"Helena?"
"Ja, Elli?"
"Kannst du mir einen Gefallen tun?"
"Klar, was soll ich machen?"
"Ich fahre über das Wochenende nach London, könntest du meine Katzen füttern? Zwei Tage können die alleine bleiben, sie brauchen nur jeden Morgen Futter und ab und zu frisches Wasser, es wäre gut wenn du etwa alle fünf Stunden mal vorbeischauen könntest."
"Natürlich, du wohnst ja nicht weit weg."
"Sehr gut, danke! Ach ja, Helena?"
"Ja?"
"Jerry ist ein bisschen komisch in letzter Zeit, er ist ja schon alt, ich mache mir Sorgen, dass er...dass er bald sterben wird..."
"Irgendwann muss jeder sterben, aber Jerry hat noch Zeit."
"Pass bitte gut auf ihn auf, du weißt wie sehr er mir am Herzen liegt. Ich will nicht, dass er ausgerechnet dann geht, wenn ich gerade nicht da sein kann. Sorg dafür, dass er bleibt, ja?"
"Das tue ich."
"Versprichst du es mir?"
"Versprochen."
Versprechen sind ein heikles Thema. Eigentlich versprechen wir uns Dinge, weil wir sichergehen wollen, dass wir uns aufeinander verlassen können. Manche Menschen versprechen viel zu oft viel zu viel und ganz besonders Dinge, die sie einfach nicht versprechen können; so wie Helena. Sie kann tun, was sie will, wenn der Kater am Wochenende stirbt, stirbt er. Natürlich sagt sie das nur, um ihre Freundin zu beruhigen, aber am Ende hat sie ein großes Problem, wenn sie ihr Versprechen nicht halten kann. Ich persönlich bin ein sehr großer Fan von Verlässlichkeit und mir sagen auch sehr viele Leute, dass ich verlässlich bin. Das liegt daran, dass ich weiß, wobei ich es sein kann. Wenn mich jemand bittet, um drei Uhr nachts in die Mülltonne zu klettern und ich gebe mein Wort, dass ich das tun werde, dann tue ich das. Ich vergesse so etwas nicht und ich lasse keine Ausreden zu. Was mich dabei von vielen anderen Menschen unterscheidet: Ich kann fies sein und "Nein" sagen. Entweder, weil ich etwas nicht tun kann oder weil ich es nicht will und dann werde ich es auch nicht. Ich gebe keine Versprechen, die ich nicht hundertprozentig halten kann (von der niedrigen Wahrscheinlichkeit abgesehen, dass mich auf dem Weg von der Haustür zur Mülltonne eine Dinosaurier auffrisst). Leider fühlen sich viele dazu verpflichtet, immer hilfsbereit und nett zu sein und alle Bitten zu erfüllen, weshalb sie ständig ihre Versprechen brechen. Das ist schlimmer, als einfach zu sagen, dass man etwas nicht versprechen kann, wie man es in Helenas Fall hätte tun können.
Jetzt aber zum moralischen Aspekt dabei. Meiner Meinung nach, und wahrscheinlich auch der allgemeinen Meinung der deutschen Mehrheit nach, ist es nicht moralisch, ein Versprechen zu brechen. Aber wieso nicht?
Wenn ich euch versprechen würde, jedem zu Weihnachten zehntausend Euro zu schenken, würdet ihr euch (wenn das nicht absolut seltsam wäre und ihr mir das glauben würdet) darauf verlassen. Ihr würdet denken, ihr könnt euer Geld für alles ausgeben, was ihr gerade haben wollt, an Weihnachten zahle ich schließlich alles zurück und ihr kriegt sogar noch Geld dazu (es sei denn, ihr schafft es, in eineinhalb Monaten zehntausend Euro auszugeben, ohne euch ein Auto oder ein Haus zu kaufen). Ihr gebt also Geld aus. Viel Geld. Sagen wir achttausend Euro (die ich persönlich innerhalb von zwei Stunden für Klamotten ausgegeben hätte). Dann kommt Weihnachten und ich habe es nicht geschafft, zehntausend Euro für jeden aufzubringen. Am Anfang seid ihr enttäuscht, aber so schlimm ist es auch nicht, schließlich seid ihr (hoffentlich) nicht pleite. Doch zwei Tage später geht die Dusche kaputt und kurze Zeit danach fängt der Herd an zu spinnen. Dann habt ihr ein Problem.
Das wäre ziemlich scheiße von mir, oder? Ich würde ein Versprechen brechen und damit vielleicht das ein oder andere Leben ruinieren. Ignorieren wir mal den Fakt, dass ich niemandem zehntausend Euro schenken würde (drei neue Taschen, sieben Kleider, das erste Auto und mein Studium, was denkt ihr von mir?!) und sich darauf niemand verlassen würde (sagt mir bitte, dass ihr das nicht tun würdet). Wäre es doch so, wäre es absolut unmoralisch von mir, euch Geld zu versprechen, das ich nicht habe. Dieses Beispiel ist zwar weit hergeholt, aber wie oft hat euch schon jemand etwas Versprochen, das er nicht gehalten hat? Dieses Phänomen ist keine Seltenheit.
Früher habe ich mich gefragt, wieso manche sich auf andere Menschen verlassen. Ich habe mich nie auf andere verlassen, der einzige Mensch, der immer ehrlich zu mir war, war ich selbst, also habe ich auch nur mir selbst vertraut. Mit Vertrauen tue ich mich heute noch schwer, aber ich habe tatsächlich angefangen, mich auf andere Menschen zu verlassen und es ist so oft schief gelaufen. Mittlerweile lasse ich Menschen zwar Dinge versprechen, aber ich mache mich immer darauf gefasst, einspringen zu müssen, wenn jemand eine Aufgabe doch nicht auf die Kette kriegt. Solange ich davon ausgehe, mich auf niemanden wirklich verlassen zu können, lebe ich zwar im ständigen Stress, aber ich bin für alle anderen verlässlich. Ob das klug ist, weiß ich nicht, manchmal muss man bei so was einfach auf die Schnauze fallen, das schaffe ich trotzdem oft genug. :D
Was ich euch mit diesem Kapitel eigentlich sagen will: Seid ehrlich zu euch selbst und anderen, versprecht nichts, was ihr nicht halten könnt. Einige werden sauer sein, wenn ihr ihnen Bitten abschlagt, aber irgendwann werden sie froh darüber sein und euch für eure Verlässlichkeit danken.
Dieses Kapitel war jetzt etwas weniger philosophisch, eher etwas pädagogisch-wertvoll angehaucht. Ich hoffe, dass ihr euch erschließen könnt, was das Ganze mit Moral zu tun hat und es mir nicht übel nehmt. Falls doch, dann wartet bis zum nächsten Kapitel, da wird wieder mehr Philosophie mitspielen. Versprochen.
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Moral ist, wenn man moralisch is(s)t
Não FicçãoWas Büchner uns mit diesem Zitat sagen wollte, weiß ich auch nicht. In diesem Buch werde ich ein paar Fragen beantworten und euch vor ein paar Fragen stellen. Moral kann man am besten mit Gedankenexperimenten erklären. Freut euch auf Experimente ü...