Kapitel 5

1.7K 98 18
                                    

Lange sah Palle mich nur an und irgendwann murmelte ich: „Wenn Kürbistumor real wäre... oh Mann, die Fangirls würden ausrasten!" Wieder standen wir nur da, bis Palle flüsterte: „Nicht nur die Fangirls..." Dann sah er betreten zu Boden und ich konnte einen leichten Rotschimmer auf seinen Wangen erkennen. War das ein Zeichen?

Mein Bauch kribbelte wie verrückt und alles in mir hoffte, es würde etwas bedeuten, doch ich war nicht gut darin, die Körpersprache anderer zu deuten, weswegen ich mich nicht traute, etwas in diese Richtung zu antworten. Stattdessen schlug ich irgendwann vor, wieder zurück zu gehen, da es langsam kalt wurde und wir beide schon leicht zitterten. Mit einem Nicken bejahte Palle und wir kletterten die Stufen wieder hinunter.

Auf dem Nachhauseweg hing jeder seinen eigenen Gedanken nach und wir sprachen nicht miteinander. Als wir endlich in der warmen Wohnung standen, ging Palle sofort in sein Zimmer und meinte nur knapp, er müsse noch eine Aufnahme schneiden, dann war er verschwunden. Ich sah ihm kurz ein Wenig enttäuscht hinterher, bevor ich beschloss, mir einen Tee zu kochen, da ich immer noch nicht wirklich aufgetaut war, also lief ich in die Küche, warf den Wasserkocher an und goss mir kurz darauf mein heißes Getränk ein, darauf bedacht, mich nicht am Wasser zu verbrennen. Dann setzte ich mich an Palles Küchentisch und öffnete Twitter.

Erschrocken stellte ich fest, dass mir hunderte Nachrichten geschickt worden waren, in denen meine Zuschauer fragten, wo ich war und warum gestern keine Videos hochgeladen worden waren. In der ganzen Aufregung hatte ich völlig vergessen, anzukündigen, dass ich gestern und heute nichts hochladen konnte, deswegen holte ich es schnell nach, indem ich folgenden Tweet verfasste:

>>Sorry Leute, aber meine Wohnung musste wegen der Bombenwarnung in Essen mit evakuiert werden, deswegen bin ich für ein paar Tage bei einem guten Freund und kann nichts hochladen. Hab in der Hektik vergessen, euch zu informieren. <<

Dann trank ich meinen Tee aus und dachte weiter über Palles Bemerkung auf dem Dom nach, als ich ein leises Poltern aus dessen Zimmer hörte. Erschrocken sprang ich auf und rannte zu Palles Zimmer. Dort klopfte ich an und stürmte dann, ohne eine Antwort abzuwarten in das Zimmer. Überrascht blieb ich stehen. Mein bester Freund saß auf seinem Bett, blickte mich erschrocken an und auf dem Boden lag sein Handy, das er augenscheinlich von sich geschleudert hatte.

Die Hülle war abgegangen, sonst schien damit aber alles in Ordnung zu sein, im Gegensatz zu Palle, dem es ziemlich schlecht zu gehen schien. Seine Augen waren rot geschwollen und schwammen in Tränen, er selbst saß inmitten von zerwühlten Decken auf der Matratze und wirkte unendlich verloren. Erschrocken lief ich auf ihn zu und setzte mich ihm gegenüber. Dann nahm ich seine Hände in meine und sah ihm in die Augen. „Palle, was ist?", fragte ich leise. Traurig schüttelte er nur den Kopf, doch ich verstärkte meinen Griff um seine Handgelenke und sah ihn so lange abwartend an, bin er schließlich anfing zu reden.

„Och Manu... Also gut. Aber hass mich nicht. Also du weißt ja, dass ich schwul bin. Naja, ich glaube ich hab mich verliebt." Lange schwieg er und schien einen inneren Kampf auszufechten. Und ich hoffte inständig, die beiden Worte zu hören, die er schließlich auch aussprach: „In dich!" Inzwischen schwammen auch meine Augen in Tränen, allerdings vor Rührung. Ich wusste, wie schwer es war, sich zu so einem Geständnis durchzuringen, allerdings hatte ich keine Ahnung, wie ich jetzt reagieren sollte.

Ich hatte Angst davor, ihm einfach die Wahrheit zu sagen. Was, wenn er mir dann zu nahe kam? Ich wusste nicht, ob ich es schaffen würde, ihn zu umarmen, geschweige denn zu küssen. Der Gedanke an eine so innige Berührung ließ mir unwillkürlich einen Schauer den Rücken hinunter laufen und ich murmelte leise: „Lass mich kurz darüber nachdenken ok?" Dann stand ich auf und verließ, ohne einen Blick auf Palle zu werfen, den Raum, konnte allerdings noch hören, wie dieser murmelte: „Wieso hab ich mir eigentlich Hoffnungen gemacht?", bevor die Türe ins Schloss fiel.

Dann schlurfte ich ins Wohnzimmer und ließ mich entmutigt auf die Couch fallen. Lautlos rollte die erste Träne über meine Wange, bahnte sich ihren Weg zu meinem Kinn und tropfte schließlich auf meinen Hoodie. Naja, eigentlich Palles Hoodie, an dem immer noch sein Geruch haftete.

