Zielgerade

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„Wir brauchen mehr Zeit", sagte Valkyrie.

China Sorrows seufzte. „Ich habe dir bereits mehr Zeit gegeben."

„Aber damals hatten wir keine einzige Spur. Jetzt wissen wir, dass er früher oder später wieder auftauchen wird."

„Das gibt mir keine Garantie, dass du ihn auch wieder zurückbringst, Valkyrie."

„Dann gebe ich dir jetzt eine."

„Das kannst du nicht."

„Und was ist der Plan, China? Was willst du dann tun, hm? Ihn einsperren? Wie willst du das machen? Und wie willst du den anderen erklären, warum einer deiner wertvollsten Sanktuariumsmitarbeiter im Gefängnis sitzt?", fragte sie aufgebracht und Diamond musste etwas zusammen zucken über ihren Ton, den sie mit der wunderschönen Obermagierin nahm.

„Das lass mal meine Sorge sein", erwiderte Sorrows unbeeindruckt.

„Miss Sorrows", versuchte es Diamond mit ihrer pragmatischen, freundlichen Stimme. „Selbst wenn sie es schaffen Mr. Pleasant einzusperren, wird das nicht das Problem lösen. Sollte es uns gelingen ihn an die Oberfläche zu bringen, können wir alle gemeinsam eine langfristige Lösung zu suchen. Nur die Symptome zu behandeln wird nicht die Krankheit heilen, wenn sie verstehen was ich sagen will."

China musterte sie für einen Moment, dann seufzte sie und sah Valkyrie an. „Du kannst es schaffen ihn zu erreichen?"

Valkyrie nickte.

„Gut. Ich hebe den Zeitraum auf. Sollte aber noch ein einziges Opfer auftauchen, dann finde ich selbst einen Weg ihn unter Kontrolle zu kriegen."

Damit waren sie entlassen. Diamond und Valkyrie verließen das Büro und trafen draußen Nuce, den sie lieber vor der Tür zurückgelassen hatten.

„Und jetzt?", wollte Valkyrie wissen.

„Du hast es selbst gesagt. Wir warten bis er erneut aufkreuzt. Diesmal sind wir vorbereitet und müssen nicht auch noch deine Familie schützen."

„Und wenn er sie angreift und nicht mich?"

„Ich habe ein Savehouse gemietet. Sie sind gerade am Rande der Stadt während ein Freund von uns das Haus wieder herrichtet."

Valkyrie sah sie überrascht an. „Sie sind in einem Savehouse? Warum hab ich davon nichts mitbekommen?"

„Wir dachten es wäre besser du wüsstest davon nichts", sagte Nuce. „Das verringert die Gefahr dass er herausfindet wo sie sich aufhalten."

Valkyrie nickte. Dann starrte sie für eine Weile gedankenverloren den Boden an.

„Schuld...", murmelte sie irgendwann. „Er weiß jetzt dass ihr in meiner Nähe seid und dass mir das die Chance gibt zu Skul durchzudringen. Er wird mich nicht mehr angreifen."

Nuce hob die Augenbrauen „Das heißt er wird weiter Sterbliche töten? Wie willst du das verhindern? Jeden Sterblichen in der Gegend beobachten?"

„Oder er sucht sich ein neues Ziel. Jemand der nicht so einen großen Einfluss auf ihn hat", sagte Valkyrie.

„China?", schlug Diamond vor.

Val schüttelte den Kopf. „Zu geschützt. Zu nah."

„Die Londonerin? Tanith?"

Sie sahen einander an. „Gut möglich."

„Oder vielleicht jemand der im Grunde schon tot sein müsste", sagte Nuce und sah Diamond an.

„Dexter", sagten sie und Valkyrie gleichzeitig.



Der Flug zurück nach England war die reinste Hölle. Diamond hatte Dexter auf dem Weg zum Flughafen in Dauerschleife angerufen. Keine Antwort. Manchmal war sein Handy aus oder der Empfang weg, das war nichts abnormales für einen Abenteurer. Aber wenn sein Handy an war, dann war er erreichbar.

Ihr Herz schlug ihr in die Kehle. Kämpfte er gerade in diesem Moment um sein Leben? War er schon tot?

Sie fühlte seine Hand in ihrem Nacken und Nuce zog sie an sich heran und wickelte seine Arme um sie. Sie schloss ihre Augen und versuchte zu atmen.



Nuce klatschte in die Hände. Die Tür krachte und flog aus ihren Angeln.

Diamond hörte ein leises Fiepen das sich seinen Weg aus ihrem Rachen bahnte. Sie sprintete in die Wohnung und fiel auf ihre Knie neben Dexter, der ausgestreckt auf dem Boden lag.

Er war voller Blessuren und kleiner Wunden und an seinem Hals waren Würgemale, die sich vor allem um seine Narbe herum blau färbten.

Sie hielt eine Hand vor seinen Mund und Nase. Er atmete noch.

„Dex?" Sie wollte lauter sprechen, doch es kam nur ein Flüstern hervor.

„Dexter", wiederholte sie, diesmal kräftiger. Sie schob ihre Hände in seine Haare. „Dex. Bitte wach auf."

Er regte sich tatsächlich. Seine Augen öffneten sich leicht und brauchten einen Moment um ihre zu finden. Er rang nach Luft, es klang qualvoll. Der Schmerz war in sein Gesicht gemalt.

„Er ist weg", sagte Nuce leise hinter ihr.

Dexters Augen bewegten sich von Diamond zu Nuce und Valkyrie hinter ihr. „Dye...", krächzte er und verzog das Gesicht.

„Nicht reden", sagte sie sanft und streichelte sein Haar. „Alles wird gut."

Er versuchte seinen Kopf zu schütteln, doch gab auf und stöhnte leise.

„Dexter, hör auf, du tust dir nur mehr...", setzte Diamond an, doch da war etwas in seinem Blick dass sie verstummen ließ. Etwas dass sie nur in seinen schlimmsten Momenten je gesehen hatte. Verzweiflung.

Seine Augen huschten weiter hin und her zwischen ihr und etwas hinter ihr und sie verstand plötzlich dass er nicht Nuce oder Valkyrie ansah. Sie hatte noch gerade genug Zeit sich und Dexter in Kristall zu verwandeln, da prallte geballte Dunkelheit auf ihren Rücken.

Diamond verwandelte sich zurück und sah auf Dexter hinab, der wieder das Bewusstsein verloren hatte. Sie sprang auf und wirbelte herum, sah dass Nuce am Boden war, eine Platzwunde über der Augenbraue aus der Blut suppte. Er hatte sich wohl gerade noch umgedreht.

Valkyrie hing in der Luft, ihre Beine zuckten, während Schatten sie an den Armen hochhielten wie an einem unsichtbaren Kreuz.

„Sku...", begann sie, doch Vile verpasste ihre eine Ohrfeige mit einem Strang aus Schwärze, um sie zum schweigen zu bringen.

Diamond sah wie sich die Dunkelheit verschärfte und Valkyrie schrie auf, als sie ihr in die Handgelenke schlitzte. Sie entdeckte ein paar messerförmige Schatten um Viles umhang herum und sprintete los. Dye packte Valkyries Fuß und verwandelte sie, bevor die Klingen sie aufschlitzen konnten.

Sie ließ alles fleischlich werden außer ihren Fuß, dann trat sie Vile wortwörtlich vors Schienbein.

Valkyrie nutzte die kurze Ablenkung und ließ Blitze in ihn fahren, sodass er von ihr abließ. Doch er bekam keine Pause, denn Nuce war wieder auf den Beinen und ließ den Schwarzmagier in die Wand hinter ihm krachen.

Vile war sofort wieder auf den Beinen und schickte Schatten in alle Richtungen doch wurde gekontert.

Diamond nutzte den Moment um sich Klarheit über die Situation zu verschaffen. Valkyrie musste die Möglichkeit haben an ihn heran zu kommen und mit ihm zu sprechen. Nuce musste also als Ablenkung dienen. Ihre Brust zog sich zusammen.

Sie schloss die Augen und fällte eine Entscheidung. Sie stellte sich vor Valkyrie, die gerade von Schatten attackiert wurde. Sie verwandelte nur die Körperteile in Diamant die attackiert wurden, dadurch blieb sie bei Atem. Vile konzentrierte sich einen Moment zu lang darauf, die Angriffe schneller und präziser zu gestalten, sodass Nuce eine Explosion auslösen konnte, die ihn aus der Balance brachte.
Der Nekromant schien zu entscheiden, dass es einfacher war Nuce zuerst außer Gefecht zu setzen.

Nuce sah zu seiner Partnerin herüber und schien zu verstehen was der Plan war. Dann begann der Kampf seines Lebens.

Es war sofort klar dass er und Vile nicht gleichauf waren. Er warf mit Explosionen um sich, benutzte die komplizierten Wände aus Energie aufzubauen, die die Schatten abwehrten, doch immer wieder schrie er auf und wurde nach hinten gedrängt. Währenddessen warf Vile Attacken nach hinten gegen Valkyrie und Diamond, als wäre es eine nette Nebenbeschäftigung.

Doch auch Valkyrie hatte kapiert was zu tun war und wandte keine Blitze an. Langsam bewegte sich Diamond nach vorne, Val hinter ihr.

Ihr Magen sank nach unten als Nuce schrie wie sie es noch nie zuvor gehört hatte und seine Beine sackten unter ihm hinweg. Keine Sekunde zu früh.

Vile wirbelte herum um sich seinem nächsten Gegner anzunehmen, doch nun war Diamond nicht mehr hinter ihm, es war Valkyrie. Sie stand nun direkt vor ihm und nahm seinen Kopf in beide Hände. Jedoch nicht grob. Sie legte ihre Hände auf den Punkt wo sich unter der Rüstung Wangenknochen befinden müssten.

Vile wich zurück als hätte sie ihn geschlagen, doch sie ging den Schritt mit und hielt ihn fest.

„Skul", sagte sie und Diamond zuckte fast zusammen von der ungewohnten Sanftheit in Valkyries Stimme.

„Jetzt. Tu es jetzt. Bitte."

Vile wich erneut zurück, doch Val hielt mit. Er versuchte ihre Hände abzuschütteln als wären sie aus Feuer.

Und dann spielte sich das ungewöhnlichste Ereignis ab das Diamond je erlebt hatte. Die Rüstung schien sich zu lichten, dann verdichtete sie sich wieder. Das geschah einige Male, bevor die Schatten zitterten und sich sehr langsam in sich selbst hineinzogen. Es sah aus wie ein Kraftakt. Als würde jemand einen rostigen Hebel drehen der Wasser in einen Behälter zurück zog.

Valkyrie rührte sich nicht. Sie starrte nur in die leeren Löcher die seine Augen repräsentierten.

Sein gesamter Körper begann nun zu beben und als man Skulduggery ansatzweise durch die Schatten erkennen konnte, sackte er auf seine Knie. Valkyie fing den Fall ab und legte seinen Kopf an ihrer Schulter ab. Sie murmelte etwas dass sich wie „Ich hab dich" anhörte.

Dann schien die Dunkelheit in seinen Augenhöhlen zu verschwinden und Skulduggerys weißer Schädel war nun klar zu erkennen. Er stöhnte und fiel zur Seite und Val führte seinen Kopf damit er nicht auf den Boden aufschlug.

Eine Woge von Schatten schien sich seinen Weg zurück aus seinem Schädel zu bahnen und Skulduggery keuchte schmerzvoll.

„Nicht aufgeben", sagte Valkyrie. „Fast geschafft." Sie ließ ihre Hand auf dem Knochen ruhen der seine Stirn gewesen wäre.

Er stöhnte erneut und die Dunkelheit verschwand nun vollkommen. Diamond hörte etwas dass sie als ein erleichtertes Ausatmen identifizierte, dann entspannten sich die Knochen und er regte sich nicht mehr.

„Skul?", fragte Valkyrie leise. Sie betrachtete ihn für einen Moment und schien dann irgendwie festzustellen, dass er nur das Bewusstsein verloren hatte. Sie seufzte und legte eine Hand auf seine Schulter.

Für einen Moment verharrte Diamond, die plötzliche Stille drückte sich auf ihre Ohren. Ihr Körper vibrierte vom Adrenalin das ihren Körper verließ. Dann zuckte sie zusammen und rannte zu ihrem Partner herüber, der mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden lag.

Sie drehte ihn herum und versuchte nicht aufzuheulen als sie das Blut überall in seinem Gesicht sah. Sie gab sich Mühe neutral seine Wunden zu betrachten und befand dass es schlimmer aussah als es war.

Dye stand auf und ging zu Dexter herüber. Er hatte die Augen leicht offen. Sie strich ihm über die Wange.

„Was ist los?", krächzte er.

„Nichts", lächelte sie. „Er ist weg."

„Sind alle okay?", wollte er wissen.

Sie schmunzelte. „Ja, alles wird gut. Ich nehme dein Auto, ja?"

Er schloss einmal die Augen zur Zustimmung. Sie zog den Schlüsselbund aus seiner Hosentasche, schob ihre Arme unter ihn, verwandelte sie und hob ihn mit Leichtigkeit hoch, um ihn aus der Wohnung zu seinem Wagen zu tragen. Sie hörte Valkyrie nach ihr rufen, doch sie ignorierte sie.

Als sie Dexter hinein gebückst hatte war er wieder ohnmächtig und sie joggte die Treppe hinauf um Nuce abzuholen. Als letztes nahm sie Skulduggery unter den Armen und Valkyrie nahm seine Beine.

„Diam...", begann sie.

„Nein", antwortete sie. Sie wusste dass sie normalerweise nicht sauer auf einen der beiden wäre. Doch ihre Freunde waren verletzt worden und sie wollte lieber nichts sagen, bevor sie etwas unfaires sagte.

Auf dem Weg zum Sanktuarium war es komplett still im Auto. Diamond stieg aus und trug Dexter in den Krankenflügel, wo man ihr vergewisserte, dass er nächsten Tag noch entlassen werden würde.

Dann brachte sie den Rest der Gruppe in ihr Haus. Skulduggery und Valkyrie verfrachtete sie aufs Sofa da sie keine Lust hatte das Skelett die Treppe hoch zu tragen. Dann verfrachtete sie ihren Freund in sein Bett und machte sich auf um Medizin zu holen.

Back in Black (deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt