Kapitel 11

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Liebe Mira,

ich habe nachgeschaut was ‚Nirvana' heißt.
Du hast ein Shirt von Nirvana.
Ich habe es heute angezogen und ich bin darin geschmolzen, weil es nach dir roch.
Nirvana ist ein altes Sanskrit Wort, dass verwehen bedeutet.
Viele Menschen verbinden das mit Freiheit.

Ich kann mir vorstellen, dass es viele Menschen gibt, die denken das Freiheit nur durch den Tod erzielt wird.

Wenn das so ist, dann gratuliere ich dir, dass du jetzt frei bist.

Wir übrigen sind noch hier und müssen versuchen mit dem klarzukommen, was gegangen ist.

In Liebe, Thea.

Liebe Mira,

das mit Finn und mir hat sich auf komischer Weise entwickelt.
Wir haben, ohne es zu wissen, einen Versprechen geschlossen.
Jeden Tag nach der Schule taucht er plötzlich neben mir auf und geht mit mir den ganzen Weg bis zu meinem zuhause.

Am Anfang fand ich es noch komisch.
Ich habe zwar nie etwas dazu gesagt, aber er ebenfalls nicht.

Denn dabei sagen wir meistens kein Wort zueinander und ich dachte, es wird irgendwann aufhören und er würde mich langweilig finden und mich nicht mehr begleiten.
Es geschah aber nie.

Die Mädchen in der Schule lassen mich weitgehend in Ruhe und obwohl die meisten Schüler einen großen Bogen um mich machen, bin ich erleichtert darüber, dass sie mir nichts mehr gemeines zuflüstern oder mir verächtliche Blicke zuwerfen.

Es ist ein schönes Gefühl langsam wieder unsichtbar zu werden.
-und Ivory? Es scheint als würde sie gerade jeden Menschen in ihrer Umgebung mit Zuckerwatte anlocken und wenn sie anbeißen, bleibt es dann so hartnäckig an ihnen kleben, bis derjenige seinen eigenen Willen an ihr abgegeben hat.

Ich meine, ihre schöne Nase wurde zwei Mal gebrochen.

Ich hätte bestimmt Mitleid mit ihr gehabt, wenn es mich interessieren würde.

In Liebe, Thea.






Liebe Mira,

heute, als ich nach der Schule mit Finn auf dem Weg zu der Wohnung war, war die Stille anders als sonst.
Bei mir war alles so wie immer, doch der Junge neben mir benahm sich komisch.
Er warf mir des öfteren einen Seitenblick zu und es schien, als wäre er in Gedanken versunken.

Sogar noch mehr als sonst.
Er denkt einfach viel zu viel.

„Was ist passiert?", fragte er gerade heraus. Der Wind wehte plötzlich heftiger und ich schwelgte einen kurzen Moment in die Erinnerung deines Gesichtes.

Ich wusste wie diese Frage gemeint war und auch das er sie mir irgendwann stellt.
Aber zu antworten hatte ich nie vor.
Also ging ich einfach weiter, ohne ihn zu beachten und ließ als kleine Antwort meine Augen kurz in seine wandern.
Dann guckte ich wieder weg.
Und er fuhr sich mit verkrampften Fingern durch sein Haar.

„Okay. Kann sein das du mit mir darüber niemals reden wirst, aber manche sagen, dass es hilft darüber zu sprechen", sagte er mit zuckenden Schultern.

In den Moment habe ich ihn nicht wirklich verstanden. Wie soll es helfen wenn ich von deinem toten Körper rede oder von den Abschied den es nie gegeben hat?
Es würde mich nur weiter zerstören.

„Du bist viel zu Optimistisch", antwortete ich und guckte weiter nach vorne.

„Ich bin kein Optimist. Nur ein Realist der zu viel lächelt."

Als ich wieder zu ihm blickte, sah ich, dass er sich mit beiden Händen sein Gesicht rieb und ich konnte seine rot verkrusteten Knöchel sehen.

„Und bei dir?"
Er ließ abrupt seine Hände sinken und sah mir einen Moment in die Augen.
Dann zuckte er mit den Schultern und sagte:
„Manchmal. Also manchmal spüre ich plötzlich ein Brennen im Hals. So eines, das man spürt wenn man einfach weinen und schreien möchte."

Dann lächelte er mich an und es schien mir wie das schönste Lächeln das ein Mensch tragen kann.

Dann sprach er weiter:
„Schmerz ist vermeidbar.
Ich suche mir größeren Schmerz. Einen, der mich nicht so trifft, wie mein Schmerz von innen."

Lächelnd fuhr er sich über seine zerstörten Hände.

„Irgendwie krank, findest du nicht?", sagte ich und guckte wieder nach vorne um ihn nicht unnatürlich lange anzuschauen.
Ich ließ meine Stirn runzeln, als er neben mir einfach anfing zu lachen.
Und dann musste ich ihn doch anschauen und ich sah sein helles Lächeln, als er sagte:

„Ach, Thea. Wir sind doch alle krank."

Stimmt das wirklich, Mira?

In Liebe, Thea.

We all bleed the same colorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt