Kapitel 15

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Liebe Mira,

ich frage mich in letzter Zeit oft, ob du in deinem so kurzem Leben jemanden geliebt hast.

Also so richtig. Mit ganzem Herzen.

Wenn ich so darüber nachdenke, dann glaube ich es nicht. Denn sonst würde man dich nicht so einfach mitnehmen können oder?
Das kann nicht möglich sein.

Denkst du, Liebe ist dazu in der Lage mich zu retten?

In Liebe, Thea.




Liebe Mira,

Herzschmerz. Leidenschaft. Explosion. Tod.
Manchmal wiederhole ich diese Worte wie ein Mantra in meinem Kopf. Es ist unlogisch und passt nicht zusammen, doch dass alles habe ich in kurzer Zeig gefühlt.

Fast gleichzeitig.

Nun ist da aber ein neues Gefühl, Mira.
Ich schäme mich für die Gedanken, die ich oft habe. Ich denke an Finn's Lippen.
An seine Hände, an Orten, an denen sie wahrscheinlich nicht sein sollten. Oder vielleicht doch?
Ich denke an seinen Blick, wenn ich etwas sage, das er nicht versteht und an sein breites Lächeln. Gerade dann, wenn die Dunkelheit mich einzuholen droht.

Warum denke ich in letzter Zeit so oft an ihn und nicht an dich?
Darf ich das überhaupt?

Dass alles war in meinem Kopf als ich heute auf dem Weg zur Schule war.
Doch dann sah ich ihn. Und alles war wie weggeblasen.

Ich kam mir vor wie ein irrer Stalker.
Wobei, irre bin ich sicherlich aber ein Stalker garantiert nicht.

Das dachte ich und ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ein lautes Lachen meine Kehle hinauf krabbelte.
Ich konnte mich gerade so halten.
Irre.

Voller plötzlicher Euphorie ging ich auf ihn zu und er bemerkte mich schon kurze Zeit später.

Die letzten Meter zu ihm sah er mich an, ohne sich zu regen. Fast, als hätte er auf etwas gewartet. Im Nachhinein denke ich, er hat wahrscheinlich auf eine Ohrfeige gewartet.
Bei dem Gedanken muss ich grinsen.

„Hey, Finn", sagte ich.
Ich weiß noch genau, wie gut er gerochen hat.
Rückblickend hätte ich wahrscheinlich etwas anderes sagen sollen. Sowas wie: das gestern hat mir auch gefallen.

Doch das einzige woran ich denken konnte war: Herzschmerz. Leidenschaft. Explosion. Tod.
Ich schaute auf meine Schuhe.

„Hör mal. Das gestern, das war- also ich wollte dich nicht erschrecken und eigentlich bin ich garnicht so, doch du.."
Als ich ihn an ansah, sah er ebenfalls nach unten. Plötzlich ganz verlegen.
Kurz musste ich an seine Schönheit denken und dieses riesige Lächeln, das er manchmal hat. Ich hab es mir gewünscht. Genau in diesem Moment.

„Ja?", sagte ich.
Dann sah er mir in die Augen und kurz war ich versucht mich irgendwo zu verstecken. Oder ihn zu küssen.

„Du faszinierst mich. Ich finde, du bist bist zum Anschlag aufgedreht. Ich sehe, dass du laut bist und unkontrollierbar. Und dann bist du so ruhig von außen hin. Das überrascht mich immer so sehr. Und es macht mich fast verrückt. All das macht mich ver-„

Er hörte auf, als ich lächelte.
Oh Gott.
Mein Bauch war kribbelig und ich fühlte mich mehr als bis zum Anschlag aufgedreht.

„Sag mal, ist das etwa ein Lächeln?", fragte er vollkommen überrascht.

„Ja. Sowas schönes und gleichzeitig schräges hat noch nie jemand zu mir gesagt", sagte ich.

Und dann war es ruhig. Er sah mich an, wie etwas, dass nicht existiert.
Um uns herum war es laut und aufgedreht, doch ein Nebel hat sich plötzlich gebildet.
Nebel der uns ausschließt, von der gesamten Außenwelt. Fast wie eine Decke.

„Du verzeihst mir?", frage er. Als würde er sicher gehen wollen.
Mein Lächeln wurde breiter. Es hatte bestimmt überdimensionale Maße angenommen.

„Ich war nie auch nur sauer."
Dann ging ich an ihn vorbei und er ging neben mir her, alles wie vorher.
Wir mussten uns im Unterricht trennen, und ich dachte mir: das ist gut. Er kann während dem Unterricht nachdenken, ob er so eine Irre wie mich wirklich mögen will.

Doch ich denke das ist keine Frage von wollen oder nicht wollen.

Später, nach dem Unterricht, begleitete er mich wie immer.
Erst war es still, auch wenn ich merkte, das er mich immer wieder von der Seite ansah. Machmal musste ich zurück schauen.

„Denkst du, sterben tut weh?"
Diese Frage war mir über die Lippen gerutscht und im Nachhinein ist mir erst aufgefallen, wie häufig ich mir die Frage insgeheim gestellt hatte.

Er musste nicht eine Sekunde nachdenken.
So als hätte er über diese Frage nächtelang nachgedacht.

„Nein ich denke nicht. Ich stelle es mir vor wie einschlafen. Vielleicht sogar leichter und schneller."

Ich muss dir sagen, Mira, ich habe es geglaubt.
Gleich als er es ausgesprochen hat.

„Mira ist schnell gestorben. Das ist das einzig gute an ihrem Tod."
Er blieb abrupt stehen, als er das hörte.

„Heilige Scheiße", hörte ich ihn flüstern. Als ich ihn ansah, sah ich sofort wie erstaunt er war. Er hatte so lange versucht, es herauszufinden.

Und jetzt kam es mir plötzlich so leicht über die Lippen. Dabei war meine Stimme sogar fest und sachlich. Und ich habe mich in diesem Moment unbesiegbar gefühlt. Voller Euphorie und voller.. voller Explosion.
Voller Mut sprach ich weiter:

„Sie war meine Schwester. Das Sprichwort ist blöd, doch sie war wirklich meine bessere Hälfte. Sie war die Sonne, sie war Licht. Ich stattdessen war das Gegenteil. Sie war bis zum Anschlag aufgedreht. Nicht ich. Sie war alles, was ich vor ihrem Tod nicht war.
Und dann ging das Licht aus.
Und es ging leise aus. Eine Gehirnblutung über Nacht. Ohne es zu merken, starb sie im Nebenzimmer."

Als ich endete, merkte ich die Worte erst wirklich.
Kurz kam mir die Erinnerung wieder.
Damals sahst du aus, als würdest du schlafen. Ich hatte mich oft gefragt, ob es weh getan hat. Sage mir, hast du gespürt, dass du stirbst oder hast du etwas geträumt?

Er sah mich an. Wieder einmal.
Nur lange diesmal.
Und ich sah zurück und dachte an die vielen Dinge und Fragen die mich Tag und Nacht quälten. An all die Frage, die mir nur eine Schwester hätten beantworten können.

Dann kam er zu mir, ganz nah sogar und mir kam es falsch vor, dass mein Herz anfing wie verrückt zu klopfen.
Obwohl ich gerade über deinen Tod gesprochen habe.

„Sie ist eingeschlafen. Und erwacht ist sie nicht mehr in dieser Welt", sagte er leise.
Sein Lächeln war dunkel geworden und sein Gesicht hat sich verschlossen. Wie auf Knopfdruck.
Und mir fiel auf, das es stimmt.

Auch wenn andere Menschen nie diesen Schmerz fühlen oder nachvollziehen können, den ich habe, so fühlt es sich gut an diesen zu teilen.
Denn das sah ich in diesem Moment in seinen Augen.

Schmerz. Fast genauso wie meiner.

Ich habe nie so gedacht. Und das zu hören hat mich plötzlich so erleichtert. Alle Probleme und Gedanken drumherum, waren für einen Moment nicht mehr da. Nur dieser eine Gedanke.

Du bist in einer schöneren Welt aufgewacht.
In einem schöneren Ort als diesen hier.
Vielleicht wurdest du genau deshalb geholt und mir weggenommen.

Und ich bin sauer auf dich gewesen.
So egoistisch war ich.

Tränen liefen meine Wangen hinab und anstatt sie mir wegzuwischen, nahm er mich in den Arm. Fest. Und ließ meine Tränen laufen lernen.

Er umarmte mich so lange bis keine stummen Tränen mehr kamen. So lange, bis ich das Gefühl hatte abzuheben.

Mit ihm in meinen Armen.

In Liebe, Thea.

We all bleed the same colorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt