Kapitel 1 - Club der einsamen Herzen

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London, 03.12.2018,

Sophia

wie soll ich nur anfangen?

Eigentlich dachte ich immer, dass man sowas wie Tagebuch schreiben nicht verlernen kann. Im Grunde ist es ja auch ganz einfach. Man nimmt einen Stift, ein Buch mit leeren Seiten und schreibt alles auf, was einem gerade so im Kopf herumspukt.

Das Gute an Tagebüchern ist, dass alles erlaubt ist und man keinen großen Wert auf Grammatik oder sonstigen stilistischen Kram legen muss. Man kann zwischen den Themen hin und her springen, den roten Faden verlieren und mit Zeichnungen oder Collagen, dem Ganzen eine individuelle Note verleihen.

Es ist wie eine Art Therapie, nur ohne Couch und diplomierten Seelenklempner, der einem abgedrehte Zeichnungen unter die Nase hält. Alltägliches, Positives sowie auch Negatives, Höhe- oder auch Wendepunkte des Lebens – alles kann verarbeitet und wie in einem Buchstabenfoto festgehalten werden.

Klingt so simpel. Aber warum fällt es mir dann verdammt nochmal so schwer?!

Seit geschlagenen zehn Minuten sitze ich nun in diesem überfüllten Bus, eingequetscht zwischen einem schreienden Kind und einem etwas korpulenten Mann, der sich gerade seine zweite Salamistulle einverleibt, und starre auf eine leere Seite. Ich spüre den Stift, den ich ungeduldig zwischen meinen Fingern hin und her gleiten lasse. Ich bin leicht nervös, denn Schreiben fiel mir sonst immer sehr leicht.

Plötzlich trifft mich ein Stoß in die Magengegend, der mich zusammenzucken lässt.

Aua. Für was war das denn jetzt?!

Entsetzt schaue ich zu dem kleinen Mädchen neben mir, deren anfängliche Quengelei sich zu einem ernstzunehmenden cholerischen Krampfanfall entwickelt. Ihre Mutter schenkt mir einen verzweifelten Blick und ich presse die Lippen aufeinander. Ich habe Mitleid mit der jungen Frau und verzichte darauf, das Verhalten ihrer Tochter zu kommentieren. Sie ist bereits genug gestraft.

...

Ich gebe auf. Schreiben hat jetzt einfach keinen Sinn, denke ich mir und lasse das Buch geräuschvoll zuklappen. Schützend platziere ich es auf meinem Schoß und lege meine Hände darüber. Ich drücke mich in die Lehne des Sitzes und starte den Versuch, die lärmenden Geräusche um mich herum auszublenden. Leider nur mit minderem Erfolg.

Wieso muss auch ausgerechnet heute Morgen mein Auto streiken?! Mein erster Arbeitstag hätte nicht beschissener starten können.

Ich kann mich von manchen Dingen einfach nicht trennen. Angefangen bei dem alten zerbeulten Mini, den mir meine Oma zum 18. Geburtstag geschenkt hat. Ich liebe diese kleine Karre. Wie oft hat meine Mutter mir schon in den Ohren gelegen, dass ich mir ein neues Auto zulegen soll.

Aufgrund meiner etwas eingeschränkten finanziellen Situation, hatte sie mir sogar angeboten, dass ich ihren alten Van haben könnte. Nur für den Übergang. In meinen Augen, ein multifunktioneller Albtraum. Sie bewege ihn nur noch selten seitdem wir Kinder aus dem Haus sind und da dachte sie, dass es sich doch anbieten würde. So die Worte meiner überfürsorglichen Mutter. Aber finde mal mit so einer Familienkutsche einen Parkplatz.

Ich wohne in einem Einzimmerapartment in der Londoner Innenstadt und habe keine Lust stundenlang nach einem Parkplatz zu suchen, um dann innerhalb kürzester Zeit einen Blumenstrauß an Knöllchen überreicht zu bekommen. No way.

Dann bleibe ich lieber dabei und lebe mit dem Zustand, jeden Morgen ein Stoßgebet zum Himmel zu schicken, dass das englische Unikat zum Leben erwacht.

Mein Blick fällt zur Anzeige. Noch vier Stationen, dann habe ich es geschafft und bin endlich da. Hoffentlich komme ich hier lebend raus, bete ich und lasse meine Fingerspitzen langsam über den in die Jahre gekommenen Einband streichen. Nie hätte ich gedacht, dass ich dieses Buch jemals wieder in den Händen halten würde. Ich dachte ich hätte es, wie meine anderen Tagebücher, auf dem Dachboden meiner Eltern begraben, sodass ich nicht mehr auf die Idee komme, darin zu lesen. Da habe ich mich wohl getäuscht, denn als ich meinen Kleiderschrank gestern in einer spontanen Aktion ausgemistet habe, fiel es mir plötzlich vor die Füße. Irgendwo zwischen Skiklamotten und langärmligen Wollpullis.

The Wedding Diary (Niall Horan)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt