Helena schaltet den Laptop ein. "Was sollen wir gucken?" "Irgendwas Schnulziges, so einen richtigen Mädchenfilm. Ist ja auch ein Mädelsabend." Es klingelt an der Tür. "Oh, gehst du mal eben, Elly? Das müsste der Pizzabote sein, das Geld liegt auf der Fensterbank."
20 Minuten später
Helena sieht auf den Teller. Das letzte Stück der Pizza, die sie und Elly sich teilen, wartet nur darauf, gegessen zu werden. Es waren acht Stücke, sie hat fünf gegessen. Ellys Magen knurrt, zwei Stücke Pizza machen eben nicht satt. Und das letzte Stück sieht so verlockend aus...
Engelchen: "Deine Freundin hat Hunger, Helena! Biete ihr das letzte Stück an!"
Teufelchen: "Ach, halt's Maul, Aurora! Würde sie schneller essen, hätte sie genauso viele Stücke gehabt!"
Engelchen: "Sie isst nun mal langsam. Das ist kein Grund, ihr das letzte Stück Pizza wegzunehmen."
Teufelchen: "Sie ist so fixiert auf den Film, sie würde es eh nicht merken."
Engelchen: "Trotzdem wäre das echt nicht nett! Helena ist satt, Elisa hat Hunger."
Teufelchen: "Meine Fresse, wen interessiert das?!"
Engelchen: "Helena interessiert das, sie ist schließlich ihre beste Freundin. Zu Freunden ist man nett."
Teufelchen: "Sie wird wohl nicht nach Hause gehen, wenn Helena das letzte Stück isst. Sieh es dir an, das ist doch so lecker!"
Helenas Gedankengeist Aramis: "Jetzt entscheidet euch, das Stück bleibt nicht ewig dort liegen!"
Teufelchen: "Helena nimmt sich das letzte Stück!"
Engelchen: "Nein, sie ist nett zu ihrer besten Freundin und überlässt es ihr!"
Aramis: "Oh man... Ich denke mir eine Zahl von eins bis zehn."
Engelchen: "Fünf!"
Teufelchen: "Sieben."
Aramis: "Es war die acht, Kieran hat gewonnen."
So funktioniert Helenas Moral und vielleicht auch die vieler anderer Menschen (leider). Aber hey, das ist doch auch egal. So schlimm ist das ja nicht, es ist nur Pizza, nichts Weltbewegendes (oh doch!). Gut, vielleicht ist das wirklich nicht schlimm, aber wenn Helenas Moralverständnis immer so funktioniert (oder eher nicht funktioniert), dann ist das problematisch. Und wieso? Warum soll sie denn moralisch handeln?
"Wenn sich jeder um sich selbst kümmert, ist für jeden gesorgt."
Das kann nicht funktionieren. Wir Menschen sind Rudeltiere, natürlich gibt es Ausnahmen, denen Kontakte egal sind, aber die sind selten. Die meisten Menschen brauchen Liebe und Freundschaft, um glücklich zu sein. Kümmert sich jeder nur um sich selbst, kann Freundschaft nicht funktionieren, genauso wenig Gesellschaft. Denn das Prinzip von Zusammenleben in einer Gesellschaft oder einer (freundschaftlichen) Beziehung ist das "Geben und Nehmen". Ich würde es eher "Geben und Bekommen" nennen. Geben und Nehmen hieße nämlich, dass man nur etwas gibt, um etwas zu bekommen. Geben und Bekommen dagegen heißt, etwas zu geben und etwas zu bekommen, weil man etwas gibt. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, was davon unsere Gesellschaft und manche Freundschaften besser beschreibt, aber das ist ein anderes Thema. Was ich damit sagen will, ist, dass nur für jeden gesorgt ist, wenn er Bekannte/Freunde/Geliebte hat. Wenn sich jeder um sich selbst kümmert, sind solche Bindungen nicht möglich und damit sind nicht alle Bedürfnisse jedes Menschen erfüllt bzw. es ist nicht für jeden gesorgt, so einfach ist das.
Im Grunde genommen ist das auch schon der Kern meiner Antwort. Menschen handeln oft nicht moralisch, weil es ihnen nichts bringt oder sie das, was es ihnen bringt, nicht moralisch zu handeln, besser finden als das, was ihnen das moralische Handeln bringen würde. In Helenas Beispiel wäre es also so, dass sie amoralisch handelt, weil ihr der Genuss eines Pizzastückes wichtiger ist als das Wohlbefinden und die Dankbarkeit ihrer besten Freundin. Ich habe dazu mal ein kleines Experiment durchgeführt.
Ich habe sieben Freunde gefragt, was in einer Freundschaft wichtiger ist:
a) Dass man sich umeinander kümmert und füreinander da ist, wenn es einem schlecht geht
b) Dass man zusammen tolle Dinge erlebt und Spaß hat und daraus auch einen Nutzen zieht
Was denkt ihr, waren die Antworten?
Ich teile es in Jungen und Mädchen ein. Es wurden drei Jungen und drei Mädchen befragt.
Mädchen: a: 4 b: 0
Jungen: a: 3 b: 0
Danach habe ich allen die Frage gestellt, was sie in dieser Situation tun würden:
Es gab neun Stücke Kuchen. Jeder hatte vier. Das letzte Stück Kuchen ist noch da. Man weiß, dass die Freundin/ der Freund noch ein Stück Kuchen will. Man selbst ist zuerst fertig mit essen. Nimmt man das letzte Stück?
Mädchen: ja: nein: 4
Jungen: ja: 2 nein: 1
Erstmal vorweg: Es gab echt coole Antworten, zum Beispiel "Man darf im Leben ja auch mal egoistisch sein" und "Bei Ina (Name geändert) würde ich es essen und sie auslachen, bei dir auch, bei allen anderen nicht." Das ist der Grund, warum mir solche Umfragen Spaß machen.
Jetzt aber zum eigentlichen Ergebnis. Alle finden es wichtiger, dass man füreinander da ist, sogar die Jungs (bei denen, die ich befragt habe, eher nicht so überraschend, generell aber schon). Die Mädchen bleiben treu bei ihrer Aussage, zwei von drei Jungen widersprechen sich selbst. Genau das war das Ziel dieser Umfrage; dass Menschen sich selbst widersprechen. Eigentlich hätte ich auch erwartet, dass das bei den Mädchen vorkommen würde, aber laut der Umfrage ja nicht. Allerdings weiß man nie, ob das wirklich die Wahrheit ist.
Aber wieso sollen wir denn jetzt moralisch handeln? Das habe ich eher mit der Widerlegung des Zitates beantwortet als mit der Umfrage. Moralisches Handeln gehört zum Leben in einer Gesellschaft dazu, damit dieses funktioniert. Damit es einem selbst und jedem anderen (zumindest in dieser Ansicht) gut gehen kann, sollte man moralisch handeln. Und nur weil es einem direkt nichts bringt, schadet moralisches Handeln einem in einer Pizza-Situation auch nicht. So schlimm ist Moral gar nicht.
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Moral ist, wenn man moralisch is(s)t
Non-FictionWas Büchner uns mit diesem Zitat sagen wollte, weiß ich auch nicht. In diesem Buch werde ich ein paar Fragen beantworten und euch vor ein paar Fragen stellen. Moral kann man am besten mit Gedankenexperimenten erklären. Freut euch auf Experimente ü...