#1 - Verdammnis beginnt mit K

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"Ja, Maman. Die Party beginnt um 17:00 und endet um 20:00. Natürlich, Maman. Den Nachhauseweg schaffe ich auch alleine. Geh, Mutter, wir leben doch nicht mehr im Mittelalter... Selbstverständlich habe ich etwas Anständiges an, was hälst du von mir?"
Mit dem Handy zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt war Marie gerade dabei, ihre Lippen mit ihrer neuesten Make-Up-technischen Investition in dunkles Rot zu tauchen, welches perfekt zu dem kurzen Coktailkleid passte, in welches sie ihre Kurven gezwängt hatte. Verdammte Schokolade...!
"Wo ich eingeladen bin? Bei einer Freundin, alles kein Problem. Nichts Großes", murmelte sie, während ihr Blick zu der Einladung neben sich huschte.

Anlass: ich werde alt
Uhrzeit: 20:00 - 03:00
Ort: bei mir Zuhause im Keller
Mitzubringen: gute Laune, so viele Kerle und so viel Alkohol du nur tragen kannst!
Melde dich, falls du nicht kommen kannst!
Deine Willow

Grinsend wechselte Marie Ohr, als sie für einen kurzen Moment beide Hände frei hatte.
"Nein, natürlich ist diese Party nicht bei Willow Harvester, wie kommst du darauf? Ähm... Rose. Rose, ich bin bei Rose eingeladen. Nein, nein, bloß Will wäre altmodisch - ich meine natürlich, bloß Willow wäre altmodisch genug, um mir eine Einladung per Post zu schicken, nein, die Einladung kam per WhatsApp... Nein, Maman, das ist nicht das, wo man sich gegenseitig Fotos schickt..."
Seufzend griff Marie nach dem perfekt auf Kleid und Lippenstift abgestimmten Nagelack, damit auch ihre Fußnägel herzeigbar wären. Wenn ihre Mutter auch nur erahnen könnte, wie viel sie geflunkert hatte, hätte sie ihre Tochter gescholten, sie vielleicht sogar zur Beichte mitgeschleppt. Ein Schauer durchfuhr die junge Erwachsene. Wie gut, dass sie aus ihrem Elternhaus hatte flüchten können. Und dass sie ein Einzelkind war, sonst wäre sie vermutlich von einem Geschwisterchen verpfiffen worden.
"Das, was du meinst, Maman, heißt Snapchat. Nein, Snapchat. Man spricht es engl- ach, vergiss es. Nein, nicht so wichtig. Ja, natürlich. Ich liebe dich auch. Kuss an Papan. Salut!"
Erleichtert legte Marie auf. Endlich war sie ihre Mutter los. Nichts war schlimmer als eine erzkatholische Mutter mit französischen Wurzeln. Außerdem hatte Marie für dieses unnötige Telefonat auf ihre Musik verzichten müssen. Entusiasthisch steckte sie ihr Handy wieder bei dem kleinen, schwarzen Radio an, um genau diese wieder hören zu können, während sie sich fertig schminkte. Gerade wollte sie 'Shuffle' drücken, als ihre Mutter erneut anrief.
"Verdammt sei diese-", rutschte es hier heraus, bevor sie abhob.
"Salut, Maman, hast du was vergessen?"
Genervt, jedoch mit neutraler Stimme, stützte Marie sich auf dem Waschbecken ab.
"Nochmal vor der Party in die Kirche gehen? Ähm... Okay, Maman. Ja. Ja gut, ja, ich verspreche es. Ja, versprochen. Ist ja gut. Gut, hab' dich auch lieb."
Sie seufzte. Wenn es denn unbedingt sein musste. Damit steckte sie endlich ihr Handy an und schminkte sich zu einem Cover von S & M von Rihanna.

Marie konnte nicht fassen, dass sie wirklich hier saß. Noch nie war sie nackter in der Kirche gewesen, als sie es jetzt war. Die Gänsehaut auf ihren Armen unterstrich das noch. Und die Blicke der anderen gaben ihr sowieso den Rest. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Nur ein kleines Gebet, dann gehe ich schon wieder. Eilig machte sie sich daran, sich einen Platz zu suchen. Der genau wie die Temperatur kühle Geruch nach Nichts als Mamor. Gestein. Vielleicht auch ein Hauch von Schweiß, der das Ganze noch unangenehmer machte. Das Sonnenlicht, dass durch die Buntglasfenster fiel, war das einzige, dass der Kälte der Kirche etwas Wärme verleihen konnte. Als sie sich in eine Reihe zwängte, um sich hin zu knien und dann zu beten, konnte sie sogar die Staubkörner in dem Schein, der durch die Fenster einfiel, tanzen sehen. Wenigstens etwas heimelig-menschliches hatte diese Kirche. Luftzüge schienen die Partikel hinaufzutragen, an den gotischen Bögen vorbei bis zur Decke, welche mit allerlei Malereien verziert war. Hier ein paar Patti, dort ein komischer Vogel... Hätte ein Adler sein können, wenn er nicht so komische, hervorquellende Augen gehabt hätte. Beten!, wies sie sich selbst an, schloss die Augen und faltete ihre Hände unter dem Kinn. Gerade, als sie in Gedanken das Vater unser anstimmen wollte, da ihr nichts besseres einfiel, fühlte es sich an, als würde es ein paar Grad wärmer werden. Merkwürdig entspannt nahm sie die plötzliche Wärme hin, ohne länger darüber nachzudenken. Vermutlich hatte der Pfarrer doch noch die geniale Erfindung 'Heizung' entdeckt. Sie musste über ihre eigenen, sarkastischen Gedanken lächeln.
Du hast ein sehr hübsches Lächeln, ertönte eine tiefe, ruhige und sehr warme Stimme in ihrem Kopf. Verstört schlug Marie die Augen wieder auf. Das war definitiv nicht ihre Absicht gewesen. Das war kein Gedanke gewesen, den sie hatte denken wollen.
Verzeih, wenn ich dich erschreckt habe. Warte, ich komme zu dir herunter. Wo habe ich bloß meine Manieren gelassen? Ich bin Kokaviel. Du darfst mich allerdings gerne nennen, wie du möchtest, Feather.
Hatte diese komische Stimme in ihrem Kopf sie gerade als Feder bezeichnet? Verwirrt sah sie sich um. Doch außer ihr selbst hatten sich anscheinend alle anderen aus der Kirche verzogen.
"Wer... Wer ist da?", rief sie unsicher in das Gewölbe hinein, hörte, wie ihre Stimme immer wieder zurückgeworfen wurde. Irritiert machte sie sich daran, aus ihrer Sitzreihe zu stolpern.
Kokaviel. Wo willst du hin? Ich wollte doch gerade erst zu dir kommen.
Verschreckt lief Marie bereits auf den Ausgang zu, den Blick auf den Altar hinter sich gerichtet, als sie gegen etwas stieß. Als sie zum Schutz die Hände hob, spürte sie warme Haut und sich lockende Haare unter ihren Fingern. Sobald sie aufsah, bereute sie, es getan zu haben.
Sie war geradewegs in einen Typen gerannt, welcher Schulterlanges, dunkles Haar besaß und unergründliche grünblaue Augen. Sie hätten allerdings auch hellbraun sein können, bei ihrer Farbe war sie sich nicht so sicher.
Schlimmer als der Blick nach oben war jedoch der Blick nach vorne und erst recht der nach unten. Nicht nur, dass er kein T-Shirt trug, um seine schmale Hüfte trug er bloß ein dünnes Tuch gewickelt. Bevor sie jedoch angewidert herausfinden konnte, wie durchsichtig dieses Tuch war, legte er ihr zwei Finger unter das Kinn und zwang sie so, ihren Blick zu heben.
"Hallo, meine Schöne. Ich bin, wie bereits mehrmals erwähnt, Kokaviel. Der Engel, der Unmöhliches möglich macht."
Mit vor Stolz geschwellter Brust stand er vor ihr, während sie versuchte, ihre Kinnlade von ihrem neuen Tiefpubkt zu trennen.
"Ich wäre dafür, dass du mir jetzt auch deinen Nam-"
Statt eine Antwort zu geben, trat Marie einen Schritt zurück und lief dann an ihm vorbei, so schnell, wie ihre Beine sie zum Ausgang tragen konnten.
Plötzlich spürte sie einen Luftzug neben sich, sah sein lächelndes Gesicht aus dem Augenwinkel.
"Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. Kann ich es irgendwie wieder gut machen? Oh je, ich höre mich schon an wie ein Sünder. So fangen solche Geschichten zwischen euch Menschen nämlich dauernd an, einfach nur primitiv und lüstern. Obwohl ich zugeben muss, dass mir die Vorstellung, dich zu-"
Bevor er fortfahren konnte, stieß sie seine neben ihr herfliegende Gestalt von sich.
Warte mal, fliegend? Ach du kacke, träume ich?
Als sie zur Seite sah, erkannte sie einen kräftigen Oberkörper und einen muskulösen Rücken, wo zwischen den Schulterblättern des Kerls-
Ach du verdammte Schei... So was krankes könnte ich mir doch nie im Leben ausdenken!
Verstört hatte sie nicht aufgepasst, wo sie hinlief, und rannte gegen eine der Flügeltüren, genau die der beiden, welche geschlossen war. Stumpfer Schmerz zuckte über ihr Gesicht, während sie rückwärts zu Boden fiel. Kurz vor dem bevorstehenden Aufprall wurde sie von kräftigen Armen an der Taille gepackt und auf die Beine in die Arme des Fremden gezogen.
"Das ist wohl jemand sehr überrascht. Du hast dir wohl ein kleines Kerlchen in Windeln vorgestellt, als ich sagte, ich sei ein Engel. Bloß eine von euren merkwürdigen Hirngespinsten, nichts weiter."
Damit beugte er sich zu ihr herunter, hielt sie fest, sodass Entkommen zwecklos war, sah ihr tief in die Augen.
"Obwohl es mir ziemlich schmeicheln würde, dein Hirngespinst zu sein."

Wings - Wie die Liebe sprichwörtlich vom Himmel fielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt