Note.10

343 19 2
                                    

Nach dem Licht zu suchen,
ist eine Sache.
Aber nach einem Licht zu suchen,
das gar nicht existiert,
kann Menschen zerstören.

Im Grunde ist es nicht schwer, einer Umwelt, die dich gar nicht kennt, einzureden, mit dir sei alles in Ordnung, auch wenn das nicht der Wahrheit entspricht.

Schwer wird es nur dann, wenn du es eigentlich gar nicht möchtest, deine Umwelt auf alle deine Fehler achtet und du dir eigentlich keinen einzigen erlauben darfst.

Genervt klopfte ich mit dem Stift auf den Tisch.

Klapp, klapp, klapp. Klapp, klapp. Bumm.

Und wieder von vorne.

"Miss Carter!"

Ich hob erschrocken den Blick, welcher vorher nur auf den Block fixiert gewesen war.

"Ja?"

Meine Lehrerin hob leicht angesäuert die Augenbrauen. "Möchten Sie nicht vielleicht lieber die Aufgabe an der Tafel lösen, anstatt ihren Stift anzustarren?!"

Für einen Moment wurde mein Blick ganz unscharf und alles drehte sich, dann erhob ich mich auch schon.

Für einen kurzen Moment war es mir, als würde alles schwarz werden und ich gleich umkippen, dann machte ich ein paar Schritte und stand schon vor der Tafel.

Mit zitternden Finger griff ich nach der Kreide und warf dann einen Blick auf die Tafel.

Die Aufgabe war einfach, ja. Aber diese Kopfschmerzen würden mich noch umbringen.

Ich schluckte, dann machte ich einen wackeligen Schritt näher.

Nicht! Nicht umkippen! Keine Auffälligkeiten!

Niemals!

Hart biss ich mir auf die Lippen, dann stützte ich mich an der Tafel ab und schrieb konzentriert die Lösung.

Als ich fertig war, fiel mir die Kreide fast aus dem zitternden Fingern. Vorsichtig legte ich sie ab.

Kaum saß ich wieder auf meinem Platz, legte ich meine Unterarme auf den Tisch und dann meinen Kopf darauf.

Alles drehte sich.

Wahrscheinlich war meine Lehrerin wieder damit nicht einverstanden, aber ich konnte jetzt wirklich nicht mehr.

Gestern Nacht hatte ich auch nicht gut geschlafen, war dauernd hochgeschreckt und dann nur schwer wieder eingeschlafen.

Aber eigentlich war ich sowieso immer müde. Heute nur ein wenig mehr.

War ja auch kein Wunder.

Kyron, der neben mir saß, warf mir einen kurzen, besorgten Blick zu.

"Hey", flüsterte er, als Miss 'Alle-müssen-in-meinem-Unterricht-aufpassen' sich wieder umdrehte.

"Hey", erwiderte ich leise.

Es drehte sich immer noch alles.

Kyron griff mir mit der flachen Hand an die Stirn. "Bist du krank?", erkundigte er sich dann hörbar beunruhigt.

Ich schüttelte den Kopf. "Ich habe nur furchtbar geschlafen."

Nichts als eine Ausrede! Ich wusste selbst, dass das nicht der Grund war.

Daraufhin griff er nach meiner Hand und drückte sie kurz.

Ich lächelte leicht, dann schlossen sich meine Augen.

So drehte sich die Welt zumindest nicht so sehr.

Manchmal war mein Leben gar nicht so übel.

Klar, ich hätte jederzeit getauscht, aber ich würde diese Momente mit Kyron vermissen, wenn er sich wie ein ganz normaler Freund und nicht wie ein perfektionistischer Lehrer aufführte.

Der dumpfe Kopfschmerz verhinderte aber sofort, dass sich diese Gedanken länger in meinem Kopf aufhalten konnten.

Stattdessen breitete sich der drückende Schmerz immer weiter aus.

Ich verzog keine Miene.

Keine Schwäche.

Niemals.

Poisonous PerfectionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt