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Rückblickend waren all ihre Bemühungen umsonst. Das Verhältnis zwischen Lily und Petunia Evans konnte nie wieder so sein wie früher, konnte nie wieder so sein wie vor Severus Snape. Denn ab diesem Tag, an dem Lily von der Schaukel gefallen und in den Busch gefallen war, in dem auch Severus Snape hockte, an dem die Freundschaft zwischen den beiden ihren Anfang nahm, an dem Lily das erste Mal mit den Erzählungen einer real existierenden magischen Welt in Berührung gekommen war, war Lily unerreichbar geworden. Sie war so auf die Magie fixiert, so tief in den Erzählungen und dem Glauben an diese versunken, dass Petunia nicht mehr zu ihr gelangen konnte. Wenn Petunia eines sagen konnte, dann, dass Severus Snape ihr Leben, ihre Familie zerstört hatte. Und dafür hasste sie ihn. Genauso wie Albus Dumbledore oder Minerva McGonagall. Denn diese beiden hatten einen weiteren Keil, einen unüberwindbaren, zwischen die beiden Schwestern getrieben. Am 30. Januar 1971 um halb zwölf. An Lilys Geburtstag.

Severus Snape sollte erst gegen Nachmittag kommen, weswegen Petunia noch gute Laune hatte. Sie saßen im Wohnzimmer auf dem Sofa, unterhielten sich, während Lily einige von ihren Geschenken ausprobierte, als das Gesprächsthema auf Magie fiel. Sofort waren die Geschenke vergessen und Lily beteiligte sich rege am Gespräch. Sie erzählte von Severus Snape, erzählte von allem, was sie mit ihm erlebt hatte, was er ihr erzählt hatte. Sie sprach von Zauberstäben, von der Winkelgasse, von fliegenden Besen, von Quidditch, von Zaubertränken, von magischen Wesen, von einer Schule für Hexen und Zauberer, von Geistern, von allem, was ihr gerade einfiel, und was mit Magie zu tun hatte. Sie wurde erst unterbrochen, als am Fenster etwas klopfte, das sich anhörte, als wenn man einen Stein gegen die Fensterscheibe werfen würde. Prompt sprang Lily vom Sofa und riss das Fenster auf. Hineingeflogen kam eine wunderschöne Schleiereule, die ein paar mal an der Decke des Wohnzimmers kreiste und schließlich vor Lily landete, die ihre Aufregung nicht mehr verbergen konnte. Sie biss sich auf die Unterlippe und hatte die Augen weit aufgerissen. Vorsichtig beugte sie sich zu der Eule hinunter und löste den Brief von ihren Krallen, der Petunia zuerst gar nicht aufgefallen war. Kaum, dass Lily die kleine Schnur, mit der der Brief befestigt worden war, gelöst hatte, breitete die Eule ihre Schwingen wieder aus und flog durch das noch offene Fenster davon. Lily riss währenddessen hastig den Brief auf, faltete ihn auseinander, las ihn schnell und hüpfte kreischend durch das Wohnzimmer, während sie mit hin- und herwedelte.

Petunia bekam währenddessen ein mulmiges Gefühl in der Magengegend und betrachtete Lily kritisch. Diese kam nun vor Petunia zum Stehen und streckte ihr mit einem energischen „Ich hab's dir doch gesagt!" den bereits leicht zerknitterten Brief entgegen. Petunia faltete ihn langsam auseinander, blickte dabei immer wieder zu ihrer Schwester hoch, die sich beide Hände in die Hüften gestemmt und mit einem zutiefst befriedigten Gesichtsausdruck vor Petunia aufgebaut hatte und ein Lächeln im Gesicht trug, das besagte, dass es das beste Geburtstagsgeschenk war, Recht gehabt zu haben.

Der Brief fühlte sich nicht wie normales Papier an, es war gelblich gefärbt und von rauer Struktur. Es war Pergament, altertümlich und fremd für Petunia, und ließ ihre Nervosität weiter steigen. Petunias Hände begannen zu schwitzen, als sie nervös an den Rändern auf und ab fuhr und die getrocknete Tinte, die im Tageslicht grün schimmerte, mit zusammengekniffenen Lippen, aufeinander gepressten Zähne und mit Übelkeit im Magen betrachtete, bevor sie anfing zu lesen:

HOGWARTS-SCHULE FÜR HEXEREI UND ZAUBEREI

Schulleiter: Albus Dumbledore

(Orden der Merlin, Erster Klasse, Großz. Hexenmst.

Ganz hohes Tier, Internationale Vereinig. d. Zauberer)

Sehr geehrte Ms. Evans,

wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei aufgenommen sind. Beigelegt finden Sie eine Liste aller benötigten Bücher und Ausrüstungsgegenstände.

Das Schuljahr beginnt am 1. September. Wir erwarten Ihre Eule spätestens am 31. Juli.

Mit freundlichen Grüßen

Minerva McGonagall

Stellvertretende Schulleiterin

Petunia starrte noch einige Minuten auf das Pergament, fuhr mit dem rechten Zeigefinger immer wieder die Tinte nach und fühlte sich, als wäre sie in einem Albtraum gefangen, aus dem sie nie wieder erwachen würde. Alles, worauf sie hingearbeitet hatte, woran sie felsenfest geglaubt hatte, ihre Weltansicht, ihre Realität, ihr Leben, alles schien in sich zusammenzufallen, wie ein Kartenhaus, das einem Windstoß ausgesetzt war. Entsetzen und Schock ließen Petunias Körper starr werden. Es fühlte sich an, als würde das Blut in ihren Adern gefrieren. Petunia ließ den Brief langsam sinken. Lily nahm das zum Anlass, um Petunia den Brief aus den Händen zu reißen, sodass er an der Hälfte ein wenig einriss.

„Siehst du, Tunia?! Magie existiert! Hogwarts existiert!", rief Lily und hielt Petunia den Brief als Beweis so nah an ihr Gesicht, dass Petunia die Maserung des Pergaments erkennen konnte. Petunia fühlte währenddessen, wie Tränen aus Schock und Wut ihr in die Augen traten. Sie erhob sich langsam, darum bemüht ihre Fassung zu waren, drückte Lily unsanft beiseite und hetzte nun doch schnell in ihr Zimmer, wo sie sich weinend auf ihr Bett warf. Es sollte alles umsonst gewesen sein? All ihre Bemühungen hatten im Grunde keinen Wert? Dabei hatte dieser Tag perfekt werden sollen. Petunia hatte alles durchgeplant. Das Frühstück im Bett, die Geschenke mit ihrem eigenen als bestes am Schluss, sogar das Treffen mit Snape. Alles war geplant, bis auf das letzte Detail durchstrukturiert. Und am Ende des Tages wären Petunia und Lily nicht mehr nur noch Schwestern, sondern auch wieder beste Freundinnen.

Und nun... nichts! Petunia schlug wütend immer wieder auf ihr Kopfkissen ein, während Tränen ihre Wangen hinunterflossen und von dem Kissenbezug aufgesogen wurden. 

Petunia wusste nicht, wie lange sie geweint und auf ihr Kissen eingeschlagen hatte. Irgendwann hatte sie sich auf den Rücken gedreht und starrte nun die weiße Decke an, während sie darüber nachdachte, was sie nun tun sollte. Den restlichen nicht mehr ganz so perfekten Tag in ihrem Bett zu verbringen war keine Option, denn dann wäre wirklich alle Arbeit umsonst gewesen.

Als sie darüber nachdachte, sah sie Severus Snapes Gesicht vor sich, die schmalen Lippen zu einem triumphierenden und zugleich spöttischen und herablassenden Lächeln verzogen. Sie sah ihn, wie er zusammen mit Lily auf dem Sofa saß und sie gemeinsam über Magie und Hogwarts diskutierten, während Petunia alleine, abseits und ausgeschlossen auf dem Sessel saß und die beiden mit ihren Blicken erdolchte. Sie sah Lily Jahr für Jahr nach Hogwarts gehen, während sie eine Schule in der Nähe besuchte. Sie sah, wie sie sich immer weiter voneinander entfernten, da sie sich nur noch in den Sommer- und vielleicht den Weihnachtsferien sahen, weil Hogwarts ein Internat war.

Nein. Petunia ließ das nicht zu. Lily würde nicht einfach nach Hogwarts verschwinden. Sie waren Schwestern. Und Petunias Aufgabe als große Schwester war es nun mal, auf Lily aufzupassen. Und wenn Lily eben auf diese Schule ging, dann ging sie eben mit. Entschlossen wischte sich Petunia die bereits getrockneten Tränen von den Wangen und stand mit Schwung auf. Sie schritt ins Badezimmer und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, nachdem sie ihre roten, verquollenen Augen kurz im Spiegel betrachtet hatte. Danach huschte sie wieder ins Wohnzimmer zurück, wo Lily ein angeregtes Gespräch mit ihren Eltern vertieft war, den Hogwartsbrief immer noch in der Hand haltend und hin und wieder damit artikulierend, während Der Herr der Ringe unbeachtet auf dem Wohnzimmertisch lag.

Einige Zeit später, Petunia hatte sich in dieser Zeit immer mal wieder am Gespräch beteiligt, las aber nun in Der Herr der Ringe, klingelte es an der Tür. Lily sprang natürlich sofort und enthusiastisch auf und rannte zur Tür, während Petunia nur die Augen verdrehte, weiter in dem Buch las, das sie eigentlich gar nicht interessierte, und sich innerlich für einen Nachmittag mit Severus Snape wappnete.

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