Kapitel 1

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„Hallo Mila, hier Rufus Lang. Ich mache es kurz: Uns sind einige Leute für das Spiel heute Abend ausgefallen. Können Sie kurzfristig einspringen? Sie bekommen auch einen Lohnzuschuss."

Lohnzuschuss? Meine tiefe Abneigung zu Beginn des Anrufes meines Chefs löst sich bei diesem Wort auf.
Ich verlasse nur ungern meinen Lieblingsplatz in meinem Sessel und unterbreche mein exzessives Seriensuchten, aber das zusätzliche Geld kann ich gut gebrauchen.
„Ja kein Problem. Wann und wohin soll ich kommen?"

Ich arbeite seit zwei Monaten als Servicekraft für eine Catering-Firma. Die Stelle hat mir mein Mitbewohner Johannes besorgt. Ich werde hauptsächlich in VIP-Bereichen eingesetzt. Mein Job besteht darin, mehr oder weniger nervige Gäste mit Snacks und reichlich Champagner zu versorgen. So auch heute. Nur, dass es sich heute nicht um eine trockene Politikveranstaltung oder Messe handelt, sondern um ein Fußballspiel. Schalke gegen Dortmund. Ausgerechnet das berühmt-berüchtigte Derby.
Der Vorteil ist, dass so ein Spiel zeitlich absehbar ist und auch der VIP-Bereich nach Abpfiff zeitnah schließt.
Der Nachteil hingegen besteht darin, dass ich schon in einer halben Stunde am Stadion sein muss und mindestens die Hälfte der Zeit für die Fahrt einplanen sollte. 

Ich reiße meinen Schrank auf und suche meine Firmenkleidung heraus. Die Hose ist in einem akzeptablen Zustand, aber meine Bluse sieht fürchterlich aus. Sie ist voller Falten und ungewaschen. So ein Mist! In meiner Not hole ich meine dicksten Unibücher aus dem Regal und lege sie auf die ausgebreitete Bluse. Mal sehen, ob das etwas bringt.

Ich stürze ins Bad, um mir noch ein bisschen Makeup ins Gesicht zu klatschen. Als ich das Fläschchen aus dem Regal nehmen möchte, rutscht es mir aus der Hand und zerspringt auf dem Boden. Das kann doch jetzt nicht wahr sein! Dann muss es eben ohne gehen. Die Leute werden sowieso mehr mit dem Spiel als mit mir beschäftigt sein.

Ich wische das Nötigste auf und schminke mir wenigstens meine Wimpern. Zurück in meinem Zimmer nehme ich die Bücher von der Bluse und betrachte sie. Es hat nicht wirklich viel gebracht, aber für mehr ist jetzt keine Zeit.

Nach einer verzweifelten Suche nach meinen Schuhen, die sich mal wieder meine Mitbewohnerin Cindy ausgeliehen hat, sitze ich nun endlich im Auto und kann mich auf den Weg nach Gelsenkirchen machen.
Es regnet in Strömen und ich bin gezwungen langsam zu fahren. Nach 20 Minuten rumpele ich auf den kaum befahrbaren Parkplatz. Es reiht sich Schlagloch an Schlagloch und mich wundert es, dass mein altes Auto das überlebt hat. Ich werfe einen Blick auf die Uhr in meinem Auto. In 5 Minuten erwartet mich mein Chef, nun aber los. Ich springe aus dem Auto und befinde mich bis zu meinem Knöchel in einer Pfütze. Man, kann dieser Tag noch schlimmer werden?

Ich renne in Windeseile Richtung Stadion und komme verschwitzt und durch den Regen durchnässt am VIP-Eingang an. Mein Chef steht bereits dort und gibt ein paar Mitarbeitern Anweisungen. Als ich vor ihm stehe, betrachtet er mich von oben bis unten, verkneift sich aber glücklicherweise einen Kommentar. Er leitet mich an eine Frau weiter, die mir erklärt, was genau ich an diesem Abend zu tun habe und wie der Zeitplan lautet.

Die nächsten Stunden verbringe ich mit dem Bewirten von mehr oder weniger freundlichen Gästen. Viele sind wohl angespannt  in Bezug auf das Spiel.  Ich bin kein großer Fußballfan, weiß jedoch trotzdem, dass das Ruhrpott-Derby eine der brisantesten Begegnungen in der Bundesliga ist.
15 Minuten vor Anpfiff  kommt mein Chef auf mich zu.
„Mila, gehen Sie bitte zum Einlass und lösen Marianne ab? Dann kann sie in die Pause gehen."

Marianne stellt sich als überdurchschnittlich große und breite Frau mit einer sehr lauten Stimme heraus. Sie brüllt mir zu, wen ich in den VIP-Bereich einlassen darf und wen nicht.

Während sich meine Ohren noch von ihrer Ansprache erholen, versucht sich ein Typ an mir vorbei zuschieben. Er trägt eine kaputte Jeans, die aus mehr Löchern als Stoff besteht, ein Tshirt, das ihm fast bis zu den Knien geht und welches ebenfalls Löcher hat und einen Hut. Einen Hut! Welcher Typ unter 50 trägt einen Hut, es sei denn er ist auf Mallorca oder beim Angeln.

"Entschuldigen Sie bitte!", rufe ich empört. "Darf ich bitte Ihren VIP Ausweis sehen?" Er bleibt stehen und schaut mich genervt an.
"Ist das Ihr Ernst? Sorry, aber für so einen Müll habe ich jetzt weder Zeit noch Nerven. "
"Wie bitte?", frage ich entsetzt.
"Ich werde mich wohl kaum hier ausweisen müssen und Ihre Möchtegern-Autorität geht mir am Arsch vorbei!"
In mir fängt es an zu kochen. Was bildet sich dieser Vollpfosten eigentlich ein?
" Was? Ich glaube ich habe mich verhört! Ich habe die Anweisung hier niemanden ohne Ausweis durchzulassen und sie sehen nach allem aus, aber nicht nach VIP Bereich, daher wird es mir doch erlaubt sein..."
"Leon! Schön dich zu sehen! Möchtest du etwas trinken?" Mein Chef steht auf einmal zwischen uns, legt dem Kerl eine Hand auf den Rücken und führt ihn zur Bar. Ich bleibe mit offenem Mund zurück.

Spielerfrau wider WillenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt