Das Aquarium

118 5 0
                                    


Am nächsten Tag geht es nach Teman Negara. Ein Nationalpark mitten im Dschungel, den man nur über einen schmalen Fluss mit dem Boot erreichen kann. Darauf habe ich mich schon lange gefreut.
Wir verbringen einen Tag hier und gehen im Dschungel wandern. Doch so richtig Freude kommt dabei nicht auf, denn Anna ist wohl inzwischen wieder eingefallen, was sie alles nervt, sodass ich mir alle fünfzehn Minuten ihre Meinung zu einer meiner Handlungen anhören darf.
"Du darfst keine Blätter anfassen, die könnten giftig sein und dann bleibe ich allein im Dschungel zurück.", "Selfies zu machen finde ich dumm, denn dann sieht man ja nur sich selbst und nicht die Landschaft", "Du kannst echt nicht richtig laufen. Ständig habe ich Angst du knickst um und dann müssen wir den ADAC rufen.", "Ich finde es dumm, dass du eine kurze Hose anhast. Wenn du Dengue Fiber bekommst, kannst du schauen wie du alleine zurecht kommst.", "Musst du etwa schon wieder aufs Klo?"
Ich versuche ruhig zu bleiben und sage nur selten was dazu. Es scheint ihr egal zu sein, wie viele Wochen meines Lebens ich schon im Dschungel verbracht habe.

Früh am nächsten Morgen geht es mit dem Speedboat zurück in die Zivilisation. Es ist drückend heiß und ich trinke einen halben Liter Wasser bevor es losgeht. Schließlich kann ich für drei Stunden nichts Neues bekommen. Das Boot nimmt Fahrt auf und schmutziges Wasser wird zu beiden Seiten aufgepeitscht. Die Sonne brennt mir auf der Haut. Ich liebe die Tropen.
Anna hat sich neben mir hingelegt und will wohl etwas schlafen. Das ist gut, denn dann habe ich endlich mal drei herrliche Stunden ohne Moralpredigt. Ich lausche dem Motorengeräusch und sehe wie das immergrüne Ufer an mir vorbeizieht. Und dann fühle ich mich irgendwie unwohl.
Oh man, denke ich, ich hätte nicht gleich die ganze Flasche Wasser leer trinken sollen. Jetzt kann ich erst in mehr als zwei Stunden wieder aufs Klo. Aber gut, so schlimm würde das schon nicht werden. Ich höre etwas Musik mit meinem Handy um mich von meinem kleinen Problem abzulenken. Das hilft!
Für 20 Minuten jedenfalls. Dann spüre ich schon merklich intensiver das Unvermeidliche. Ich muss dringend pinkeln.
Normalerweise wäre das ja kein Problem. Denn normalerweise würde ich den Typen von dem Boot einfach fragen, ob er mal kurz rechts ans Ufer fährt. Doch dann würde Anna neben mir wach und sich mal wieder total aufregen. Und einen erneuten Grund mir irgendwelche Manieren beibringen zu wollen, will ich ihr einfach nicht liefern. Ich muss es also wohl oder übel aushalten.

Doch schon eine viertel Stunde später tut es richtig weh und ich muss die Zähne zusammen beißen, damit hier kein Unfall passiert. Mein ganzer Unterleib fühlt sich so an wie ein Aquarium. Ohne Fische, doch mit viel zu vielen defekten Pumpen, die ununterbrochen neues Wasser heranschaffen. Doch genau wie es bei Sheldon Cooper nicht klappt 'Gebieter über die eigene Blase' zu sein, so gestehe ich mir langsam ein, wie unmöglich es für mich ist noch eine weitere Stunde zu warten.
Das Boot klatscht alle paar Sekunden auf die harte Wasseroberfläche und jedes Mal zuckt mir ein beißender Schmerz durch Mark und Knochen. So muss sich eine Harnwegsinfektion anfühlen. Ok, Anna hin oder her, jetzt muss ich da was machen!
Schnell gestehe ich dem Bootsführer mein Problem und er nickt. Wir legen an und erleichtert sehe ich noch einen anderen Typen mit mir aus dem Boot steigen. Ich bin also nicht der einzige. So vorsichtig wie möglich navigiere ich mich in eine nicht allzu demütigende Position und erlebe die glücklichsten zwanzig Sekunden meines Lebens. Doch meine Freude soll nur von kurzer Dauer sein, denn Anna wartet schon voller Entrüstung auf mich. Als ich mich erleichtert neben ihr fallen lasse, kann ich ihr Augenrollen förmlich hören.
"Das ist jetzt nicht dein Ernst, David, oder? Ich habe echt den Eindruck ich sei hier mit einem kleinen Jungen unterwegs, der sich nicht benehmen kann. Nicht mal drei Stunden Bootsfahrt kannst du aushalten ohne pinkeln zu müssen, von einem Mann erwarte ich... ", doch da höre ich gar nicht mehr zu, sondern sehe im Augenwinkel nur noch wie sich ihr Kiefer hoch und runter bewegt. Ich höre schon wieder Musik. Naja, das war es auf jeden Fall Wert.
Später an Land sagt sie es sei ihr enorm peinlich mit mir unterwegs zu sein.
"Als du aus dem Boot gestiegen bist, hat das so gewackelt, die Leute wurden ganz panisch. So etwas geht einfach nicht. Ich finde es einfach schrecklich mit dir zu reisen."
Doch ich habe inzwischen aufgegeben irgendwelche Gegenargumente zu suchen, denn wenn jemand gerade von einer mehrtägigen Dschungeltour kommt, wird er wohl nicht allzu große Probleme mit einem schwankenden Boot haben. Ich schlage ihr vor wie es wäre, wenn wir uns einfach trennten. Es klappt schließlich einfach nicht so mit uns.
Doch sie hat Angst alleine zu reisen. Panische Angst sogar.
"Ja, dann musst du jetzt aufhören an allem was ich tue rumzunörgeln. Sonst reise ich nämlich alleine weiter ob du das willst oder nicht. Ich bin hier ja nicht dein Lila Launebär!"
Plötzlich weicht alle Aggression aus Annas Gesicht. Von jetzt auf gleich ist sie plötzlich versöhnlich und mimt das ängstliche Mädchen.
"Aber du würdest mich doch nicht hier alleine lassen, oder?"
Ich bin positiv überrascht über diesen Gemütswechsel.
"Nein, keine Sorge", sage ich gönnerhaft, "wenn Du da solche Angst vor hast, natürlich nicht."
Doch das war gelogen.
Ich wusste nur zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie sehr es noch eskalieren würde.

Albtraum Im DschungelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt