Es geht weiter in den Norden Malaysias. Hoch in den Bergen warten die Cameron Highlands auf uns. Bekannt für ihre nicht enden wollenden Teeplantagen und Erdbeerfelder. Ein tolles Ziel.
Hier wird mir klar wie sehr asiatische Menschen auf Selfies mit Europäern stehen. Wir treffen eine Schulklasse und alle sind ganz versessen darauf Fotos mit uns zu machen. Es interessiert sie nicht, wo wir her kommen oder wieso wir hier sind. Sie möchten nur ein Bild mit einem bildhübschen blonden Mädchen und einem europäischen Kerl. Nach etwas über dreißig Minuten sind wir etwas genervt von der ganzen Sache und Anna winkt verzweifelt dem Lehrer der Klasse zu. Dieser wird seine Sprösslinge schon wieder einfangen. Doch statt uns aus der Traube von Schülern zu befreien, kommt sogar der angelaufen und möchte ein Bild mit Anna haben. Ziemlich amüsiert darüber fahren wir mit einem deformierten Bus zurück in unser Hostel. Das war ein guter Tag und irgendwie habe ich Anna auch wieder in mein Herz geschlossen. Vielleicht hat sie mit einigen ihrer Kritiken ja sogar recht.Es geht weiter nach Georgetown. Eine Stadt auf der Insel Penang. Ich habe inzwischen viel über die Kultur hier gelernt. Zahlen wie vier, dreizehn oder vierzehn sind hier beispielsweise gottlos und bringen Unheil. Das liegt daran, weil das englische Wort "four", sich genauso anhört wie das Wort "Tod" im Mandarin. Und dass die Dreizehn eine böse Zahl ist, das weiß ja wohl inzwischen jeder. ;-)
Zudem lernen wir durch den Kontakt mit Menschen die Kultur etwas kennen. Während in Singapur noch jede Weltreligion vertreten war, ist Malaysia zu großen Teilen muslimisch geprägt. Doch je weiter man sich Thailand nähert, desto mehr Hindutempel finden sich.
Sowohl Buddhismus als auch Hinduismus haben auf mich in Europa immer eine diffuse Anziehungskraft ausgeübt. Doch seit ich hier bin, kann ich keine der Religionen noch ernst nehmen. Die Tempel sind kitschig, ihre Götter sehen aus wie die Figuren eines geschmacklosen Puppentheaters, und die Opfer haben irgendwie etwas Saloppes.
Man opfert Coca Cola, Snickers, Kekse, Wasser und sogar Geld wird auf offener Straße verbrannt. Eine Kultur, die der aufgeklärte, europäische Geist nicht verstehen kann. Es ist interessant diese Welt einmal ohne den Filter der Medien zu betrachten.In Georgetown angekommen habe ich von Anna den Auftrag bekommen unser Hostel zu finden. Ich möchte dafür die Fußgängernavigation nutzen, doch Anna findet das "dumm".
"Ich verwende nie Navigation", sagt sie, "das ist was für Trottel, die keinen Orientierungssinn haben."
Ich habe keine Lust mich erneut mit ihr zu streiten und versuche es einfach ohne. Doch leider ist der Bereich meines Gehirns, der für "Orientierung in einer lauten Stadt" verantwortlich ist, wohl in den letzten Jahren, zu einer kümmerlichen Rosine geschrumpelt. Willkommen digitale Demenz!
Nachdem wir offensichtlich zu weit gelaufen sind und Anna zum fünften Mal erwähnt wie müde sie ist, drücke ich ihr mein Handy mit der Karte in die Hand.
"Hier! Mach Du doch."
Sie schaut mich an als habe sie gerade etwas ziemlich Saures verschluckt.
"Bist du jetzt etwa schon wieder angepisst?"
Ich nicke. Natürlich bin ich angepisst, wenn ich was machen soll wozu ich nicht in der Lage bin. Ich habe schon seit ich klein bin den Orientierungssinn eines Bügeleisens.
Sie nimmt das Handy und versucht es selbst.
"Also ich finde Menschen, die angepisst sind dumm. Angepisst zu sein bringt einen nicht weiter."
Ich beiße die Zähne zusammen, und sage nichts mehr dazu. Es geht also schon wieder los.
Einige Zeit später finden wir, eher per Zufall, unser Hostel und buchen uns ein. Zu meiner großen Erleichterung ist auch Anna mit unserem Zimmer zufrieden. Es gibt sogar eine Klimaanlage.
Ich will gerade erwähnen, wie sehr ich mir wünsche mal alleine zu sein, als sie mit dem Finger auf etwas an der Wand deutet. Ein winziger Salamander sitzt ganz oben unter der Decke.
"Ja und?", frage ich und öffne den Reißverschluss meines Rucksacks, aus dem jetzt alle möglichen Utensilien gequollen kommen.
Anna starrt mich an, als sei ich schwer von Begriff.
"Mit dem Vieh da an der Decke schlafe ich gewiss nicht hier."
"Aha, ich finde ihn eigentlich ganz niedlich. Du kannst ihn ja rausscheuchen", sage ich und unterziehe einige meiner Socken einem Frischetest.
Doch Anna bewegt sich nicht von der Stelle.
"Du findest auch alle Tiere niedlich! Ich finde den unhygienisch, also mach ihn weg."
Ich unterbreche die Inspektion meines Inventars und seufze: "Ok, ich versuch's mal."
Als ich mich auf das antiquierte Bett stelle knatscht dieses, wie ein alter Rüde dem man gerade auf den Schwanz getreten ist. Ich klopfe mit einem Kleiderbügel vorsichtig an die Wand um die Echse aufzuscheuchen. Doch das klappt leider zu gut und das Tier flitzt an die Decke über dem Kleiderschrank. Außer Reichweite.
"Toll gemacht. Jetzt bekommen wir die nie", trötet Anna und beobachtet, wie ich auf der Matratze balancierend Richtung Schrank watschle. Den Kleiderbügel im Anschlag.
Vermutlich wäre ich mir schon ohne ihre Worte wie der letzte Depp dabei vorgekommen, aber irgendwie ist jetzt mein Jagdinstinkt geweckt. Anna reicht mir ein Glas und ich unternehme den vergeblichen Versuch es über das Tier zu stülpen. Es huscht viel zu schnell die Wand hinunter.
Erleichtert steige ich vom Bett. Jetzt muss das Vieh irgendwo hinter der Matratze lauern. Ich rücke vorsichtig das Bettgestell nach vorne, während Anna abschätzend daneben steht.
Doch obwohl ich mir so sicher war mein Opfer auf dem Boden zu finden, erblicken wir nur die leeren Bodendielen. Naja, vielleicht hatte er sich ja im Bett eingenistet. Ich ziehe es noch etwas weiter nach vorne und hebe die ganze Matratze aus dem Gestell. Dabei wird der Staub der letzten Wochen aufgewirbelt. Eine für Anna unzumutbare Belastung.
Doch trotz aller Strapazen ist von dem Salamander keine Spur.
"Du hättest mal besser hinschauen sollen. Ist das wirklich so schwer?", fragt Anna theatralisch und sieht mich an, als habe ich gerade einen ihrer engsten Angehörigen überfahren.
Ich merke inzwischen wie ich von Sekunde zu Sekunde wütender werde. Die Aktion einen Salamander zu fangen und zu suchen, wäre mit jedem meiner näheren Bekannten vermutlich ein sehr lustiges Unterfangen gewesen. Mit Anna war es eine größere Cortisolparty als eine Klausur in theoretischer Informatik.
"Weißt Du was", sage ich, "ich habe keine Lust mehr Deinen blöden Salamander zu jagen. Mich stört er nicht und ich will jetzt endlich mal alleine sein." Ich versuche so böse wie möglich zu klingen, doch irgendwie habe ich darin so wenig Übung.
Und jetzt geht Anna hoch. Sie explodiert förmlich, wie eine Frau, die mit einem defekten Metalldetektor ein Minenfeld betritt.
"Jetzt sei doch nicht schon wieder angepisst. Wegen jeder Kleinigkeit bist du ANGEPISST. Haben deine Eltern dir nicht beigebracht, wie man sich richtig und respektvoll anderen Menschen gegenüber benimmt? Hast du gar keine Manieren gelernt? Ich habe hier den Eindruck mit einem sechsjährigen meinen Urlaub zu verbringen. ICH HASSE DAS...! So etwas Unreifes habe ich noch niemals erlebt. Noch niemals! ..."
Ich darf mir erneut eines ihrer endlosen Pamphlete zu Moral und Benehmen anhören und frage mich innerlich, wie es mit uns weiter gehen soll. Als sie fertig ist nehme ich eines meiner verstaubten T-Shirts vom Bett und schwenke es wild durch die Luft.
"So, ich habe jetzt keine Lust darüber zu reden. Ich gehe jetzt alleine weg!"
Ich wechsel mein T-Shirt und verlasse das Zimmer. Wenn ich noch eine weitere Minute mit Anna verbringen muss, ist wieder ein ganzer Tag versaut. Doch leider ist sie von ihrer Predigt nicht so aus der Puste, wie ich gehofft hatte und folgt mir.
"David, das war jetzt aber auch eine echt doofe Situation mit der Echse. Wer will denn gleich so sauer werden?", fragt sie. Und plötzlich ist sie wieder das ängstliche Mädchen. "Ich möchte nicht alleine sein. Ich will die Stadt nicht alleine sehen. Lass uns irgendwohin gehen und darüber reden." Ihre Stimme klingt dabei so süß wie Honig.
Und weil ich irgendwie mit ihr klar kommen muss, gehe ich auf den Vorschlag ein und wir machen uns auf den Weg zu einem Park. Hier haben wir die Hoffnung durch eine rationale Auseinandersetzung eine Lösung für unser Problem zu finden.
Beim Park angekommen bin ich schon längst nicht mehr so sauer auf sie, wie ich es gerne wäre und kaufe einen Becher Wassermelone für uns. Quasi zur Versöhnung. Vielleicht lässt sich dieser Urlaub ja doch noch retten.
Anna setzt sich auf einen Stein mir gegenüber.
"David weißt du, was mir auch noch aufgefallen ist?"
Ich schüttle den Kopf. "Nee"
Sie schluckt ein Stück Wassermelone hinunter und sagt dann: "Ich glaube was mich auch teilweise so rasend macht ist die Tatsache, dass du mich immer so umgarnst. Ich habe ständig den Eindruck du wolltest mich anbaggern."
Als ihre Worte in meinem Neokortex eintreffen, bleibt mir ein großes Stück Melone im Hals stecken. Ich versuche es heraus zu prusten und der Boden unter mir wird mit vielen kleinen roten Flocken übersät.
"Wie bitte? Du glaubst ich wollte Dich Deinem Freund ausspannen?"
Doch Anna scheint das als unumstößliche Tatsache festgestellt zu haben und redet munter weiter. "Ja, du versuchst immer mich zu beeindrucken und machst mir alles so recht. Es ist ganz merkwürdig, obwohl du ja genau von meiner Beziehung weißt."
Ich versuche zu verarbeiten, was Anna da gerade behauptet hat, doch komme ich jetzt einfach nicht weiter. Zugegebenermaßen war sie eine schöne Frau und ich war ja auch nicht blind. Doch durch ihre laszive Art hatte ich eher den Eindruck sie lege es darauf an die Aufmerksamkeit irgendwelcher Männer zu erregen. Doch trotz alldem war sie einfach nicht mein Typ.
"Anna", versuche ich zu erklären, "vermutlich wird der Durchschnittstyp dich als attraktiv einstufen, doch wenn ich ehrlich bin, stehe ich eher auf südländische Frauen. Meine erste Freundin war Latina, und meine zweite kommt aus Haiti. Du bist wirklich ganz weit entfernt von meinem Jagdschema und da kannst du jeden fragen. Aber ich werde mir natürlich Mühe geben in Zukunft so wenige Pheromone wie möglich in deine Richtung zu versprühen, falls dir das hilft."
Ich habe etwas Angst jetzt schon wieder was Falsches gesagt zu haben, doch Anna scheint zunächst zufrieden. Während sie damit beginnt einen Monolog über ihre künstlerischen Träume abzuhalten, denke ich über die vergangene Woche nach. Hatte ich wirklich unterbewusst irgendwelche Versuche unternommen bei ihr zu landen? Wenn das so war, so konnte es nur in den ersten drei Tagen geschehen sein, denn danach konnte ich sie nicht mal mehr leiden. Doch abgesehen davon, dass ich mir echte Mühe gegeben habe ein guter Reisebegleiter zu sein, fällt mir nichts ein. Aber glücklicherweise waren ihre Ausbrüche, wie ein Strohfeuer. Kurz, intensiv und schnell vorüber. Das gab mir Hoffnung diesen Urlaub noch einigermaßen genießen zu können.Doch der wahre Terror hatte noch gar nicht begonnen.
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Albtraum Im Dschungel
PrzygodoweEine Reise voller Strapazen - wirklich! VOLLER STRAPAZEN