„Brauchen Sie noch etwas?", fragte Diamond. „Einen Tee? Eine zweite Decke?"
„Nein", sagte Scratch und schenkte ihr einen genervten Blick.
Sie bemühte sich um ein Lächeln. „Dann wünsche ich eine gute Nacht."
Bevor er einen abfälligen Kommentar machen konnte, schloss sie die Tür und joggte die Treppe herunter, in die Küche, in der Nuce mit Bier wartete.
„Gott, ist das ein Kotzbrocken", spuckte sie und ließ sich genervt an den Küchentresen sinken, um einen tiefen Schluck Weizen zu nehmen. „Ich bin froh wenn wir in loswerden."
Nuce lachte. „So viel zu ‚egal ob gut oder böse'"
„Das heißt nicht, dass ich ihn nett finden muss", merkte sie an.
„Das ist wohl wahr. Prost auf freundliche Menschen". Er hob sein Glas und sie stießen an.
„Das wahre Problem ist doch, dass sein Fall unbegrenzt ist. Was ist, wenn wir ihn nicht wieder loswerden?", munkelte er, nachdem er etwas getrunken hatte.
„Sie gehen alle irgendwann, das weißt du doch. Spätestens wenn das Geld ausgeht."
Nuce seufzte. „Hoffen wir's."
Ihre Hoffnungen sollten sich erfüllen, als sie nächsten Abend durch eine Gasse der Brighton Innenstadt gingen. Es war schon dunkel und die Gasse war leer und eng, perfekt wenn man einen verfolgten Mann von Ort zu Ort schleusen wollte.
Diamond hatte Muskelkater im Gesicht von all dem falschen Lächeln das sie den Tag hatte aufrecht halten müssen. Jedes Wort dieses Typen war entweder abfällig, genervt oder gar bösartig und mittlerweile waren seine Verfolger nicht die einzigen, die ihn weghaben wollten. Er war eine Qual und so kratzbürstig wie sein Name es vermuten ließ. Sie kannte seine Fähigkeiten nicht, aber sollte er lange Krallen bekommen, würde sie das nicht im Geringsten überraschen.
„Wie lange dauert das denn noch?", moserte er und sie dachte kurz an ein kleines, verwöhntes Kind im Auto. „Meine Füße tun weh."
Sie sah zu Nuce herüber und stellte fest, dass er wohl etwas Ähnliches dachte.
„Es ist nicht mehr weit, Mr. Scratch", sagte sie in einer möglichst freundlichen Stimme. „Wir müssen nur leider einen Umweg gehen, das ist am sichersten."
„Ja, das sagtest du bereits."
Sie verkniff sich ein Seufzen.
Sie traten aus der Gasse heraus, in einen etwas mehr beleuchteten Weg, den sie kreuzen mussten, um zur nächsten Seitenstraße zu kommen. Diamond nahm eine Bewegung wahr, doch als sie in die Richtung sah, wehte nur gerade der Wind ein Stück Papier über den Weg. Sie erreichten die nächste Gasse und gerade als sie in die Dunkelheit verschwinden wollten, ließ sie eine laute Stimme zusammenfahren.
„Stehen bleiben!", rief jemand. Aus Reflex griff sie nach Scratches Arm, doch sie war zu langsam, denn der sprintete los.
„Scratch!", rief sie und stieß einen wütenden Laut aus, da er sich nicht an die Abmachungen aus dem Vertrag hielt, und rannte ihm nach. Hinter sich hörte sie Nuce laufen, sie verfolgte ihren Klienten zur nächsten kreuzenden Straße, dann verhallten seine Schritte. Sie entschied sich sich an Scratch zu pinnen.
Dieser war für seine mangelnde Ausdauer erstaunlich schnell und sie musste einen Takt zulegen, um mithalten zu können.
Hinter sich hörte sie das Geräusch einer kleinen Explosion und ihr Herz sprang im Dreieck. Nun hörte sie wieder das Klacken von Schritten, doch es waren nicht Nuces Schuhe. Auf der nächsten Querstraße würde ihr Verfolger sie eingeholt haben und sie war noch Meter hinter Scratch.
Sie biss die Zähne zusammen und gab noch mehr Gas, dann sah sie wie ihr Klient auf die Straße rannte. Pistolenschüsse ertönten. Die letzten Meter flog sie praktisch, erreichte Scratch, welcher vor Schreck stehengeblieben war. Sie breitete die Arme aus und verwandelte sich.
Kugeln prallten gegen ihre Brust und ihr Gesicht, dann stoppte die Waffe. Diamond löste ihre Verwandlung und rang nach Luft. Schützend legte sie ihre Arme um ihren Klienten hinter sich und ihre Augen erfassten ihren Angreifer.
Nuce schlug einen Haken, verließ die Gasse und kreuzte den Weg, um die Parallelstraße zu nutzen. Vor ihm erkannte er nun zwei Gestalten, die Diamond und Scratch verfolgten. Er stieß einen leisen Schrei aus, um sich zu mehr Geschwindigkeit anzutreiben und holte ein Stück auf. Als er nah genug war, warf er eine Explosion auf die Füße der Person direkt vor ihm.
Er hörte einen überraschten Schrei, sie stürzte, rollte sich jedoch noch einigermaßen erfolgreich ab.
Nun musste er abbremsen, um nicht in Diamonds Verfolger hineinzurennen. Die Person sprang auf die Füße und etwas sauste durch die Luft, bevor es ihn mit Wucht an der Schläfe traf.
Nuce hatte nur die Gelegenheit zu keuchen, bevor er in die Wand neben sich krachte. Er stöhnte auf, doch es blieb keine Zeit, um sich in Schmerzen zu wiegen, denn es zischte wieder. Er ging in die Hocke und der Stock stieß über ihm gegen das Gestein. Die Gelegenheit nutzend, ergriff er ihn und zog die Frau – wie er feststellte - an sich heran, um ihr sein Knie in den Bauch zu rammen.
Die Angreiferin krümmte sich und er packte sie am Kinn, um sie hochzuziehen und an sein Gesicht heranzubringen.
Die beiden Kämpfenden hielten inne.
„Was zur Hölle!?", stieß Nuce aus.
„Skulduggery?!", fragte Diamond geschockt und außer Atem.
Der Skelettdetektiv ließ langsam seinen Revolver sinken. „Diamond", stellte er fest.
„Ja!", bestätigte sie, verärgert. „Willst du mir vielleicht sagen, warum du auf meinen Klienten schießt!?"
„Deinen Kl...", begann Skulduggery, doch in dem Moment kam Nuce aus der Gasse, Valkyrie im Schlepptau. Beide Neuankömmlinge stellten sich neben ihre Partner, keuchend und die Hände auf diverse, scheinbar schmerzende Körperteile gepresst.
„Deinen Klienten?", endete er.
„Ihr arbeitet für Scratch?", fragte Valkyrie außer Atmen.
„Problem damit?", fragte Nuce.
„Allerdings. Scratch ist ein gesuchter Straftäter auf der Flucht. Wir haben den Auftrag ihn als baldmöglich ins Irische Sanktuarium überzuführen. Lebend oder nicht", erklärte Skulduggery.
„Tja, das könnt ihr dann wohl vergessen", sagte Diamond. „Wir werden unseren Klienten nicht ausliefern."
„Dir ist bewusst, dass du einen Kriminellen schützt, oder?" Valkyrie war mittlerweile wieder einigermaßen zu Atem gekommen.
„Wäre ja nichts Neues", erwiderte Nuce.
Cain hob eine Augenbraue, sagte aber nichts mehr.
„Habt ihr Papiere für seinen Haftbefehl?", wollte Diamond wissen.
„Papie... Hör mal, übergebt ihn einfach und wir sorgen dafür, dass ihr euer Gehalt bekommt."
„Mir ist das Gehalt vollkommen egal", sagte sie. „Keine Papiere, keine Auslieferung, ganz einfach."
Skulduggery seufzte schwer. „Du willst einfach? In Ordnung." Er hob seine Pistole und hielt sie auf Nuces Kopf. „Übergebt Sratch oder wir müssen ihn uns selber holen."
Der Mann hinter ihr begann zu zittern.
