Kapitel 3

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Als wir nebeneinander saßen und über die Autobahn fuhren, breitete sich eine seltsame Stille aus, in der jeder seinen eigenen Gedanken nachhing, bis Palle plötzlich murmelte: „Äh Manu, darf ich dich fragen wie das passiert ist? Also warum du diese Ängste hast." Kurz überlegte ich, doch schließlich kam ich zu dem Schluss, dass ich ihm die Erklärung schuldig war, also begann ich leise zu erzählen:

„Also ich hab mich mit 19 das erste Mal verliebt. In einen Mann. Ein halbes Jahr lang hab ich das mit mir rumgetragen aber irgendwann konnte ich es nicht mehr geheim halten und hab ihm von meinen Gefühlen erzählt. Er war nicht nur nicht schwul sondern extrem homophob. Ich habe damals eine gute Freundschaft zerstört... Naja, ich hatte mir vorgenommen, mich nie wieder zu verlieben, aber man kennt das ja, so richtig zu beeinflussen ist Liebe nicht. Ich hab mich wieder verliebt. In eine Person, die du sogar recht gut kennst – Taddl. Ja, Glpaddl war mal real. Naja, von meiner Seite her zumindest, Taddl ist eben hetero. Er hat es gewissermaßen selbst herausgefunden, indem er eins und eins zusammengezählt hat. Zugegeben ich hab mich in seiner Anwesenheit schon manchmal echt seltsam benommen... Naja, er hat mich jedenfalls damit konfrontiert und ich war zu überrascht, um es abzustreiten. Einen halben Monat später hat er seinen YouTube Account gelöscht und wir haben seitdem nicht ein einziges Mal miteinander geredet. Naja und ich hab vor ungefähr eineinhalb Jahren angefangen, nur noch selten raus zu gehen, ich hab meinen Kontakt zur Außenwelt minimiert und als das mit Taddl war – da hab ich sämtliche Verbindungen zu allem außerhalb meiner Wohnung komplett beendet. Ich bin nur noch raus um Müll weg zu bringen, ich hab mir sogar mein Essen immer liefern lassen. Und jetzt ist es wieder passiert. Ich hab mich wieder verliebt, aber ich wäre wahrscheinlich nicht mal fähig eine anständige Beziehung zu führen, du hast ja gesehen, wie ich auf Berührungen Reagiere. Ich hab einfach Angst, ständig alle zu enttäuschen."

Beschämt senkte ich den Kopf. Wenigstens machte es mir keine wirklichen Probleme, offen mit ihm zu reden, doch ich hatte Angst vor seiner Reaktion. Aber Palle sagte und tat nichts. Er fuhr schweigend weiter und es gab kein Zeichen dafür, dass er mir überhaupt zugehört hatte. Doch wenn man genau hinsah, konnte man ein kleines Stirnrunzeln erkennen. Er machte sich also zumindest irgendwelche Gedanken. Ich lehnte mich zurück und wusste nicht recht, was ich jetzt tun sollte, bis ich einfach beschloss, es Palle gleich zu tun und zu schweigen.

Ich musste wohl eingenickt sein, denn als ich die Augen wieder aufschlug, bog Palle gerade in eine Tiefgarage ein. Blinzelnd setzte ich mich auf und sah zu meinem besten Freund hinüber. Er schien nicht bemerkt zu haben, dass ich wach war, zumindest konzentrierte er sich aufs Fahren. Gleichzeitig schien er allerdings etwas zu überlegen, denn seine Stirn lag nach wie vor in Falten.

Plötzlich schüttelte er abrupt den Kopf und murmelte dann scheinbar zu sich selbst: „Wird er nicht. Warum auch." Dann schwieg er wieder und kurz darauf hatten wir eingeparkt und Palle schnipste vor meinem Gesicht mit den Fingern. Er wollte mich wohl 'wecken', also tat ich so, als sei ich gerade erst aufgewacht und stieg dann aus dem Auto.

Auf dem Weg durchs Treppenhaus bis zu Palles Wohnung packte mich wieder die Angst, es könnte uns jemand entgegenkommen, weswegen ich mir die Kapuze meiner Jacke über den Kopf bis ins Gesicht zog. Als wir endlich in Palles Wohnung standen, fiel die Anspannung von vorher von mir ab. Fragend sah Palle mich an: „Wollen wir was essen und dann noch nen Film schauen? Ist ja erst dreiviertel acht." „Ja, gerne", nahm ich seinen Vorschlag an und folgte ihm in die Küche.

Während wir uns Pizzen in den Ofen schoben und dann spontan entschieden, noch etwas Gemüse klein zu schnipseln und eine Art Beilagensalat zu machen, redeten wir wie immer miteinander und die peinliche Stille war verflogen. Ich wusste allerdings nie genau, wie nah ich ihm kommen konnte, ohne wieder innerlich auszurasten, weswegen ich erstmal darauf achtete, immer mindestens 30 cm Abstand zu Palle zu halten. Ihm schien es nicht aufzufallen, oder er störte sich nicht daran, denn er benahm sich normal und so liefen wir kurz darauf mit je zwei Tellern in Palles Wohnzimmer und setzten uns vor den Fernseher auf seine Couch.

Einige Zeit lang zappten wir wahllos durch die Kanäle, um nach einem brauchbaren Film zu suchen. Bald hatten wir einen gefunden, der gerade anzufangen schien und einen coolen Eindruck machte, weswegen Palle seine Fernbedienung weglegte und anfing, parallel zum Film die Pizza zu essen. Ich nahm auch einen Bissen und konzentrierte mich dann auf den Film. Er war ziemlich gut und spannend genug, um mich zumindest für den Moment davon abzulenken, dass Palle unmittelbar neben mir saß. Doch auch der Film hatte ein Ende, also saßen wir irgendwann wieder da und hatten nichts zu tun.

Nachdem wir uns einige Minuten angeschwiegen hatten, murmelte Palle plötzlich in die Stille: „Manu? Willst du nichts dagegen machen?" Traurig blickte ich ihn an und flüsterte mit erstickter Stimme: „Ja natürlich will ich. Aber ich kann nicht. Allein der Gedanke daran, mit jemand Fremdem zu reden macht mir solche Angst, dass ich es nicht einmal versuchen möchte. Manchmal, in einem Moment, in dem ich mich sicher fühle, überlege ich mir, mit jemandem zu sprechen, oder einfach mal raus zu gehen. Aber wenn die Konfrontation dann unmittelbar bevor steht, mache ich jedes Mal einen Rückzieher. Ich kann nicht mal mit Leuten reden, die ich kenne, wie soll das dann aussehen, wenn ich versuche, einen Psychiater zu besuchen oder so?"

Entmutigt ließ ich meinen Kopf sinken, doch Palle neben mir erwiderte: „So meinte ich das nicht einmal unbedingt. Also du kannst ja versuchen dich an Berührungen zu gewöhnen, eben so Stück für Stück. Also zum Beispiel könnten wir das üben." Überrascht sah ich ihn an und überlegte dann kurz. Eigentlich war es eine gute Idee und ich wollte ja selbst, dass diese ständigen Angstzustände aufhörten. Zwar hatte ich große Bedenken, ob ich mich nicht wieder so schrecklich und in die Ecke gedrängt fühlen würde, wie am Abend im Park. Doch ich hätte die Möglichkeit, diese Nähe wieder zu spüren. Also den Teil, der sich gut angefühlt hatte. Und vielleicht, würde dieses angenehme Gefühl endlich meine Angst besiegen.

Zögerlich nickte ich Palle zu und er rutschte etwas näher an mich heran. Dann nahm er vorsichtig meine Hand. Von den Stellen aus, an denen mich mein bester Freund berührte, ging ein Kribbeln wie ein Stromschlag durch meinen ganzen Körper. Immer wieder durchzuckten mich Blitze aus verschiedensten Emotionen. Überwältigt saß ich auf der Couch und starrte auf Palles und meine, mittlerweile ineinander verschränkten, Finger. Ein Gefühl der Zufriedenheit machte sich in mir Breit, als ich diese kleine Harmonie zwischen unseren Händen beobachtete, doch gleichzeitig stieg wieder ein Gefühl der Panik in mir hoch. Es war deutlich schwächer als ich es erwartet hatte, aber dennoch war es da und ließ mich immer flacher atmen, während sich meine Hand in Palles verkrampfte und ich langsam anfing zu zittern. Doch er ließ mich nicht los, obwohl er alles bemerkte.

Stattdessen sah mir der Kleinere in die Augen und sagte ganz ruhig: „Ok Manu, ich merke, dass du Angst hast. Aber vielleicht hilft es, wenn du mal kurz überlegst, wovor überhaupt. Ich meine, es sind nur unsere Hände, die sich berühren, nichts Schlimmes. Ich lasse dich sofort wieder los, wenn du das wirklich willst. Dir passiert hier nichts, du kannst dich nicht falsch verhalten, selbst wenn du dich losreißen würdest, wäre es einfach eine normale Reaktion. Du musst dir wirklich keine Sorgen darüber machen, ob du dich richtig verhältst, denk da bitte dran."

Ich versuchte es wirklich, ich schloss die Augen und sagte mir immer wieder, dass alles okay war. Und ganz, ganz langsam schien es tatsächlich besser zu werden. Die Berührung fühlte sich immer noch ungewohnt und neu an, aber nicht mehr so bedrohlich. Und ganz langsam schaffte ich es, mich wieder etwas zu beruhigen. Meine Hand entspannte sich wieder ein Bisschen und ich lockerte meinen Griff. Ich musste Palle fast den Arm zerquetscht haben, doch er zuckte nicht einmal mit der Wimper. Erleichtert sah ich ihn an und genoss es, seine Hand halten zu können, ohne Angst zu haben. Ich konnte einen Menschen berühren! Noch vor einer Woche wäre das hier mein absolutes Albtraum–Szenario gewesen, doch inzwischen fühlte ich mich sogar ganz gut dabei, Palle zu berühren.

Mein Bauch kribbelte immer stärker, beim Gedanken, ihm jetzt vielleicht öfter so nah sein zu können. Mein Herz hatte hier wohl gesiegt, denn inzwischen schlug es nicht mehr vor Angst so schnell. Ein breites Grinsen hatte sich auf mein Gesicht gelegt und ich spürte eine Last von mir abfallen. Im Nachhinein konnte ich nicht mehr sagen, wie lange wir so dagesessen und uns angesehen hatten, als Palle die Augen immer öfter zufielen und wir beschlossen, ins Bett zu gehen. Allerdings stellte ich schnell fest, dass ich kein T – Shirt zum Schlafen hatte, weswegen mir Palle eines von seinen lieh. Zufrieden kuschelte ich mich auf seiner Couch in eine Decke und ließ mich von seinem angenehmen Geruch, der vom Shirt ausging, einlullen. Innerhalb weniger Minuten war ich eingeschlafen.


Kürbistumor - Küss mich!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt