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Die Antwort von Albus Dumbledore kam erst zwei Wochen später, in denen Petunia irgendwann die Hoffnungen aufgegeben hatte, überhaupt einen Brief zu bekommen. Als Petunia den Briefkasten öffnete, eher aus Gewohnheit als wegen Hoffnungen, holte sie überrascht einen Brief heraus, der an Petunia Evans adressiert war. Ihr wurde der Mund ganz trocken, nachdem sie den Brief umgedreht und auf der Rückseite das Wappen Hogwarts' erkannt hatte. Es war, ziemlich altmodisch für Petunias Geschmack, ein Siegel aus rotem Wachs und genauso wie Lilys Brief war auch ihrer aus Pergament. Ihr Magen wurde schwer und es schien, als hätte sie einen Kloß im Hals, der ihr das Schlucken unmöglich machte. Mit leicht zitternden Fingern schloss sie den Briefkasten wieder und ging langsam auf die Haustür zu. Nicht wissend, dass Lily die kleine Szene von ihrem Fenster aus beobachtet hatte und sich schon einen Plan überlegte, wie sie es schaffen konnte, den Brief zu lesen.

Es schien, als würde der Brief in ihrer Hand Petunia ausbremsen. Sie zog sich schleichend die Schuhe und die Jacke aus, lief träge die Treppe hinauf und ließ sich langsam auf ihr Bett sinken, während sie den Brief immer wieder in ihren Händen drehte. Er war schwer und dick für einen Brief und das Pergament fühlte sich unter ihren Fingern fast schmerzhaft rau an. Sie traute sich nicht wirklich, das Siegel zu brechen und die endgültige Antwort zu erfahren. Schließlich fing sie vorsichtig an, das Siegel an den Enden mit den Fingernägel abzuknibbeln, sich noch etwas Zeit verschaffend. Doch irgendwann hatte sie das Siegel in der Hand und den Brief geöffnet. Behutsam legte sie den getrockneten Wachs auf ihren Nachttisch und zog zwei Briefe heraus. Den einen erkannte sie als ihren eigenen, der nicht ganz zu dem Pergament passte. Sie überflog ihn, legte ihn aber dann zur Seite. Sie wusste schließlich, was sie geschrieben hatte. Dann faltete sie den anderen mit zitternden Fingern auseinander und begann zu lesen:

Hogwarts, den 09. 02. 1971

Meine liebe Petunia,

dein Brief hat mich wirklich sehr berührt. Kaum eine Schwester würde sich so sehr dafür einsetzen, bei ihrem Geschwisterkind bleiben zu können.

Leider muss ich dir jedoch mitteilen, dass du nicht in der Magie begabt bist und wir dich deswegen nicht deinen Fähigkeiten entsprechend unterrichten und fördern können. Dementsprechend können wir dich auch nicht in Hogwarts aufnehmen, auch wenn du ohne Zweifel eine beeindruckende Persönlichkeit hast. Du wirst wohl weiter auf eine Schule für Muggel gehen müssen, aber deine Schwester und du können gut über Briefe Kontakt halten. In Hogwarts haben wir eine eigene Eulerei, deswegen könnt ihr euch ausreichend schreiben.

Petunia, denke bitte nicht, dass es an dir liegt. Nur weil du keine Hexe bist, bedeutet das nicht, dass du kein toller Mensch sein kannst.

Bleib so wie du bist, Petunia

Albus Dumbledore

Schulleiter von Hogwarts

Ihre Lippen bebten, als sie den Brief langsam wieder sinken ließ. Tränen traten ihr in die Augen und ihre Hand knüllte die untere Ecke leicht zusammen. Es war also vorbei. Lily würde nach Hogwarts gehen und Petunia würde weiter in Cokeworth bleiben, nur um auf Briefe von ihre Schwester zu hoffen, die wahrscheinlich sowieso zu beschäftigt sein wird, um zu schreiben. Petunia dachte noch eine Weile darüber nach, wie die Zukunft der beiden aussehen wird. So wie Lily wahrscheinlich einen magischen Beruf erlernen, während Petunia einen langweiligen, normalen Beruf ausüben würde. Wie Lily alles mit einer Bewegung ihres Zauberstabs erledigen können würde, während Petunia alles von Hand schaffen müsste. Der Ruf ihrer Mutter, dass sie zum Essen kommen sollte, ließ Petunia irgendwann aus ihren Gedanken wieder auftauchen. Dennoch schien die Welt irgendwie anders zu sein als vorher. Nichts war länger aufregend, unbekannt, eine Erfahrung wert. Es war lediglich normal. Diese Normalität ließ alles grau werden und zu einer tristen Landschaft verschwimmen. Nichts schien mehr einen zweiten Blick wert zu sein, alles war schon erforscht worden.

