Kapitel 5

33 3 0
                                    



Liebe Mira,

ich träume jede Nacht von dir und ich würde es genießen, wäre da nicht dieser Tod in deinen Augen.

Heute habe ich den Tau beim tropfen zugesehen und hätte beinahe zum Weinen angefangen, weil es so alltäglich aussah. Natürlich hat es nicht geklappt.
Auf jeden Fall bin ich zur Schule gegangen und habe versucht nicht an dich zu denken, und dann war da eine aufdringliche Stimme, gefolgt von einem neugierigen Augenpaar das mich zum stehen brachte.
Finn's schwarzen Kopfhörer baumelten an seinem schweren schwarzen Mantel, als er mich zum stehen brachte, weil er einfach vor mir aufgetaucht war.
"Namenloses Mädchen", sagte er mit einem begrüßenden nicken und guckte mir unergründlich entgegen.
Ich wusste garnicht was ich machen soll, meine letzten Lebensjahre vor dem 19. Januar waren aus meinen Gedanken gelöscht, ich habe sogar kurz vergessen wer ich bin und wer hier vor mir steht, ich habe vergessen wie es sich anfühlt zu reden.
Denn ich kann keinen Ton mehr über die Lippen bringen, die Anstrengung wäre zu groß.
Es ist leichter nicht mehr weiter zu laufen.
Deswegen habe ich ihn einfach angestarrt ohne ein Wort zu sagen, denn ich habe gelernt, dass sie einen so am schnellsten in Ruhe lassen.
Schulterzuckend antwortete er.
"Lass stecken, das funktioniert bei mir nicht."
Mit wippenden Fußsohlen und nach hinten verschränkten Armen guckte er mich weiter an und als ich einen Schritt zur Seite auswich, tat er es ebenfalls und ließ mich nicht vorbei.

Er hätte dir echt gefallen.

"Weißt du, namenloses Mädchen, ich möchte dich kennenlernen und du machst es mir gehörig schwer."
Es klang nicht wie ein Vorwurf und dann bin ich wirklich an ihm vorbei gegangen, und als ich nach einigen Schritten dachte, ich hätte ihn los, da war er plötzlich neben mir und ging in meinem schnellen Gang entspannt mit.
Seine Beine sind lang und während ich schon fast im Schnellschritt ging, war er so entspannt beim gehen, als ob er alle Zeit der Welt hätte.
Doch wir wissen doch beide, dass es nicht so ist.

"Was ist deine Lieblingsfarbe?"
Das hat er wirklich gefragt und ich hätte mir keine bessere Frage vorstellen können, die mir mehr langweilige Gewöhnlichkeit gibt, als alle anderen Fragen die es auf der Welt gibt.
Und genau diese hat mich plötzlich so sehr ins kippen gebracht, dass ich den Schmerz so deutlich spüren konnte, wie in keinem anderen Moment in meinem Leben.
Ein körperlicher Schmerz, direkt an der Stelle wo sich mein Herz befindet und in der Kehle.

"Lass mich raten. Schwarz, Dunkelschwarz, Kohlrabenschwarz, Pastellschwarz oder Leichtschwarz?"
Ich habe mein Umfeld nur verschwommen gesehen als ich mich zur Seite wandte und in die entgegengesetzte Richtung der Schule los lief, merkte ich die Nässe in meinen Augen.
Ich habe sehr gehofft, dass er mich so nicht folgen würde und ich habe auch die ersten Tränen fließen fühlen und sogar den brennenden Schmerz in der Kehle gefühlt, den ich schon fast beim Weinen vergessen hätte.
Und als ich zwischen den Schmerzen meines Körpers ein lautes 'Bitte!' hinter mir hörte, habe ich mit der klarsten Stimme die ich hätte von mir geben können meinen Namen gebrüllt.
"Thea!".
Wie ein Geheimnis, dass ich brach, brachen meine Tränen umso mehr aus meinen Augen.
Er ist mir nicht gefolgt. Doch als ich schon um die Ecke war, habe ich meinen Namen immer wieder und wieder gesagt, immer lauter und leiser. Und dann irgendwann deinen, Mira.

An diesem Tag bin ich nicht mehr zur Schule zurückgekehrt, ich lief in den Örtlichen Friedhof, dort hin, wo du nicht liegst, aber doch so viel Leid wohnt, wie in dir und mir und wie in den Rest der gesamten Welt.
Ich habe mich in die hinterste Ecke gesetzt und mir den gesamten Nachmittag die Augen ausgeheult und geschrien, so laut ich kann, und das schönste war die Gewöhnlichkeit.

Die Gewöhnlichkeit eines weinenden Menschen in einem Hof voller vergessenen Menschen.

In Liebe, Thea.

We all bleed the same colorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt