Es war dunkel draußen. Die Dunkelheit schlich zu mir in mein Zimmer. Kaum noch erkannte ich die Tastatur meines Laptops. Die Zusammenhänge zwischen all dem wurden unklar, verschwommen. Was war das?
Meine Finger bewegten sich weiter über die Tasten. Das dabei entstehende Geräusch beruhigte mich. Ich wurde ruhig, die Dunkelheit konnte mir nichts anhaben. Ich war hier. Ich lebte. Ich schrieb. Und es gab keine Monster unter meinem Bett. Ich war allein, allein und ruhig.
Ich hatte kein Thema, über das ich schreiben konnte. Da waren nur abertausende Gedanken und Wörter, die in meinem Kopf kreisten wie ein Wirbelsturm. Mal fiel ein Wort raus und wurde mit voller Wucht gegen meinen Schädel geschleudert. Dann kamen die Kopfschmerzen. Manchmal waren sie so schlimm, dass ich sogar meinen geliebten Laptop weglegen musste. Ich hatte keine Wahl, musste mich zusammenrollen und hoffen, dass auch dieses Wort wieder zurück in den Sturm fand.
Ich wollte mich mit keinem, wirklich keinem einzigen, näher beschäftigen. Denn manche taten mir weh und das merkte ich leider immer viel zu spät. Deswegen verbot ich sie mir alle. Deswegen erlaubte ich meinem Mund seit eineinhalb Jahren keines mehr, über die Lippen zu bringen. Und wenn Worte einmal ganz wichtig waren, dann schrieb ich sie auf. Denn wenn sie dort auf Papier standen, waren sie ungefährlich. Problemlos hätte ich sie durchstreichen, wegradieren oder übermalen können. Wenn sie bedrohlich aussahen, schrieb ich die Buchstaben einfach in einer anderen Reihenfolge. Ungewöhnlich, nicht wahr?
Meine Eltern waren deshalb so oft mit mir bei Psychologen. Immer freundlich, immer bemüht, die Ärzte. Ich hatte stundenlang gehört, wie wichtig die Kommunikation wäre und dass dazu auch das Verbale gehöre. Von meinen Eltern. Von den Lehrern. Von allen Leuten, die mit meinem Schweigen ihre Probleme hatten. Wie konnte man es sich wagen, in einer Gesellschaft, in die Worte lauter als Taten sprachen- in der Worte so große, leere Versprechungen waren- zu schweigen? Den Mund zu halten und damit ein Konzept zu zerstören, was grundlegend für das Zusammenleben war? Bevor Menschen zu sprechen angefangen hatten, wurden andere Laute zur Verständigung gemacht. Selbst Tiere machten das, nur ich nicht.
Angefangen hatte alles, als die coolen Mädchen aus meiner Klasse der Meinung waren, ich wäre das perfekte Mobbingopfer, vor dreieinhalb Jahren. Es war so schlimm, dass ich Angst bekam. Höllische Angst vor all den Worten, auch vor den schönen. Vor denen, die Hoffnung gaben, die Enttäuschung voraussagten.
Ich hätte den miesen Sprüchen kontern können. Allerdings war ich mir sicher, dass die Worte eines einzelnen, viel zu dünnen und kleinen Mädchens nicht viel hätten tun können. Immerhin waren alle anderen der Rest gegen mich. Ich hatte seit dreieinhalb Jahren nicht eine Freundin. Außerdem hatte ich niemandem erzählt, dass ich gehänselt wurde. Nur meiner Oma Rita, die alle sechs Monate mal aus Dänemark zu uns kam. Sie wohnte dort und empfand Mobbing als Ausdruck von Neid und Eifersucht. Auf was? Auf mich? Warum?
Meine Oma war der Meinung gewesen, ich solle ihnen zeigen, dass ich stark war, kontern konnte. Dass ich zubiss, wenn ich gebissen wurde. Doch ich war schüchtern, zu schüchtern. Ich hatte Angst, meine Zähne zu zeigen, schließlich waren sie fast vollkommen von Metall bedeckt -boten somit eine weitere Angriffsfläche. Erst als ich an diesem Abend vor meinem Laptop saß, waren sie endlich strahlend und perfekt angeordnet. Eigentlich eine Verschwendung, denn selbst wenn ich gelächelt hätte, hätte es niemanden interessiert. Niemandem wären die weißen Zähne augefallen, denn niemand hätte hingesehen.
All diese Gedanken durchströmten meinen Kopf, während ich schrieb. Ich schrieb Gedichte und Texte für mein Leben gern. Ich konnte dabei der Erschaffer von Worten sein. Von Worten, die harmlos und friedlich schienen. Von Worten, die ich nicht ausstreichen musste, sondern lesen konnte. Angstfrei. Manchmal musste ich lächeln, weil ich das Geschriebene so mochte. Doch danach war ich sofort niedergeschlagen. Wen interessierten meine geschrieben Worte? Ich konnte sie ja doch nicht sprechen. Nie hätte ich einen Slam so vortragen können wie Julia Engelmann. Ich könnte nie auf der Bühne stehen und mit Herzblut mein Herzstück preisgeben. Und Gelesen hätte das Geschriebene auch niemand. Nicht meine Eltern, nicht die Lehrer und kein Psychologe. Davon abgesehen gingen diese Worte und Buchstaben, diese Sätze und Reime keine Menschenseele auf dieser Welt etwas an. Das war für mich.
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Ungesprochen
Teen FictionEs ist nicht so, dass ich keine Worte finde. Ich suche nicht. Ich bin still. Ganz einfach still. Tessas Welt ist trotz ihres kleinen Bruders trostlos und dunkelgrau. Bis Casper, der Junge mit den wundervollen, blauen Augen, sie betritt und mit leuch...