Diamond ließ die Arme sinken und bewegte sich langsam auf die Detektive zu, bis sie direkt vor dem Lauf der Waffe stand. Sie sah Skulduggery für einen Moment an und er starrte zurück, dann verwandelte sie ihre Hand, riss sie nach oben und krachte in sein Handgelenk. Er stieß einen erschrockenen Schrei aus und Diamond fing den Revolver aus der Luft, um dann schnell einen Schritt zurück zu machen.
„Oh", sagte sie lachend. „Das war einfach."
Skulduggery wollte einen Schritt vor machen.
„Ahahah!", machte Diamond und richtete die Pistole diesmal auf Valkyries Kopf.
Diese warf ihrem Partner einen genervten Blick zu. „Ernsthaft?", fragte sie ihn.
„Sie hat mich überrascht", murmelte er, offensichtlich geknickt.
Nuce kicherte hinter ihr vor sich hin.
„Okay, so wird das ablaufen:", bestimmte Dye. „Wir bringen unseren Klienten in Sicherheit, ihr bleibt genau hier, bis wir außer Reichweite sind. Dann werden wir wie Profis verhandeln. Alles klar? Super."
Sie begann rückwärts zu gehen und Nuce schob Scratch zurück in die Richtung aus der sie gekommen waren. Als sie an der Ecke zur Gasse ankamen, wackelte sie mit dem Revolver.
„Den kriegt ihr dann wieder", versprach sie grinsend, dann folgte sie ihrem Partner in die Dunkelheit.
Es war etwa fünfhundert Meter später, als Nuce frei losprustete. Er lachte eine Weile, dann schlug er Diamond auf die Schulter.
„Das. War. Unglaublich!"
„Haben Sie gerade tatsächlich Skulduggery Pleasant entwaffnet?", fragte Scratch und benutzte nun zum ersten Mal die höfliche Ansprache.
„Und auch noch mit einem so bescheuerten Trick!", fügte Nuce lachend hinzu.
„Tja", machte Dye. „Ich habe vom Besten gelernt."
Nuce grinste. „Dexter hat dir beigebracht wie man Skulduggery entwaffnet?", fragte er.
„Wer weiß?" Sie zwinkerte.
„Sie kennen die? Cain und Pleasant?", fragte Scratch.
„Oh, wir haben nur an ein paar Fällen gemeinsam gearbeitet", untertrieb Diamond.
„Hätte nicht erwartet, dass ich das noch miterlebe", murmelte er und das war das Letzte, was er sagte, bis sie wieder im Haus angekommen waren. Keine Beschwerden, kein Gemecker: wunderbar.
Als Scratch gerade unter der Dusche stand und seine beiden Bodyguards Massen an Wasser herunterkippten, klingelte Diamonds Handy.
Sie schmunzelte, als ihr Display ihr eine bekannte Nummer anzeigte.
„Hallo, Skulduggery", sagte sie mit einer übermäßig fröhlichen Stimme. „Hast du einen angenehmen Abend?"
Nuce feixte sie an, während er gerade die kleine Kopfwunde an seiner Wange abklebte.
„Sehr witzig", erwiderte seine Stimme.
„Ihr wolltet es auf die harte Weise machen..."
„Schon klar. Sag mir einfach, wie wir an Scratch kommen."
„Wie ich bereits sagte: Wir wollen den Haftbefehl sehen und eine schriftliche Bestätigung, dass ihr auf Englischem Boden juristisch agieren dürft."
„Muss das..."
„Ja, das muss sein." Sie seufzte. „Hör Mal, Skulduggery. Ich mag den Typen nicht und es könnte mir nicht egaler sein, ob er im Gefängnis sitzt oder nicht. Aber im Gegensatz zu euch habe ich ein Ansehen zu bewahren. Ich kann nicht einfach Klienten ausliefern wie es mir gefällt, vor allem nicht an euch. Ihr habt momentan keine rechtliche Basis ihn festzunehmen, das hier ist nicht Irland."
„Also?"
„Also: Bringt mir die Papiere und dann habe ich keine Chance ihm hier noch Unterschlupf zu gewähren. Alles klar?"
„Wir melden uns"
„Gut, und Skulduggery?"
Er brummte.
„Kopf hoch." Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und das hörte man wahrscheinlich auch in ihrer Stimme. „Selbst die Besten fallen manchmal auf die schlechtesten Tricks rein."
Nuce neben ihr prustete wieder los und der Detektiv seufzte nur, bevor er auflegte.
Es dauerte etwa einen halben Tag und fünf unhöfliche Kommentare von Scratch, also vergleichbar wenige, bis Skulduggery sich wieder meldete. Sie vereinbarten einen Treffpunkt im Sanktuarium.
Diamond sagte Scratch, er solle nicht aus dem Haus gehen, da es dort am sichersten für ihn war. Eigentlich hätte er mitkommen können, doch er hatte daran offensichtlich keinerlei Interesse und sie war froh, dass sie Valkyrie diesmal normal begrüßen können würde. Und das tat sie auch.
Die zwei Detektive kamen ihnen auf dem Flur des renovierten englischen Sanktuariums entgegen und Diamond breitete sogleich ihre Arme auf, um Valkyrie in eine herzliche Umarmung zu ziehen. Die schien erst überrascht, doch lachte dann und erwiderte die Geste. Währenddessen schüttelte Nuce Skulduggerys Hand.
Sie wechselten Personen und Diamond überlegte sich, ob sie auch nur die offizielle Begrüßung wählen sollte, wie Nuce zuvor. Sie verwarf die Idee gleich und umarmte Skulduggery ebenfalls. Dieser schien noch unvorbereiteter darauf zu sein und erstarrte kurz, bevor er seine Hände für einen Moment auf ihre Schulterblätter legte.
Sie machte einen halben Schritt zurück und strahlte ihn an. „Wie geht's dem Handgelenk?", fragte sie und ergriff den knochigen Arm, um den Verband zu inspizieren. Scheinbar war es gebrochen. „Sorry dafür."
Er zuckte die Schultern. „Ich habe auf dich geschossen, ich denke wir sind quitt."
Diese Art der Einstellung brachte sie zum Lachen und sie drückte seine knochigen Finger noch einmal, bevor sie eine unerwartete Geste aus dem Augenwinkel sah.
Valkyrie berührte vorsichtig Nuces Schläfe an der Stelle, die von ihrem Stock blau und aufgesprungen war.
„Da hab ich dich ganz schön erwischt, was?", fragte sie mit einer unzufriedenen Miene auf dem Gesicht.
„Och, das ist doch nichts.", erwiderte er und obwohl Diamond wusste, dass das stimmte, musste sie grinsen.
„Hier", sagte Skulduggery und wandte seinen Schädel wieder von der benachbarten Konversation ab. Er griff in seinen Anzug und zog einen gefalteten Stapel aus der Innentasche.
„Ah, sehr gut", freute sich Diamond und blätterte einmal grob, um die Stempel und Überschriften zu überfliegen. „Das sollte reichen."
„Werden wir ihn los?", fragte Nuce.
Sie hielt ihm die Handfläche hin und sie schlugen ein.
Sie trafen sich am gleichen Ort, um Scratch auszuliefern.
Diamond hatte den ganzen Weg über eine Hand auf seiner Schulter. Sie tat als wollte sie ihn beruhigen wollen, doch eigentlich sollte ihn das vor der Flucht bewahren.
Sie schob ihn vorsichtig zu Skulduggery, der ihm Handschellen anlegte.
„Tut mir Leid, Mr. Scratch, leider habe ich keine Wahl", entschuldigte sie sich mit ihrem überzeugendsten Lächeln. Scratch funkelte sie nur an.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Nuce Valkyrie ein Stück wegzog und leise mit ihr redete.
„Sei nett zu ihm, ja?", bat sie Skulduggery, welcher die Schultern zuckte.
„Ich gebe mir Mühe."
Valkyie nickte nun und gesellte sich wieder zu ihrem Partner. Skulduggery tippte sich an die Hutkrempe und damit gingen sie.
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Vielleicht Sogar Mehr...
FanfictionImmer wieder treffen Skulduggery und Valkyrie auf die zwei britishen Bodyguards, egal ob sie wollen oder nicht. Doch das Schicksal scheint Diamond und Nuce und sie immer wieder zusammen zu schubsen. Oder besser ihre Köpfe zu nehmen und aneinander zu...