Petunia fühlte sich, als hätte Dumbledore ihr durch seinen Brief eine Glocke aus Milchglas übergestülpt, als sie sich erhob und die Treppe zum Esszimmer hinunterging. Ihre Sinne schienen abgestumpft, sie hörte kaum noch etwas, sah keine Einzelheiten mehr und alles roch irgendwie gleich. Als Petunia sich an den Tisch setzte, war Lily wohl noch in ihrem Zimmer, denn ihr Platz war noch nicht besetzt, obwohl sie sonst immer die erste am Tisch war. Petunia wusste nicht, ob ihre Eltern mit ihr sprachen oder nicht, und es war ihr auch nicht wichtig. Die Nachricht, dass sie keine Möglichkeit mehr bekommen würde, Zeit mit Lily zu verbringen, lag ihr immer noch schwer im Magen. Womöglich würde sich das auch eine ganze Zeit nicht ändern, so schockierend war die Mitteilung für sie. Nur gut, dass sie Lily nichts davon erzählt hatte. Sonst würde sie jetzt entweder enttäuscht und traurig oder schadenfroh sein.

Als Lily nach einer gefühlten Ewigkeit zum Essen kam, schritt sie die Stufen hinunter wie eine Königin auf einem Ball. Während sie sich hoheitsvoll auf ihrem selbsternannten Thron, den Küchenstuhl, niederließ, fixierte sie Petunia. „Du hast mir gar nicht erzählt, dass du auch nach Hogwarts gehen willst", sagte Lily in einem enttäuschten, aber gleichzeitig auch stolzen und leicht hochnäsigen Tonfall. Petunia antwortete nicht, sondern aß stur weiter und versuchte Lily auszublenden. Doch die Käseglocke schien bei ihr nicht zu funktionieren; ihre Stimme schallte zu ihr hinüber wie durch einen Lautsprecher, der ganz nah an ihr Ohr gehalten wurde. Ihre Eltern hielten im Essen inne, blickten zwischen den beiden Schwestern hin und her. „Aber weißt du", fuhr Lily einfach fort „Du bist ein Muggel, und Muggel dürfen nun einmal nicht nach Hogwarts gehen." Petunia unterbrach kurz das Schneiden des Schnitzels und blickte auf, ehe sie den Blick wieder senkte. „Leugne es nicht, Tunia. Ich habe deinen Brief gelesen, und den von Dumbledore. Hogwarts öffnet nicht für alle seine Tore, besonders nicht für Muggel. Severus hat mir erzählt, dass Muggel nicht einmal in der Lage sind, Hogwarts überhaupt zu sehen. Wie dachtest du, könntest du dann dort zur Schule gehen, Tunia?" Langsam fühlte Petunia, wie ihr Blut zu brodeln begann. Verstand Lily etwa nicht, dass sie wegen ihr nach Hogwarts gehen wollte? Dass Severus Snape einfach kein guter Umgang war? Dass sie alles nur für Lily getan hatte? Wie kam sie überhaupt auf die Idee, in ihren Sachen herumzuwühlen? Petunia zog die Augenbrauen zusammen, aß aber stoisch weiter. Lily schien aber währenddessen immer mehr Gefallen daran gefunden zu haben, dass Petunia einfach neidisch war auf sie. Konnte Lily nicht schlicht und einfach den Mund halten und sich später über sie lustig machen?

„Hättest du mich gefragt, Tunia, hätte ich dir gesagt, dass du gar nicht nach Hogwarts gehen kannst. Du bist ein Muggel, Tunia, sieh es ein. Ich, als Hexe, werde nach Hogwarts gehen, und du, als Muggel, wirst hier bleiben. Verstehst du das jetzt?"

Petunia konnte gar nicht sagen, was genau sie wütend machte. Wahrscheinlich war es gar nicht das, was sie sagte, sondern wie sie es sagte. Die Art, wie ein genervter Lehrer ein begriffsstutziges Kind behandelt. Gleichzeitig war Lily aber auch unglaublich arrogant, so kam es Petunia vor. Ihr Blut brodelte nicht mehr, es kochte, und die Enttäuschung, die sie schon seit dem Lesen des Briefes empfand, entlud sich in einer Wut, die noch nicht einmal direkt gegen Lily gerichtet war. Sie war gerichtet gegen die Magie, gegen Zauberer, gegen Hogwarts, gegen Severus Snape und gegen die Eule, die den Brief gebracht hatte. Aber es war egal. Petunia sah einfach nur noch rot. Alles, was vorher grau gewesen war, wurde nun in einen roten Schleier gehüllt. Petunia sprang auf. Der Stuhl fiel um und das Geschirr klapperte laut. Alles außer ihre Wut hatte seine Bedeutung verloren. Voller Zorn, Enttäuschung und Hass vergaß sie selbst, dass sie ihre Schwester liebte und rief ihr die Wörter entgegen, die ihr im Hass einfielen:

„Glaubst du wirklich, ich möchte auf diese Schule gehen? Auf eine Schule für Leute wie Snape? Auf eine Schule für Leute wie Dich? Auf eine Schule für Unnormale, für Freaks? Genieß' deine Zeit auf deiner Freak-Schule, Missgeburt!"

Dann drehte sich Petunia um, rannte nach oben in Lilys Zimmer, schnappte sich Der Herr der Ringe, rannte in ihr Zimmer, packte die beiden Briefe, hetzte die Treppe wieder hinunter und warf alles in den brennenden Kamin. Und während das Papier anfing, in Flammen aufzugehen, erschien ein grimmiges Lächeln auf Petunias Gesicht. Das Kind Petunia verbrannte in diesen Flammen, während die neue, die erwachsene Petunia wie ein Phönix aus der Asche geboren wurde.

~The End ~

PhönixWo Geschichten leben. Entdecke jetzt