Immer mehr Tränen fielen jetzt darauf, als ich mir bewusst machte, dass ich im Prinzip unfähig war, eine Beziehung zu führen. Ich konnte ja nicht einmal jemanden umarmen, wie sollte ich Palle bitte die Zuneigung, Liebe und Zärtlichkeit entgegenbringen, die er verdient hatte? Natürlich wollte ich ihn eigentlich gerne berühren und der Gedanke selbst, ihn zu küssen, war eigentlich eine schöne Vorstellung, doch trotzdem hielt mich irgendetwas davon ab, ihm einfach so nahe zu kommen. Ich war versucht, zu Palle zu laufen und ihn in den Arm zu nehmen, ihm zu sagen dass alles gut war, dass ich ihn liebte, ihn zu küssen, doch ich blieb wie gelähmt hier sitzen.

Je länger ich mich nicht bewegte, desto größer wurden mein Verlangen nach Palles Nähe, meine Schuldgefühle, weil ich ihm Sorgen bereitete und ihn verletzte und meine Angst, etwas falsch zu machen, ihn zu verärgern oder ihm sogar weh zu tun. Und allein der Gedanke daran, ich könnte noch einmal so etwas fühlen, wie während unserer ersten Umarmung, ließ mich in Panik verfallen.

Hektisch atmete ich immer schneller, vor meinem inneren Auge spielte sich die Szene immer wieder ab, ich spürte die Schmerzen ein weiteres Mal und durchlebte ein weiteres Mal extreme Angstzustände. Ich wollte um mich schlagen und mich wehren, doch ich wand mich nur unkontrolliert hin und her. Ich wollte schreien, um Hilfe rufen und den Schmerz heraus brüllen, doch ich brachte nur ein qualvolles Stöhnen zustande. Gefangen inmitten meiner angsterfüllenden Wahnvorstellungen merkte ich nicht, wie Palle ins Zimmer kam. Als er mich erblickte, wandelte sich sein Gesichtsausdruck von deprimiert zu erschrocken und sofort stürzte er zu mir, um mich an der Schulter zu rütteln.

Die Stelle, an der er mich berührte, kribbelte kurz auf und es fühlte sich an, als hätte ich einen kleinen Stromschlag bekommen, doch immerhin brachte mich dieses Gefühl wieder zur Besinnung und mit einem Ruck setzte ich mich auf und sah Palle ängstlich an. „Was ist los?", fragte dieser vorsichtig und ich murmelte: „Ich weiß nicht, irgendwie hab ich mir eingebildet dass ich wieder umarmt werde und es weh tut..."

Ich brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, dass er selbst es gewesen war, der mich umarmt hatte, doch er schien 1 und 1 zusammen zu zählen und es selbst zu verstehen. Entschuldigend senkte er den Blick und murmelte mit brüchiger Stimme: „Sorry. Ich wollte nicht, dass dir sowas wegen mir passiert. Ich hätte das nicht einfach sagen dürfen, ich hätte mitdenken sollen und wissen müssen, was passieren wird, ich meine, ich weiß doch wie es dir mit Kontakt zu fremden Menschen geht. Aber als du gesagt hast, dass du dich verliebt hast und vorher war es Taddl, dein bester Freund, da hab ich mir eben Hoffnungen gemacht. Aber es tut mir Leid, was ich gesagt habe, bitte vergiss es. Ich werde mich beherrschen, wir können einfach weiter machen wie vorher."

Obwohl er sich alle Mühe gab, nicht zu weinen, sah ich dem Kleineren deutlich an, wie sehr es ihn schmerzte, das sagen zu müssen. Sein angespannter Gesichtsausdruck verriet, dass er krampfhaft ein Schluchzen unterdrückte und er wirkte unruhig, als wollte er aufspringen und sofort wieder in sein Zimmer laufen. Ihn so zu sehen tat mir unfassbar weh. Ich wollte nicht, dass er wegen mir solche Schmerzen litt, ich wollte ihn trösten. Langsam und nur, nachdem ich mir selbst eine gefühlte Ewigkeit lang immer wieder eingeredet hatte, dass es richtig war, das zu tun, rückte ich ein kleines Stück zu Palle hin, doch dieser sah nicht einmal auf, weswegen ich vorsichtig meine Arme hob und sie um ihn legte.

In mir kochten die verschiedensten Gefühle hoch. Angst, Erleichterung, Enttäuschung, Glück, Leidenschaft, Liebe, Überraschung, Sorge und ein Funken Stolz, doch all das wurde noch übertroffen, als sich Palle verzweifelt aber doch auch erleichtert an mich lehnte und schließlich doch anfing, hemmungslos zu weinen. Die Glücksgefühle übertrumpften gerade meine Angst, doch ich machte mir weiterhin Sorgen um Palle. Ich wollte ihm wirklich zeigen, dass ich ihn liebte, aber es war mir jetzt eben noch zu früh. Ich brauchte etwas Zeit um nachzudenken, dann würde ich es ihm sagen. Das war nicht nur ein Entschluss, es war ein Versprechen, sowohl an mich, als auch an ihn.

-----------------------------------------------

Das grad war Numéro Uno, jetzt kommt Numéro Dos

Sorry

Bye!

Kürbistumor - Küss mich!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt