so auf! Ihr werdet Janik in Kürze wiedersehen. Er hat sich gemeldet und einen Tag später seid ihr schon da....und ich hoffe, dass ihr nicht enttäuscht werdet. Wenn er wirklich vier Jahre lang unter Selkies gelebt hat, dann....hat er sich wahrscheinlich sehr verändert!“

Auch Dennis stellte sich die Frage, wie sehr sich sein Bruder verändert haben musste. Es war so viel Zeit vergangen....

Dennoch hatte er sich im Nachhinein über Janiks Anruf gefreut, auch wenn er am Telefon etwas wortkarg geblieben war. 

Es war einfach zu überraschend gekommen, aber dann hatte er sich dennoch dazu durchgerungen, seinen Adoptivbruder um ein Treffen zu bitten und mittlerweile stellte er fest, dass er sich sogar darauf freute.

„Wirst du dich auch mit ihm treffen?“, erkundigte sich Dennis bei seinem Vater, der eine Antwort auf diese Frage bislang offen gelassen hatte.

„Ich wäre froh, wenn du mitkommen würdest,“ warf Miriam ein und sie griff kurz nach dem Arm ihres Mannes. „Bitte, komm mit. Er war....ist doch auch dein Sohn....“

„Ich weiß nicht. Er hat nun seinen wirklichen Vater gefunden. Das hat er Dennis am Telefon doch erzählt. Und....mit dem wird er mehr gemeinsam haben als mit mir!“, lehnte Robert die Bitte seiner Frau ab.

Dennis war enttäuscht über diese Reaktion seines Vaters. Lehnte er Janik tatsächlich dermaßen ab? Oder fürchtete er sich nach wie vor vor ihm?

„Er wird enttäuscht sein,“ vermutete Dennis, aber Robert hob abwehrend eine Hand. „Das glaube ich nicht. Er hat doch eine Familie. Und....wir sind immerhin im Streit auseinander gegangen. Das wird er wahrscheinlich nicht vergessen haben!“

Miriam drehte sich zu ihrem Sohn um und lächelte bedauernd. „Ich finde es auch sehr schade. Aber dann treffen wir uns eben allein mit Janik. Schade, dass es eine Krankenhauskantine sein muss....“

Dennis nickte, obwohl es ihm im Grunde gleichgültig war, wo er seinen Bruder traf. „Ja, wirklich schade. Und hoffentlich passen ihm die Sandalen, die du ihm besorgt hast. Aber er meinte, dass seine Füße seit damals nicht mehr gewachsen sind....“

„Vielleicht erkennt ihr ihn nicht einmal mehr,“ murmelte Robert leise, während er das Radio lauter drehte.

Liron versteckte seine nackten Füße unter dem Tisch und war froh, dass ihn bislang niemand aus der Krankenhauskantine hinaus geworfen hatte, obwohl er bereits seit einer Stunde dort saß und auf seine ehemalige Familie wartete.

SelkiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt