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Petunia saß gerade an ihrem Schreibtisch und machte Hausaufgaben. Seit Lilys Geburtstag waren bereits einige Tage vergangen, und der Alltag kehrte für alle aus der Familie wieder ein, außer für Lily. Diese lief immer noch, auch wenn bereits beinahe eine Woche vergangen war, mit einem breiten Grinsen durch die Straßen und erzählte jedem, dass sie nun auf Hogwarts ging. Natürlich lächelten die Erwachsenen sich dann nur wissend an, denn sie hielten es für nichts weiter als eine Fantasie, während Kinder immer ganz aufgeregt waren und unbedingt den Brief sehen wollten, egal ob sie nun lesen konnten, oder nicht. Petunias gute Laune vom Morgen des 30. Januars war schon lange verflogen und wurde von einer andauernden, unterschwelligen Genervtheit und Wut ersetzt und bei jedem Lächeln Lilys und bei jedem Wort, das auch nur annähernd von Magie handelte, gruben sich die Falten um ihre zu einem grimmigen Strich gepressten Lippen tiefer in ihr Gesicht. Besonders schlimm war es allerdings, wenn Severus Snape zu Besuch kam. Bereits an Lilys Geburtstag hatte er diesen selbstgefälligen Gesichtsausdruck, der Petunia dazu gebracht hatte, jedes Mal den Blick schnell wieder auf das Buch in ihren Händen zu richten oder die Augen zu verengen. Auch jetzt machte Severus Snape Petunia bei jeder Möglichkeit darauf aufmerksam, dass sie Lily nicht geglaubt und Magie als Fantasie abgestempelt hatte. Jedes Mal, wenn sie sich trafen, was Petunia natürlich so oft wie möglich zu vermeiden versuchte, grinste er ihr so zu, als würde sie als der Muggel, der sie nun einmal war, gar nicht anders können, als Lily nicht zu glauben.

Aber Petunia würde einem arroganten Severus Snape diesen Erfolg garantiert nicht gönnen. Sie würde zusammen mit Lily nach Hogwarts gehen und ebenfalls Magie erlernen. Da sie aber noch nicht an Hogwarts angemeldet war, musste sie dem Schulleiter wohl oder übel einen Brief schreiben. Da tat sich allerdings schon das erste Problem auf: Was sollte sie schreiben? Darüber dachte Petunia nun schon eine Weile nach, obwohl sie eigentlich ihren Aufsatz fertigstellen müsste. Schließlich ließ sie für heute Aufsatz Aufsatz sein und griff stattdessen nach einem weißen Blatt Papier, um auf diesem ihren Brief zu verfassen. Das stellte sich aber als deutlich schwieriger heraus als gedacht, denn sie wusste nicht, wie sie formulieren sollte, dass sie gerne zusammen mit ihrer Schwester Hogwarts besuchen würde. Dementsprechend waren eine halbe Stunde später mindestens 15 zerknüllte Blätter rund um den Mülleimer verteilt, während Petunia dem Verzweifeln nahe war. Aber sie gab nicht auf, obwohl sie es in den letzten Tagen mehrmals überlegt hatte. Also atmete Petunia einmal tief ein und aus, spitzte ihren Bleistift an und schrieb letztendlich einfach drauf los:

Cokeworth, den 04. 02. 1971

Sehr geehrter Professor Albus Dumbledore,

mein Name ist Petunia Evans, ich bin die Schwester von Lily Evans, die ab dem 1. September Ihre Schule besuchen wird.

Ich muss zugeben, dass ich lange Zeit nicht an Magie geglaubt und Lily für ihre Ansichten belächelt habe. Mit Lilys Brief haben Sie somit auch mir eine vollkommen neue und faszinierende Welt eröffnet.

Ich wäre gern ein Teil dieser Welt, würde sie gern entdecken und mich im wahrsten Sinne des Wortes verzaubern lassen.

Ich weiß, dass diese Bitte vielleicht zu gewagt ist, aber ich würde mich sehr freuen, wenn ich ebenfalls an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei aufgenommen werden könnte. Ich würde mich natürlich außerordentlich bemühen, mich zu einer vorbildlichen Hexe zu entwickeln.

Ich habe mich in den letzten Tagen seit der Ankunft des Briefes für meine Schwester wirklich bemüht, viel über die Welt der Hexen und Zauberer zu erfahren.

Ich bitte Sie inständig, mich ebenfalls an Ihrer Schule aufzunehmen. Ich würde natürlich genau wie meine Schwester den ersten Jahrgang besuchen.

Ich hoffe auf eine baldige Antwort von Ihnen

Petunia Evans

Auch wenn Petunia an einigen Stellen etwas übertrieben hatte, steckte sie den Brief, nachdem sie noch einmal darüber gelesen hatte, in einen Briefumschlag, beklebte diesen mit einigen Briefmarken und legte ihn fein säuberlich auf ihren Schreibtisch. Zügig lief sie die Treppe hinunter, zog ihre Schuhe an und warf sich ihre Jacke über. Lily war gerade wieder einmal mit Severus Snape  unterwegs und Petunia wollte die Zeit nutzen, damit Lily nichts von dem Brief erfuhr. Es sollte eine Überraschung sein, und wenn sie nicht angenommen würde, dann sollte es keine Enttäuschung werden. Also lief sie schnell zu dem Briefkasten am Ende der Straße und warf den Brief mit einem kleinen Lächeln ein. Dann lief sie beschwingten Schrittes zurück. „Tunia? Tunia!", ein Ruf riss Petunia aus ihren Gedanken, die sich um den Zeitpunkt der Antwort von Albus Dumbledore drehten. Als Petunia sich schließlich umdrehte, erblickte sie als erstes Lilys rotes Haar, dass sich von der grauen Umgebung stark abhob. Sie stand neben Severus Snape, der neben ihr wie der Schatten einer leuchtenden Fackel aussah. Er verschmolz mit der Umgebung, als hätte er es schon sein ganzes Leben geübt und diese Kunst nun perfektioniert. 

Langsam schritt Petunia auf ihre Schwester und ihren besten Freund zu, obwohl sie eigentlich keine Lust darauf hatte. Aber Severus Snape konnte sie wohl nicht entkommen und Petunia graute es schon davor, dass sie sehr viel Zeit mit Severus Snape verbringen müssen würde, wenn sie wirklich auf Hogwarts aufgenommen werden sollte. Lily fragte neugierig, was Petunia denn hier draußen machte, aber Petunia antwortete nur mit einer nichtssagenden Antwort und einem Lächeln, während sie den prüfenden Blick von Severus Snape auf sich spürte. Lily schien sich nicht wirklich für Petunias abweisende Haltung zu interessieren, denn sie hakte sich bei ihr unter und zog sie zu dem naheliegenden Spielplatz, während Severus Snape langsam hinter ihnen hertrottete, Lily von ihren neuen Erkenntnissen über die Magie erzählte und Petunia ihr nur mit einem Ohr zuhörte.

Der Nachmittag war schleppend vergangen. Lily hatte Petunia erst Stunden später gehen lassen, in denen sie durchgefroren war und immer schlechtere Laune bekommen hatte. „Lily war ein Kind", sagte sie sich immer wieder „Sie freut sich einfach nur." Sie wartete immer noch auf eine Antwort von Albus Dumbledore. Es war nun Dienstag, und obwohl Petunia genau wusste, dass es länger dauerte, bis eine Antwort wirklich zu erwarten war, wurde sie immer ungeduldiger. Jeden Nachmittag, wenn sie von der Schule nach Hause zurückkehrte, schaute sie vorher hoffnungsvoll in den Briefkasten, doch dieser war meistens leer. Lily war es inzwischen aufgefallen. Petunia sah es, weil auch Lily nun immer häufiger in den Briefkasten guckte, weil sie Petunia auch schon einige Male darauf angesprochen hatte. Petunia hatte immer nur schwammige Erwiderungen gegeben, hatte mal etwas von einer Postkarte ihrer Urlaubsfreundin, mal etwas von von dem Brief einer Austauschschülerin geredet. Sie sah aber auch, dass Lily sich nicht mehr mit solchen Antworten zufrieden gab, dass sie eine ernste und ehrliche Antwort erwartete. Da Petunia diese ihr aber nicht gab, entfernte Lily sich immer weiter von Petunia, fragte irgendwann nicht mehr nach, und die Konversation zwischen den beiden Schwestern brach fast vollständig ab. Lily strafte Petunia mit Schweigen; Petunia wollte nicht mit Lily über die erwartete Post reden.

Petunia wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass die Neugierde Lily beinahe innerlich auffraß und dass sie sich vorgenommen hatte, diesen Brief, auf den Petunia so sehnsüchtig wartete, auf jeden Fall zu lesen. Wenn sie es gewusst hätte, hätte sie schon lange mit Lily darüber geredet.

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