Prolog

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Runaground - Monster (Imagine Dragons Cover)

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Das Klirren der eisernen Ketten hallte von den hohen Wänden wieder, gemischt mit den schweren Schritten der Männer. Mit starren Blick schritt Loki voran, hinter ihm die Wachen. Unbeirrt blickte er dem Allvater entgegen, der den gefangenen Gott, den er einst seinen Sohn nannte, mit einem undeutbaren Ausdruck im Gesicht ansah.

»Loki«, Frigga trat aus den Schatten einer Säule. Ihre Stimme klang wehmütig, aber trotzdem besaß sie eine gewisse Schärfe.

»Hallo Mutter«, entgegnete der gefangene Mann mit einem hämischen Lächeln und drehte sich zu ihr, während die Wachen hinter ihm stehen blieben, »Erfülle ich dich mit Stolz?«

Seine Stimme triefte bei dieser Frage nur so vor Hohn.

»Bitte«, flehte sie, »Mache es nicht noch schlimmer.«

»Definiere ›schlimmer‹«, forderte er die Königin Asgards finster auf.

»Genug!«, donnerte die Stimme Odins durch den Saal, worauf hin Loki ihm den Kopf zu wandte. Frigga aber verblieb so wie sie war. Sie konnte ihren Blick nicht von dem Mann in Ketten wenden, dem sie über tausend Jahre die Mutter gespielt hatte. Mittlerweile war Loki ihr Sohn, so wie Thor. Auch wenn sie ihn nicht selbst geboren hatte, so hatte sie ihn doch mit Liebe und Wärme aufgezogen und ihm stets Geborgenheit geschenkt.

»Ich werde allein mit dem Gefangenen sprechen«, wandte sich Odin nach einer kurzen Pause an Frigga. Diese schenkte Loki noch einen letzten Blick, bevor sie sich abwendete und sich entfernte. Es war Loki egal, wie sich die Göttin gerade fühlte. Sie war nichts mehr weiter als eine Fremde, eine elende Lügnerin die ihm vorgespielt hatte ihn zu lieben! Warum nur hatte er diese Lüge nicht schon so viel eher bemerkt?

Nur kurz sah er ihr nach, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf Odin lenkte und sich ihm langsam näherte. Loki holte mit seinem rechten Bein aus, wodurch er die metallischen Fußketten gegeneinander schlug und das dadurch entstandene Geräusch von den Säulen und Wänden widerhallte. Die aufrechte Position mit dem kalten Gesichtsausdruck konnte er nicht lange aufrechterhalten; lachend drehte sich Loki weg, bevor er sich mit einem ernsten Schmunzeln wieder dem Allvater zu wandte.

»Wieso wird hier nur so viel Aufhebens gemacht«, fragte er den greisen Mann und zog seine Hände so weit auseinander, wie es die Ketten ermöglichten. Es hörte sich allerdings weniger wie eine Frage an.

»Erkennst du denn wirklich nicht, wie schwerwiegend deine Verbrechen sind? Wo du auch warst, überall herrschen Krieg, Verderben...«, stellte Odin fest und holte nur leise Luft für das folgende Wort, »... und Tod.«

»Ich bin nach Midgard hinabgestiegen, um über die Menschen zu herrschen wie ein huldvoller Gott«, Loki stieß entzückt die Luft aus, bevor er den König Asgards schief angrinste, »Genau wie du.«

»Wir sind keine Götter. Wer werden geboren, wir leben, wir sterben. Genau wie die Menschen.«

»Plus minus fünftausend Jahre«, drehte der Gott der List dem Allvater das Wort im Mund um, und grinste den einäugigen Mann breit und sicher an.

»All das nur weil Loki für sich einen Thron fordert«, schlussfolgerte Odin, wurde aber von Loki zornig unterbrochen: »Er ist mein Geburtsrecht!«

»Dein Geburtsrecht... war allein der Tod!«, erhob der greise Mann wütend das Wort und legte eine dramatische Pause ein, ehe er ruhiger fortfuhr, »Als Kind... ausgesetzt auf einem vereisten Felsen. Und hätte ich dich nicht aufgelesen, dann könntest du mir nicht hasserfüllt gegenüberstehen.«

»Soll mich die Axt richten, dann tue mir bitte den Gefallen und schwinge sie«, antwortete Loki und machte mehrere Schritte auf den alten Gott zu. Hochnäsig regte er seinen Hals, eine eisige Kälte spiegelte sich in seinen grünen Augen wieder. Der Lügengott spürte wie die zwei Männer hinter ihm die Ketten zurück zogen, als er sich dem Allvater näherte.

»Nicht das ich unsere kleinen Gespräche nicht schätze, doch...«, Loki hatte den Blick gesenkt und machte nun selbst eine Pause, bevor er seinen Kopf wieder hob und seinen Satz abfällig beendete, »... ich schätze sie nicht.«

»Frigga ist der einzige Grund wieso du noch lebst und du wirst sie nie wiedersehen«, Odin ging nicht auf Lokis abwertende Worte ein, sondern konfrontierte ihn sogleich mit seiner Strafe, »Du wirst den Rest deiner Tage im Kerker verbringen.«

Und Odin hatte es geschafft, für einen kurzen Moment konnte er Fassungslosigkeit im Gesicht seines Ziehsohnes erkennen. Loki wich zurück, ließ Odin aber nicht aus den Augen. Also bedeutete Frigga ihm doch etwas, aber was, wenn er von ihr erzählte?

»Und was ist mit Thor? Du machst diesen Hohlkopf zum König, während ich in Ketten verrotte?«

»Er ist dabei deine Fehler wiedergutzumachen. Er wird die Ordnung in den Neun Welten wiederherstellen. Und dann, ja, dann wird er König«, der Stolz in seiner alten Stimme war nicht zu überhören. Über die Reaktion von Loki lächelte der Alte sanft hinweg. Einer der Wachen packte Loki unsanft an den Schultern und wollte ihn wegdrehen, aber er befreite sich und trat zügig auf den Allvater zu. Von den Ketten jedoch wurde der gefangene Gott wieder zurückgezogen, aber das hielt ihn nicht auf.

»Und was ist mit Räven? Gewiss verweigerst du mir auch, meine Frau zu sehen, hab ich nicht recht?«, höhnte Loki, aber als er sah, wie sich aus dem sanften Lächeln eine traurige Miene bildete, entglitten auch Loki seine Gesichtszüge.

»Was hast du...?«, fragte er vorsichtig. Es entstand eine sehr lange und gespenstische Pause, bevor Odin nur langsam den Kopf hob. Selbst aus dieser Entfernung erkannte Loki, wie das gesunde Auge des Allvaters schimmerte.

»Räven... ist...«, dem Allvater erstickten die Worte im Hals. Dieses Zögern machte den Lügengott innerlich fast wahnsinnig, doch ließ er sich von außen nichts von seiner Ungeduld anmerken. Was war mit seiner gütigen, klugen und starken, wunderschönen Frau?

»Die mächtige Fuchspriesterin Räven ist tot.«

Diese Worte schafften es, Loki all seine Fassung zu rauben. Benommen, oder als hätte man ihm einen harten Schlag gegen den Brustkorb verpasst, taumelte er zurück. Das konnte nicht sein. Nein, Räven war nicht tot, Odin wollte ihm nur alle Hoffnungen nehmen!

»Hör auf zu lügen! Warum sollte sie tot sein?«, keifte Loki aufgebracht und wollte erneut auf Odin zu gehen, aber diesmal hielten ihn die Wachen zurück. Sie hatten die Ketten kurz gefasst und zogen ihn zurück, trotzdem stemmte sich der Gott dagegen.

»Ich lüge nicht, Loki. Und das weißt du. Du erkennst jede Lüge, die man versucht dir aufzutischen«, versicherte der König. Ja, Loki wusste es. Es wusste, dass der Allvater nicht log. Aber er wollte es nicht wahrhaben...

»Wann...?«, fragte er mit bebender Stimme, wagte es nicht mehr Odin anzusehen. Räven war die Einzige gewesen, der er wirklich vertrauen konnte. Die Einzige, die selbst während seinen Verbrechen noch treu hinter ihm stand und es aber immer wieder versuchte, ihn zur Vernunft zu bringen.

Das letzte Mal, als er sie gesehen hatte, war auf Midgard. Im Tower von diesem Tony, wo sie ihn zurückhalten wollte.

»Sie starb auf Midgard, während du dort versuchst hast König zu werden. Im Grunde«, Odin erhob sich schwerfällig, »Im Grunde starb sie direkt neben dir, in den Armen eurer Tochter.«

Glasengel {Doctor Strange FF}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt