Das Ticket

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Es geht weiter nach Thailand. Hier wird schon seit letztem Jahr Bhumibol Adulyadej beweint. Der ehemalige König des Landes. Die Thailänder tragen Trauer und das hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Die Tempel sind mit schwarzen Bannern geschmückt, Webseiten und Anzeigetafeln dürfen nur noch in Grautönen dargestellt werden und an fast jeder Hauswand prangen Gemälde des Halbgottes. Bhumibol wurde vom Volk geliebt. Maha, sein Nachfolger, tritt in Fußstapfen, die er zu füllen niemals im Stande sein wird.
Doch trotzdem nehme ich auch die Thailänder als unglaublich herzliches Volk wahr. Hilfsbereit, gastfreundlich und offen werden wir in diesem Land empfangen. Und schon zum dritten Mal müssen wir an der Grenze aufpassen all unser Geld auszugeben, bevor es im neuen Land wertlos wird.
Als erstes geht es nach Phuket, eine Halbinsel im Süden des Landes. Auf dem Weg dorthin durchqueren wir Ao Phang, einen Landstrich mit keilförmigen Felsen, die sich aus dem Ozean in den Himmel schrauben. Ich fühle mich wie auf Pandora.
Die Fahrt hier her ist schön, denn neben mir sitzt Leander, ein jugendlicher Deutscher, mit dem wir uns super unterhalten können. Es tut gut noch einmal mit einem Menschen zu lachen, der einen nicht für total bescheuert hält.

Doch Anna scheint es nicht zu gefallen, dass ich mich auch gut mit Leander verstehe und kurz bevor wir in Phuket eintreffen erzählt sie aus heiterem Himmel ich sei homosexuell.
"Wie kommst du denn jetzt darauf?", frage ich amüsiert.
"Naja, also als Mann kann ich dich jedenfalls nicht ernst nehmen", sagt sie, "allein was du für schwule Hobbies hast. Reiten, Kochen, Yoga, Tanzen. Ich kenne eigentlich nur schwule Typen, die sowas gerne machen."
Doch weil Leander dabei ist finde ich die Situation sogar irgendwie lustig. Meine Hobbies sind schließlich wirklich etwas androgyn. Am liebsten würde ich jetzt erzählen, Anna würde paradoxerweise auch glauben ich wolle sie ihrem Freund ausspannen. Doch ich will lieber kein Öl ins Feuer gießen.

Abends gehe ich früher schlafen doch das bereue ich später, denn sobald Anna mit Leander alleine ist, erzählt sie ihm was für ein unangenehmer Artgenosse ich bin.
"Ihm ist das ebenfalls aufgefallen", beteuert sie am nächsten Morgen, "ich brauchte einfach mal jemanden, wo ich mich ausheulen kann und er hat mir in allen Punkten zugestimmt."
Ich versuche gar nicht mehr Leanders Respekt zurück zu gewinnen. Peinlich berührt stelle ich mir vor, wie Anna ihm am Vorabend mit Tränen in den Augen und wackelnder Oberweite alle meine Sünden aufzählt.
"Ja jah", spricht Leander vor meinem inneren Auge, den Blick hypnotisch auf ihren Ausschnitt gerichtet, "dieser David muss ein ganz ganz schrecklicher Mensch sein."

Doch zumindest kann Anna sich jetzt mit Leander beschäftigen, weswegen ich endlich mal alleine sein kann. Jetzt habe ich tatsächlich schon eine volle Woche ununterbrochen Zeit mit ihr verbracht. Ich könnte verschwinden und alleine weiter reisen. Doch dann würde ich mein Versprechen brechen und Anna vermutlich zur Gänze in die Katatonie treiben. Und obwohl sich alles in mir dagegen sträubt sie auch nur anzusehen, bleibe ich bei ihr.
Und langsam merke ich, wie die ständige Anspannung mir an die Nerven geht. Ihre kleinen Sticheleien sind wie eine chinesische Folter. Leicht aber über einen langen Zeitraum wirkungsvoll.

Abends buchen wir einen Flug nach Hanoi und sind schon wenige Stunden später im Norden Vietnams. Auf dem Flug rede ich nur noch die wichtigsten Dinge mit Anna und antworte ihr auch sonst nicht. Die letzten Tage muss ich erst mal verdauen.
"Bist du etwa schon wieder angepisst?", fragt sie, "Jetzt sei doch nicht schon wieder angepisst."
Doch natürlich kann ich da jetzt auch nichts dran ändern.
"Wohin müssen wir jetzt?", will sie am Terminal von mir wissen.
Ich zucke mit den Schultern.
"Keine Ahnung, lass mal der Menschenmenge da folgen", schlage ich vor und schlurfe einer Gruppe quasselnder Vietnamesen hinterher.
Anna wirft aufgebracht die Hände in die Luft.
"Lass mal der Menge folgen", äfft sie mich nach, "sowas kann ich ja leiden. Hat bei Hitler ja auch suuuper geklappt."
Ich bin zwar nicht sicher, inwiefern sich "Hitler folgen" mit "Menschen an einem Flughafenterminal folgen" vergleichen lässt, doch irgendwie habe ich auch kein gutes Gegenargument.
Nach einer Weile finden wir ein Taxi und fahren in unser Hostel in Hanoi. Der Stadt mit dem schlimmsten Verkehr der Welt.
22.000 Menschen sterben in diesem Land jährlich im Straßenverkehr. Eine Statistik, die sich gewaschen hat. Ampeln werden ignoriert, Regeln gibt es keine. Für alle, die das nicht glauben habe ich ein kleines Video gemacht:

Auf dem Weg zum Bahnhof wird mir klar, wie emotional entladen ich bin. Wie ein Zombie schlurfe ich am nächsten Morgen neben Anna her und kann mich kaum auf den Beinen halten. Ich habe noch nie zuvor erlebt, wie es ist tagelang kritisiert zu werden. Und dieser Dschungel aus Beton und Lärm macht das alles nicht wirklich besser. Es ist heiß und schwül hier.
Am Terminal angekommen müssen wir ein Ticket kaufen. Für 30$ kann man über Nacht nach Đà Nẵng fahren. Zahlt man noch 10$ drauf bekommt man sogar ein besseres Bett. Ich habe inzwischen schon zwei Nächte nicht mehr schlafen können und lege 40$ auf den Tisch. Doch Anna gefällt das scheinbar nicht.
"Ich zahle doch nicht 40$, wenn ich auch günstiger da runter komme", sagt sie.
Doch ich bin entschlossen in der folgenden Nacht einmal gut zu schlafen.
"Schlaf Du doch in einem 30$ Abteil und ich gehe in die höhere Klasse", sage ich und will gerade bezahlen als Anna mich am Arm auf eine Bank zieht.
"Ich schlafe mit Sicherheit nicht alleine in einem vietnamesischen Nachtzug"
Das kann ich nachvollziehen.
"Ok, dann musst Du jetzt wohl 10$ drauf zahlen."
Doch leider prallen alle Argumente an ihr ab und sogar als ich vorschlage ihr die 10$ aus eigener Tasche zu erstatten, beharrt sie auf ihrem Willen.
"Weißt du, was ich glaube, David?", sagt sie, "Ich denke du fühlst dich in deiner Ehre gekränkt und willst jetzt mal zeigen, dass du auch Eier in der Hose hast. Ich wette es ist dir eigentlich vollkommen egal in was für einem Abteil wir schlafen. Du willst jetzt nur deinen Willen durchsetzen, weil du mir zeigen willst, was für ein Kerl du wirklich bist."

Ich versuche ihr zu erklären, wie müde ich bin und dass es hier wirklich nicht um mein Ego geht. Doch Anna bleibt hart und ich kann sie schließlich auch nicht zwingen. Ich entschließe mich das Ticket einfach gegen ihren Willen zu kaufen. Als ich aufstehen will zieht sie mich erneut zurück. Ihr Kopf hat inzwischen die Farbe eines gut durchgerührten Kirschyogurts angenommen.
"Ich kann einfach nicht FASSEN mit was für einem ignoranten BABY ich hier unterwegs bin. Du hast keinerlei soziale Kompetenz und bist so wenig anpassungsfähig, wie ich es noch NIE erlebt habe. Du bist so ein BEMITLEIDENSWERTER Wicht, wie er mir zuvor noch nie begegnet ist...", doch irgendwie halte ich es nicht länger aus. Wie ein Smartphone, dessen Akku bei 1% steht, kann ich einfach keine Energie mehr für Anna aufbringen. Ich stehe entschlossen auf, bemüht dabei nicht hinzufallen und zeige ihr den Mittelfinger. "Fick Dich!"

Ziemlich schnell verlasse ich den Bahnhof. Ich kann mir nicht vorstellen auch nur eine weitere Sekunde mit Anna zu verbringen. Noch nie war ich so wütend und verletzt zugleich. Damit sie es nicht schafft mir zu folgen, verschwinde ich vor dem Terminal im dichten Straßenverkehr. Motorroller, Menschenmassen und Autos fliegen an mir vorbei. Wenn ich gleich einer von den 22.000 bin, soll mir das auch recht sein. Nach einer Weile fange ich an zu rennen und es passiert etwas Unerwartetes. Das grässliche Gefühl von Wut und Verletzung fällt von mir ab und ich spüre wie eine Welle aus Triumph und Adrenalin durch meinen Körper gepumpt wird. Endlich hat sie mir genug Gründe geliefert sie sitzen zu lassen. Bis hierher und nicht weiter. Und jetzt war ich sie endlich los. Sollte sie doch alleine schauen, wie sie zurecht kam. Ich hatte noch drei herrliche Wochen Vietnam vor mir. Neue Leute, Strände, alte Ruinen. Das alles lag noch vor mir und Anna würde mir nicht eine dieser Sachen kaputt machen.

Ich flüchte zurück ins Hostel. Zu meiner großen Erleichterung ist sie noch nicht da.
"Wie sollte sie auch?", kichere ich, "die hat viel zu große Möpse um so schnell zu sein wie ich."
Ich raffe meine Sachen zusammen und stopfe alles in meinen Rucksack. Mir egal, wenn ich die Übernachtung schon bezahlt habe. Mal eine Nacht ohne Anna zu verbringen erscheint mir inzwischen wie der Himmel auf Erden. Vor dem Hostel verschwinde ich wieder in der Menschenmasse.
Doch leider ist meine Adrenalindusche schnell wieder vorbei und ich fühle mich matt und gestresst. Naja, Hotels gibt es hier zumindest genug.
Erleichtert falle ich kurze Zeit später in meinem neuen Zimmer auf die Matratze.
Und schlafe ein.

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Albtraum Im DschungelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt