Kapitel 16

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Die nächsten beiden Tage verbringe ich bei meiner Familie. Es ist mindestens genauso anstrengend, wie sonst auch immer. Meine Mutter hat mir kurz nach meiner Ankunft am Sonntag mindestens einhundert Aufgaben gegeben. Da Ostern ist, hat sie wie jedes Jahr für den Nachmittag um die 30 Gäste eingeladen. Davor mussten wir das ganze Haus putzen und sämtliche Speisen vorbereiten, die für ein halbes Fußballstadion gereicht hätten. Mein Bruder hockte währenddessen in seinem Zimmer und spielte PlayStation. Als ich meine Mutter fragte, warum er nicht mithelfen kann, meinte sie, dass er lernt. Komisch, als ich noch zur Schule ging, hatte ich keine Klausuren, auf die man sich an der PlayStation vorbereiten kann. Vielleicht hatte ich die falschen Lehrer.

Der Nachmittag verlief ganz gut, bis auf die Tatsache, dass mich meine Mutter zum Bedienen der Gäste gezwungen hat. Ihre Begründung war, dass ich das ja schließlich als Nebenjob gemacht habe und daher nur ich dafür in Frage komme. Ich bin hingegen der Meinung, dass jeder dazu in der Lage sein sollte, Kaffee in Tassen zu gießen oder Kuchen auf Teller zu bugsieren, aber ich habe lieber meinen Mund gehalten.

Ich habe mich dann die meiste Zeit mit meinem Cousin Erik unterhalten, der mitunter der einzige normale Mensch in unserer Familie ist. Wir unterhielten uns hauptsächlich über unser jeweiliges Studium und unsere Nebenjobs. Erik interessierte sich besonders für meine Tage in der Schalke-Arena. Ich erzählte ihm auch von Leon, allerdings nicht, dass wir uns auch außerhalb des Stadions schon getroffen haben. Natürlich hat auch er wieder darüber gelacht. Unfassbar, dass ihn scheinbar jeder kennt.

Heute, am Ostermontag, kann ich endlich wieder ohne schlechtes Gewissen nach Hause fahren. Morgen ist schließlich wieder Uni. Ich packe meine Sachen in die Reisetasche und gehe aus dem Haus. Als ich gerade meinen Kofferraum öffnen möchte, kommt meine Mutter aus dem Haus.
„Du fährst schon? Ich hatte gedacht, dass du mir noch kurz im Garten helfen kannst.“, sagt sie. Ich rolle genervt mit den Augen und drehe mich danach zu ihr um.
„Leider nicht. Wenn ich noch später losfahre, lande ich bestimmt direkt im Stau.“, versuche ich mich schnell rauszureden.

„Ach jetzt wo du es ansprichst…“, beginnt sie zögernd. „Wir müssen noch etwas wegen deinem Auto besprechen.“ Der Ton klingt gar nicht gut. „Dein Bruder und ich haben gedacht, es wäre am einfachsten, wenn du heute direkt dein Auto hier lässt.“, fährt sie fort.
Mir klappt der Mund auf und ich schaue sie entsetzt an.
Sie spricht unbeirrt weiter: „Jonas hat ja bald die Abiturprüfungen und da braucht er einfach ein Auto. Jetzt wird er ja immer von seinem Kumpel Jeremy mitgenommen, aber die beiden haben zu unterschiedlichen Zeiten ihre Prüfungen und dann ist das einfach ungünstig. Dafür hast du doch sicher Verständnis.“
„Das kann doch nicht sein! Das ist mein Auto! Warum kann er nicht deins nehmen?“, frage ich aufgebracht.

„Ich muss mit meinem jeden Tag zur Arbeit fahren. Und wir können uns nicht noch ein Auto kaufen.“, erwidert meine Mutter.
„Aber Jonas hat doch noch nicht mal den Führerschein!!“, mittlerweile hat sich meine Stimme in ein Schreien verwandelt.
„Er ist bald fertig, aber man weiß ja nie, wann du das nächste Mal hier aufschlägst. Daher ist es sinnvoll, wenn du heute schon das Auto hier lässt. Und du brauchst gar nicht so zu Schreien. Er braucht es einfach dringender als du. Wir können uns keine drei Autos leisten, nur weil du dir zu fein zum Bahnfahren bist.“

Mittlerweile ist Jonas auf unseren Streit aufmerksam geworden und stellt sich zu uns.
„Geil, ich kriege wirklich das Auto! Ist jetzt nicht das krasseste, aber für den Anfang wird es wohl reichen.“, sagt er begeistert.
Ich schmeiße meine Reisetasche geräuschvoll auf den Boden. Ich bin so enttäuscht und wütend, dass sich in meinen Augen die Tränen sammeln. Das kann doch nicht wahr sein. Da ich auf keinen Fall, möchte, dass meine Mutter und mein Bruder mich jetzt heulen sehen, fange ich an meinen Krimskrams aus dem Auto zu räumen. Ich stopfe alles in den Beutel, den ich immer im Kofferraum habe.
„Ich fahre dich zum Bahnhof und spendiere dir gern heute die Fahrkarte nach Bochum.“, bietet meine Mutter an.
Ich schmeiße mit voller Wucht die Fahrertür zu und antworte: „Wow, wie großzügig von dir! Aber bevor ich mit dir jetzt irgendwo hinfahre, laufe ich lieber den ganzen Weg!“

Ich nehme meine Sachen und gehe. Meine Mutter ruft mir etwas hinterher. Ich verstehe aber nur unzusammenhängende Wörter wie „kindisch“ und „egoistisch“.
2 Häuser weiter steht ein älterer Dorfbewohner mit seinem Hund, der den Streit offenbar mit angesehen hat.

„Das ist doch halb so schlimm, Kindchen. Du wohnst doch in einer großen Stadt, da gibt es doch an jeder Ecke Verkehrsmittel. Als ich in deinem Alter war, hatte kaum eine Familie ein Auto und wir mussten kilometerweit zu Fuß gehen.“, schwafelt er.
Ich ignoriere ihn und laufe um die nächste Ecke. Dann nehme ich mein Handy aus der Tasche und rufe meinen Cousin an. Glücklicherweise ist er noch bei seinen Eltern zu Hause und fährt erst gleich los nach Köln, wo er studiert. Er versichert mir, dass er mich in 10 Minuten abholt und bis Köln mitnehmen kann.
Während ich warte, checke ich meine Whatsapp-Nachrichten. Es sind drei von Kati, eine von einer Freundin aus der Uni, die etwas wegen einer Gruppenarbeit fragt und eine von Leon. Es ist nicht schwer zu erraten, welche ich zuerst öffne.
Leon: Wie wars bei deiner Familie? Wurdest du auch so mit Essen zugeschüttet wie ich?

Ich antworte:
Es war grauenvoll! Ich bin froh, wenn ich wieder zu Hause bin. :(

Leon: Ach, das kann ich mir nicht vorstellen.

Ich: Dann komm nächstes Mal gerne mit. Dann siehst du es live.

Leon: Klar, mach ich.

Ich: Dein Ernst?

Leon: Versprochen! ;)



Spielerfrau wider WillenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt