2 - Das Trolley-Problem

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Manche werden sich jetzt fragen, warum ich direkt im zweiten Kapitel ein Gedankenexperiment mache, wo wir uns doch noch gar nicht so sehr mit Moral auseinandergesetzt haben. Das liegt einerseits daran, dass ich Lust auf ein Gedankenexperiment hatte. Andererseits möchte ich das Buch als kleines Experiment nutzen. Ich werde immer mal wieder Experimente einbauen und sehen, was ihr dazu sagt. Mich interessiert es, ob ich eure Meinung mit dem ein oder anderen Kapitel vielleicht sogar ändern kann. Deshalb kommt heute direkt Gedankenexperiment Nummer 1, mit dem Hinweis, dass ich dieses Experiment im Internet gefunden habe, es also nicht von mir stammt. Wie ihr mich kennt, habe ich das Ganze ein bisschen ausgeschmückt. Es wird das selbe Experiment in verschiedenen Varianten mit kleineren Änderungen geben. Ich bin gespannt, was ihr tun würdet.

Das Trolley-Problem 1: Die Basis

Du bist Weichensteller. Noch dreihundert Meter, dann kommt eine Zug an die Weiche. Eigentlich muss er geradeaus fahren. Doch plötzlich siehst du, dass auf den Schienen fünf Menschen stehen. Also willst du die Weiche umstellen. Doch auf den Schienen der anderen Seite steht auch ein Mensch. Tust du nichts, sterben fünf Menschen. Stellst du die Weiche um, stirbt einer. Was tust du?

Egal, was man tut, es stirbt jemand. In beiden Fällen ist man selbst als Weichensteller schuldig. Die erste Möglichkeit ist, passiv Schuld zu sein, weil man die Weiche nicht umstellt, die andere, aktiv Schuld zu sein, weil man sie umstellt. Die Frage, die sich einem stellt, ist: Kann man fünf Menschenleben gegen eines abwiegen? Utilitaristen sagen ja. Was sagst du?

Bei dieser Frage wirken sich die verschiedensten Faktoren auf die Antwort aus. Bei der Frage: "Kann man fünf Menschenleben gegen eines abwägen?" spielen vor allem moralische Überzeugung und Egoismus eine Rolle. Denkt man utilitaristisch, ist das keine Frage. Fünf sind mehr als einer, also stirbt einer. Fünf Menschen haben wahrscheinlich mehr Angehörige als einer. Also wären es mehr Menschen, denen man den Tod eines Freundes/Bekannten/Verwandten antut. Denkt man so, wäre die Entscheidung relativ einfach. Schwieriger wird es bei Egoismus und Menschlichkeit. Denkt man egoistisch, fragt man sich Dinge wie: "Wenn ich verklagt werde, in welchem Fall fällt die Strafe milder aus?", "Verabscheuen mich mehr Menschen, wenn ich die fünf töte?", "Was ist das moralische Verständnis des Durchschnitts? Was würden die anderen tun, was mich moralisch aussehen lassen würde?" oder "Macht es mich glücklicher, wenn mir fünf Menschen danken, dass sie noch leben, oder einer?". Menschlichkeit bzw. Psyche sind da schon etwas anderes. Da kommen solche Fragen auf: "Ist es schlimmer, einen Menschen aktiv zu töten, oder fünf Menschen sterben zu lassen?" oder "Bin ich überhaupt in der Lage, die Weiche umzulegen, wenn ich weiß, dass dann jemand stirbt?". 

Ich persönlich wäre nicht dazu in der Lage. Ich würde mir auch nicht über das Abwägen oder die Konsequenzen den Kopf zerbrechen, ich würde nur über töten und sterben lassen nachdenken. In diesem Sinne könnte ich einfach nicht eingreifen. Rein theoretisch gesehen, würde ich aber die Weiche umlegen. Ich denke nicht immer utilitaristisch, aber beim Trolley-Problem schon. Falls ihr nicht wisst, was Utilitarismus ist: Ein Utilitarist wägt immer ab und beachtet dabei keine Gefühle oder psychologischen Hintergründe, auch keine Beziehungen oder sonstiges. Fünf Menschen sind mehr als einer, also umlegen. Ich hoffe, dass das einigermaßen nachvollziehbar ist.

Das Trolley-Problem 2: Das Kind

Ganz anders sieht die Sache dann allerdings aus, wenn auf dem anderen Gleis nicht irgendein anderer Mensch ist, sondern ein zweijähriges Kind. Oder wenn auf einer Seite ein siebenjähriges Kind und auf der anderen ein dreijähriges ist. Oder wenn auf der einen Seite ein Junge und auf der anderen ein Mädchen ist. Auf der einen Seite eine Schwangere, auf der anderen ein Baby. Auf der einen Seite der beste Freund, auf der anderen eine sechs-köpfige Familie. Auf der eine Seite ein Gymnasiast, auf der anderen ein Hauptschüler. 

Ich könnte noch ewig weitermachen. Würde das einen Unterschied machen? Wir gehen das Ganze noch einmal utilitaristisch an. Wer überlebt?

Fünf Erwachsene vs. ein zweijähriges Kind:

Die Erwachsenen, weil es mehr sind.

Siebenjähriges Kind vs. dreijähriges Kind:

Dreijähriges Kind, weil das noch ein längeres Leben vor sich hat.

Junge vs. Mädchen:

Das Mädchen, weil Mädchen und Frauen beschützt werden müssen. (Besonders hier kann man auch in die andere Richtung entscheiden und andere Argumente nennen, das hängt davon ab, was einem wichtiger ist, hier ist es nur ein Beispiel.)

Schwangere vs. Baby:

Die Schwangere, weil es in Zukunft zwei Menschen sein werden.

Bester Freund vs. sechs-köpfige Familie:

Familie, weil es mehr sind.

Gymnasiast vs. Hauptschüler:

Gymnasiast, weil er intelligenter ist (obwohl es nichts heißt, wenn man auf ein Gymnasium geht).

Jetzt ist es natürlich streitbar, ob das alle Utilitaristen so sehen. In manchen Fällen gibt es vielleicht Abweichungen, je nach utilitaristischem Verständnis. Aber ich denke, dass der Utilitarismus jetzt klar geworden ist. Und was macht ihr in den jeweiligen Fällen?

Das Trolley-Problem 3: Der Hund

Die selbe Situation wie vorher auch. Auf der einen Seite steht ein Mensch, auf der anderen ein Hund. Wem rettest du das Leben?

Sind Menschen mehr wert als Hunde? Wenn ja, warum? Das ist es eigentlich, worum es bei dieser Frage geht. Man kann auf die Gleise stellen, wen man will. Es ist egal, wie viele gegen wie viele, ob Tier oder Mensch oder Baum, ob man jemanden persönlich kennt oder nicht, ob prominent oder nicht, ob schlau oder dumm, ob talentiert oder uninteressant, völlig egal. Die Frage, die man jedes Mal stellen kann, ist: Kann man diese Werte gegeneinander abwägen, wie Utilitaristen es tun?

Für den einen ist die Schwester mehr wert als der Hund. Für den anderen selbst der Blumenkübel mehr wert als die Schwester. Wertvorstellungen sind immer etwas Individuelles. Es gibt die Utilitaristen, die alles "neutral" betrachten. Es gibt die, die Emotionen mit einbeziehen, Verstand, Egoismus, Konsequenzen oder eben auch manches davon nicht. Jeder Mensch hat eigene Vorstellungen von diesen Werten und dieser Todeswaage. Mich interessiert, welche Vorstellungen ihr habt.

Abschließend lässt sich nur eins sagen: Werdet niemals Weichensteller. 



Moral ist, wenn man moralisch is(s)tWo Geschichten leben. Entdecke jetzt