»Oh, guten Morgen, kleine Faye. Du hast dich ja schon lange nicht mehr blicken lassen!«, erklang neben ihr die etwas vorwurfsvolle Stimme einer hochgewachsene Frau, welche sich mit verschränkten Armen gegen das Bücherregal lehnte, »Wobei, so klein bist du gar nicht mehr.«
Faye drehte sich erschrocken um.
»Angelica! Du hast mich ganz schön erschreckt«, lachte Faye beherzt, »Ich habe heute einen freien Tag und wollte euch einfach mal besuchen. Vielleicht gehe ich nachher noch zu Ainsworth oder reise nach Island zu Lindel und meinen Brüdern.«
»Du bist ganz schön früh.«
»Ich weiß, schuldige. Bei uns ist die Sonne bereits aufgegangen. Wie geht es dir und deiner kleinen Tochter? Und natürlich deinem Mann. Und wie läuft das Geschäft zur Zeit?«
Angelica stützte sich von dem Regal ab und drehte sich um, vorauf hin das Mädchen ihr folgte. Sie sah immer noch so aus wie Faye sie in Erinnerung hatte. Hochgewachsen, schlank, leicht muskulös, etwas großbrüstig, schwarzes Haar und dunkle Augen. Auch der grüne Schutzanzug war immer noch der selbe und ebenso trug sie noch die schwarzen Armstulpen. Da war Angelica als kleines Mädchen ein großes Missgeschick bei einer Übung passiert. Sie hatte sich an etwas versucht, was sie zu diesem Zeitpunkt mit ihrem geringen, kindlichem Wissen noch nicht kontrollieren konnte und seitdem waren ihre Unterarme mit großen, kristallartigen Splittern bestückt.
»Uns geht es soweit ganz gut, das Geschäft hält sich allerdings in Grenzen. Ich würde dir auch gerne sagen, dass es Ainsworth und seinem Rotkelchen gut geht, aber er war schon eine Weile nicht hier«, antwortete sie betrübt und warf den langen, geflochtenen Zopf über ihre Schulter nach hinten, und öffnete die Tür zu einem Nebenzimmer. Schnell schlüpfte Faye hinter ihr hinein. Aufmerksam sah sie sich um. Es hatte sich nicht viel in dem Arbeitszimmer der Magiehandwerkerin verändert, überall lagen Maschinen und Edelsteine, und in den Schränken standen Bücher, lagen ordentlich aufeinander gehäufte Zettel und die unterschiedlichsten Gefäße mit verschiedenen Flüssigkeiten. Und überall befanden sich natürlich die unterschiedlichsten Feenwesen. Mit einem bezauberten Lächeln sah sich Faye um. Sie hatte schon lange keine mehr gesehen, in Kathmandu gab es nur wenige Magier, deren Nähe sie anzog. Es gab einen großen Unterschied zwischen Magier und Zauberer. Während Zauberer ganz normale Menschen waren und sich die Magie so zu nutze machten, dass sie mit ihr die Regeln der Welt umschreiben oder umordnen konnten, wurde Magier bereits mit Magie geboren. Diese Magie gab ihnen nicht nur ein längeres Leben – wobei manche wirklich viele tausend Jahre leben konnten, ähnlich wie das Leben eines Halbgottes – sondern ermöglichte es ihnen auch mit Hilfe der in der Welt lebenden Feenwesen und Naturgeistern diese Regeln zu beugen und ein natürlich gewünschtes Ergebnis zu erzielen. Unter den Menschen gab es nur sehr, sehr wenige, welche die magischen Wesen sehen konnten, ihnen fehlte meist das Auge, ein innerer Sinn der es ihnen ermöglichte, das Magische zu sehen. Selbst wenn sie zu Zauberern wurden, konnten sie keine Feenwesen oder Naturgeister sehen, sie blieben ihnen dennoch verborgen. Einzig die mit Magie geborenen Menschen, also die Magier, waren dazu in der Lage. Es gab schon sehr viele Vorteile als Magier, wofür sie von Zauberern gehasst wurden. Leider waren Magier und Zauberer schon seit Menschengedenken verfeindet, wobei sich die Magier weniger um Zauberer scherten als anders herum. Faye war dieser uralte Streit jedoch ziemlich egal. Sie war zwar eine Magiegeborene, wollte aber schon seit sie ein kleines Mädchen war zur Ältesten nach Kamar-Taj, obwohl diese eine Zauberin war. Es lag wahrscheinlich an ihr, der dieser sinnlose Streit ebenso egal war und die seit vielen Jahrhunderten eine gute Freundin von Fayes Mutter war.
»Ist irgendetwas vorgefallen?«, fragte die hellblonde Frau und ließ sich auf einen Hocker neben dem Arbeitstisch fallen. Es war zwar unter allen Zauberern und Magiern bekannt, dass sich der schwarze Magier nur selten in der Öffentlichkeit zeigte, aber so wie sich Angelica anhörte, so war er wohl schon eine sehr lange Zeit nicht mehr da.
»Hm... Lass mich mal kurz überlegen«, murmelte Angie und sah zu Faye, »Wenn ich mich recht entsinne, wurde er nachdem Tod von Räven sehr... Wie soll ich sagen? Noch ruhiger als sonst schon und zog sich fast gänzlich zurück. Ab und an nahm er noch einen Auftrag von der Kirche an, aber ansonsten konzentrierte er sich gänzlich auf die Ausbildung von Chise. Sie kam zwischenzeitlich zusammen mit Ruth und manchmal sogar mit Alice her, ihr letzter Besuch ist jetzt aber auch schon einige Monate her.«
Das stimmte die junge Frau ins Grübeln. Ob er sich sehr viele Gedanken darüber machte, was aus ihr und ihren Brüdern wurde? Schließlich war ihre Mutter Räven eine gute Freundin von ihm gewesen, fast schon wie eine Familie, und er hatte die Aufgabe übernommen, Faye ins Kamar-Taj zu bringen und ihre beiden Brüder zum Drachenwächter Lindel nach Island – dem letzten Land der Drachen.
»Vielleicht macht er sich Gedanken darüber, wie man Cartaphilus endgültig das Handwerk legen könnte«, grübelte Faye laut. Mit tiefster Verachtung sprach sie diesen Namen aus. So gern würde sie ihn leiden sehen, um sich für den Tod ihrer Mutter zu rächen. Genauso dafür, dass er Faye von Malou getrennt hatte und sie nicht wusste, ob ihre kleine Freundin mit den Honigdachsgenen noch lebte oder nicht. Aber Rache war nicht das, was sich ihre Mutter wünschen würde. Malou wäre da schon begeisterungsfähiger. Außerdem hatte er den Tod nicht verdient, dies wäre eine noch viel zu milde Strafe.
»Mama, hast du etwa jetzt schon einen Kunden?« Faye sah auf, ein Lächeln zog sich langsam über ihr Gesicht. Ein kleines Mädchen öffnete die Tür und blickte herein. Als sie die junge Frau erblickte, breitete sich ebenfalls ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
»Faye!«
»Hey! Na kleine Maus, wie geht es dir?«, fragte sie erfreut. Das kleine Mädchen eilte auf sie zu und umarmte Faye stürmisch. Sie erwiderte die Umarmung des schwarzhaarige Mädchens herzlich. Lange hatte sie die Kleine schon nicht mehr gesehen.
»Mir geht es sehr gut. Und dir?«, fragte sie und sah hoch.
»Mir geht es auch sehr gut, Althea. Du bist ganz schön groß geworden.«
»Hehe, danke. Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt?«
Faye lächelte sanft. Angies Tochter war wirklich süß, aber sie selbst wollte keine Kinder haben. Das war ihr alles zu viel Arbeit. Außerdem hatte sie mit ihrer Ausbildung zur Zeit selbst genug zu tun.
»Ich hab sehr viel zu tun während meiner Ausbildung, kleine Magierin«, antwortete sie schmunzelnd.
»Ich verstehe wirklich nicht, warum du dich von einer Zauberin ausbilden lässt. Es muss doch bestimmt gute Magier geben, die -«, begann das Mädchen, wurde aber streng von ihrer Mutter unterbrochen.
»Althea! Bitte geh wieder zurück und bereite deine Übungen schon einmal vor. Sobald wir fertig sind, komme ich und wir können anfangen«, bat Angelica ihr Kind, aber die Kleine wollte nicht.
»Warum darf ich nicht hier bleiben? Was müsst ihr so wichtiges besprechen, dass ich nicht hier bleiben darf?! Dabei hab ich Faye schon so lange nicht gesehen!«, rief Althea aufmüpfig, drehte sich dann aber schnell um und verschwand wieder. Angie ließ sich seufzend auf den zweiten Hocker fallen und lehnte sich zurück.
»Schuldige wegen ihr«, murmelte sie, aber Faye winkte ab.
»Ich habe die Kleine ja auch schon lange nicht mehr gesehen, mich hat es sehr gefreut. Ich fand es wirklich nicht schlimm«, antwortete sie beruhigend. Noch einmal seufzte die Handwerkerin leise, bevor sie sich an die junge Frau wandte.
»Also, was machen wir denn jetzt? Willst du vielleicht mit uns frühstücken?«
Faye schüttelte lächelnd den Kopf.
»Nein, ist schon in Ordnung. Ich habe keinen Hunger«, lehnte sie das Angebot höflich ab.
»Na, du siehst mir aber so aus als wenn du ziemlich dringend etwas zu Essen brauchst. Sag mal, gibt es da bei euch etwa kein vernünftiges Essen?«, fragte Angelica leicht entsetzt und Faye musste daraufhin lachen. Jetzt kam bei ihr eindeutig die Mutter durch.
»Oh ja, dort haben wir vernünftiges Essen. Um meine Ernährung brauchst du dich nicht zu sorgen«, um ihre Aussage zu bekräftigen, setzte Faye noch ein bejahendes Nicken hinterher. Aber auch das schien die Magierin nicht zu glauben.
»Ja ja«, murmelte sie nur und zog grinsend die Augen zusammen, »Da fällt mir was ein.«
Die Handwerkerin stand rasch auf und verschwand in der kleinen Lagerkammer nebenan. Neugierig machte Faye den Hals lang, aber erkennen konnte sie in der dunklen Kammer nichts. Sie hörte es nur klappern und klirren. Dann kam die dunkelhaarige Frau auch schon wieder. Mit einem stolzen Grinsen trug sie eine verstaubte kleine Kiste mit sich, die sie vor Faye auf ihren Arbeitstisch stellte. Abwartend blickte sie auf. Ohne langes Zögern öffnete Angie den Deckel.
»Wo du ja schon mal hier bist: Das ist für dich«, meinte sie, »Weißt du, ich hatte vor einiger Zeit das Gefühl, als wenn Räven mich besucht hätte. Ich habe sie nicht gesehen, sie war auch materiell gar nicht da. Aber ich konnte die Präsenz ihres Geistes spüren. Sie bat mich, dies hier für dich anzufertigen.«
Langsam stand das Mädchen auf und warf einen Blick hinein in die Kiste. Ihre Mutter? Faye glaubte, sich verhört zu haben. Sie war doch tot, oder konnte sie irgendwie aus dem Reich der Toten herauskommen?
Angelica hatte wirklich ganze Arbeit geleistet, denn das waren nicht irgendwelche Dinge. Es waren hauptsächlich Kampfutensilien. Behutsam nahm sie zuerst das kurze Schwert in die Hand. Es war weder ein Dolch, noch ein richtiges Schwert, aber von der Größe her irgendwas dazwischen.
»Bestehend aus den Schuppen der letzten Drachen und Diamant und wurde, auf Wunsch deiner Mutter, im Höllenfeuer geschmiedet«, kommentierte die Magierhandwerkerin. Faye brachte kein Wort heraus, auch nicht als sie die kunstvoll verzierte Schwertscheide in die Hand nahm. Das Leder fühlte sich sanft in der Hand an. Aber Faye wollte auch gar nicht fragen, wie Angie ans Höllenfeuer gekommen ist.
Sie trat einige Schritte vom Tisch weg und schwang dann das Schwert ein paar Mal um sich herum. Es lag leicht in der Hand, auch wenn seine Plumpheit was anderes erahnen ließ. Grinsend drehte sie sich wieder um, legte es auf dem Tisch ab und nahm die nächste Waffe raus. Nein, es war keine Waffe, sondern ein Kleidungsstück. Es war ein Mantel, dunkles violett, mit einem leicht goldenen Schimmern und ziemlich schwer. Ratlos sah Faye zu der alten Freundin ihrer Mutter.
»Dieser Mantel ist aus dem Feuerhaar der Island-Drachen und den Federn des Donnervogels gewebt. Er soll dich vor jeglichen Verletzungen schützen, wenn du ihn trägst«, erklärte Angie, »Das spezielle Webverfahren hierfür macht ihn zwar extrem schwer, dafür aber ist er feuerfest und undurchdringbar.«
Auch diesen probierte Faye aus. Auf den Schultern lag er ebenfalls schwer, aber daran würde sie sich mit der Zeit gewöhnen. Sie nahm ihn allerdings nicht ab, als sie erneut in die Kiste griff. Auch das war eine Waffe. Eine Peitsche. Genauer bezeichnet eine Karbatsche.
»So, der Holzstiel ist aus Haselstrauch und die Hanfseile habe ich mit Feuerhaar verstärkt, damit die Seile nicht verbrennen wenn du sie verwendest«, beschrieb sie und überreichte Faye die Karbatsche.
»Wieso verbrennen?«, fragte sie unwissend nach und wog die Peitsche in der Hand. Das geflochtene Hanfseil war lang, gut drei Meter, aber zu ihrem Erstaunen auch nicht viel schwerer als das Schwert.
»Du kannst deine Feuermagie, die du ja als Fuchsgeist besitzt, auf das Seil übertragen. Auch wenn die Karbatsche nur drei Meter lang ist, so kannst du sie mit deiner Feuermagie nach belieben verlängern. Aber probiere das bitte nicht hier drinnen aus«, antwortete Angie grinsend. Auch Faye lächelte, denn tatsächlich hatte sie daran gedacht, die Karbatsche in Angelicas Arbeitszimmer auszuprobieren.
»Ich warne dich, es auch nur ansatzweise zu versuchen«, trällerte eine hohe Stimme neben Faye. Lachend sah sie zu dem Stimmenträger, welcher sich aus einer Art Wasserball neben Angie zu einem breit grinsenden Vodyanoy, einem Wassergeist, formte.
»Hugo, wie schön dich zu sehen. Und nein, natürlich hatte ich nichts dergleichen vorgehabt«, verteidigte sich Faye grinsend. Auch das Feenwesen grinste breit. Dabei funkelte seine rote Iris schelmisch.
»Danke dir, Angelica. Es bedeutet mir wirklich viel, dass du das alles für mich angefertigt hast«, bedankte sich Faye lächelnd und umarmte die große Frau, »Ich werde jetzt aber erst mal wieder zurück und dann zu meinen Brüdern nach Island, wenn es etwas später ist.«
»Ach was, wirklich? Dabei bist du doch eben erst gekommen«, brummte Hugo. Der kleine Wassergeist sah sie mit einer Flunsch im Gesicht an.
»Jetzt komm schon, sie kommt sicher bald wieder. Schließlich muss sie Ainsworth auch noch irgendwann besuchen, stimmst?«
»Was? Diesen schrecklichen Unhold?«, fragte Hugo entgeistert, aber die beiden Frauen taten so, als hätten sie seinen Ausruf überhört.
Faye nickte auf Angelicas Antwort hin.
»Genau.«
Kurz sah Angelica die junge Frau stumm an, dann hellte sich ihr Blick mit einem Mal auf.
»Ach ja, ich sollte auf deinen Umhang eine Rune sticken.«
Fragend blickte Faye zu Angie. Sie trug eine Rune auf ihrem Rücken?
»Auf deinem Rücken steht die Rune Algiz, also die Rune des Schutzes. Räven erzählte mir, dass diese Rune am besten zu dir passt. Und das du alle beschützen musst, die dir am Herzen liegen«, erklärte die Handwerkerin. Faye nickte langsam. Schutz, das bedeutete eine Menge an Verantwortung. Ob sie dem gewachsen war? Wenn ihre Mutter zusammen mit Kjell und ihrem Schutzgeist einen Auftrag der Kirche nachging, bat sie Faye immer darum, auf das Haus und die Jungen aufzupassen, obwohl ihr Vater immer da war. Für Faye war das stets eine ehrenvolle und stolze Aufgabe gewesen und sie wollte ihre Mutter nicht enttäuschen.
Aber traute ihre Mutter ihr wirklich eine der Runen an, die sie in ihre Sichel graviert und ihr immer so viel bedeutet hatten?
»Danke, Angelica.«---
Moin und guten Abend zusammen :)
Eigentlich sollte ab sofort jeden Sonntag ein Kapitel hier und am Mittwoch ein Kapitel bei Let's Rocket kommen, aber mein Laptop ist heute abgeschmiert und ich komme nur noch über das Handy oder dem Laptop meiner Mutter an Wattpad. Ich weiß also nicht, ob ich es erstmal rechtzeitig zu den Terminen schaffe die ich mir gesetzt habe. Möchte mich dafür auch im Vorraus entschuldigen >.<!
Wünsche euch noch einen schönen Abend ♥
~ Pike
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Glasengel {Doctor Strange FF}
Fanfiction"Es ist, wie Heimdall es einmal sagte: Du bist ein Zerstörer, Thor, Odinssohn." Seit dem Tod ihrer Mutter lebt Faye im Kamar-Taj bei der Obersten Zauberin und wird von ihr streng, aber mit Liebe unterrichtet und erzogen. Im Orden gilt sie als beste...