Kapitel 12

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Bellas POV

Ich verlor langsam meine Kraft. „Harry…“, flüsterte ich schon fast. Die Abstände, in denen ich gegen die Waggonwand klopfte, wurden immer länger. „Hört mich denn keiner?“, sagte ich leise. Ich gab es auf. Ein letztes Mal schlug ich gegen die Wand. Dann drehte ich mich mit dem Rücken zu ihr und lies mich an ihr hinuntergleiten. Ich saß mit dem Rücken zur Wand gelehnt und betrachtete das Feuer, das immer näher zu kommen schien. Ich begann leise das Lied zu singen, welches mir meine Mutter immer vorgesungen hatte, als ich noch ein kleines Mädchen war…

Auf dieser Wiese unter der Weide,

Ein Bett aus Gras, ein Kissen wie Seide

Dort schließe die Augen, den Kopf leg nieder,

Wenn du erwachst, scheint die Sonne wieder

Ich bemerkte gar nicht, dass ich zu weinen angefangen hatte. Bald würde ich wieder bei meiner Mutter sein, oben im Himmel… und auch meinen Vater würde ich wieder sehen. Wie sehr ich die beiden doch vermisst hatte…  Auf einmal war ich ganz entspannt. Ich hatte auch keine Angst mehr vor dem Feuer oder vor dem Tod… ich würde meine Eltern wieder bei mir haben, war das denn kein Grund zur Freude?

Hier ist es sicher, hier ist es warm…,

sang ich weiter. Ich musste husten und mein Gesang verstummte. Ich schloss die Augen und lauschte dem Knistern des Feuers. Ich spürte, wie mir eine Träne die Wange herunterlief. Ich machte mir nicht die Mühe, sie wegzuwischen. Das Knistern war beruhigend, sodass sich mein Körper nur noch mehr entspannte. Doch plötzlich schreckte ich auf, da es einen Schlag gab.

„Bella?! Bella bist du da drin?!“, schrie jemand von außerhalb während er wie verrückt gegen die Wand trommelte. „Hörst du mich?! BELLA!“ Dann erkannte ich die Stimme: Es war nicht irgendjemand, nein, es war Harry. Sofort öffnete ich die Augen. „Harry?“, rief ich, stand auf und presste mein Ohr gegen die Wand. „Ja! Komm aus dem Waggon! SOFORT!“, schrie Harry von der anderen Seite. Er war es wirklich. Harry… er war wirklich hier. „Oh mein Gott Harry!“, kreischte ich, „b-bitte du musst mir helfen! Ich komm hier nicht raus! I-ich bin h-hier eingeschlo…“, ich konnte meinen Satz nicht vollenden, da der Rauch in meinen Lungen heraus wollte. Ich hustete mir fast die Seele aus dem Leib. „Harry, bitte hilf mir! Es tut mir leid! Bitte, bitte Harry… ich brauche deine Hilfe... ich brauche dich!“, schrie ich und wurde zwischendurch immer wieder vom Husten unterbrochen. Ich fing auch wieder an gegen die Wand zu trommeln. Mein Überlebensinstinkt war geweckt. „Ich hol dich da raus! Du musst am Boden bleiben, damit du den Rauch nicht einatmest! Ich bin gleich bei dir!“, rief Harry.

Auf einmal bekam ich Panik. Ich wollte nicht, dass er mich verlässt, auch wenn er mich retten wollte. Die Chancen, das er dies schaffen würde waren eh eher gering und deswegen wollte ich einfach, dass er bei mir war, auch wenn ich ihn nicht sehen konnte.

„Nein!“, schrie ich und schlug mit der flachen Handfläche gegen die Waggonwand. „Harry, bitte bleib bei mir! Du kommst hier nicht rein! Harry? NEIN! Lass mich nicht alleine!“, ich schrie so laut ich konnte, aber es kam keine Antwort mehr von Harry. Er war fort. Er hatte mich alleine gelassen. Das alles erinnerte mich an meinen Traum. Dort war es genauso gewesen.

Ja, ich wollte seine Hilfe und ich brauchte sie auch, aber es hätte mir gereicht wenn er einfach da gewesen wäre. Einfach irgendetwas erzählt hätte, nur damit ich wusste, dass ich nicht allein war.

Ich lehnte meine Stirn gegen die Wand und schloss die Augen. Das war wohl das Letzte mal, dass ich Harry gehört hatte. Er würde hier nicht reinkommen. Er würde es nicht schaffen mich zu retten. Ich sackte wieder zu Boden. Diesmal legte ich mich flach hin. Ich faltete die Hände über meinem Bauch zusammen und summte die Melodie meines Kindheitsliedes. Meine Schluchzer unterbrachen das Lied immer wieder. Mir rannen die Tränen durch meine geschlossenen Augen über die Wangen. Sie bahnten sich ihren Weg über mein Gesicht und tropften letztendlich auf den Boden. Ich vernahm ein poltern auf der einen Seite des Waggons, doch es war mir egal. Immer wieder polterte es. Ich seufzte. „Mama, Papa… ich komme“, flüsterte ich…

I will always love only you || H.S *on hold*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt