Phil Lober - Lara
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Chaos. Zerstörung. Schreie. New York brannte, aus dem riesigen schwarze Wurmloch am Himmel strömten immer mehr und mehr Monster und griffen die große Stadt an. Menschen flohen, überrannten sich, drängten durch die Straßen hinaus aus ihrer brennenden Heimat. Niemand interessierte sich noch für sein Hab und Gut, für seine Mitmenschen. Sie alle dachten nur daran, ihre eigene Haut zu retten. All die Versprechen, ihre Freunde und Familien wären ihnen am wichtigsten, waren vergessen. Kinder wurde zurückgelassen. Schutzlos. Weinend.
Grinsend stand der Mann am Rande eines der großen Gemäuer. Die Menschen fürchteten sich vor ihm, so wie sie es sollten vor ihrem neuen Herrscher. Es dauerte nicht lange bis die Stadt dem Erdboden gleich gemacht war. Nichts erinnerte mehr an die große, imposante Stadt, die die Menschen so sehr liebten. Sie glich nur noch einem riesigen Berg aus Geröll. Und zwischen all dem Metall, den Balken, dem Beton lagen Menschen. Zerquetscht, zerstückelt. Und ganz oben auf dem höchsten Punkt des Berges stand er. Verrückt grinsend, begeistert von seinem Sieg. Er kniete sich nieder und packte die Frau neben sich an ihren schulterlangen, schönen roten Locken. Kurz verschwand sein Grinsen und er strich in Gedanken vertieft über ihr lebloses Gesicht. Ihre goldenen Augen waren verblast, ihr Haar klebte blutverkrustet an ihrem Gesicht.
Sein Weib.
Mutter!
Dann stieß er sie von sich, sein widerliches Grinsen kehrte zurück und verlieh seinen grünen Augen einen verrückten Ausdruck. Dann trat er den Jungen neben sich weg. Auch er hatte rotes Haar, das gleiche runde, leicht quadratische Gesicht wie die Frau.
Nagi!
Ein zweiter Junge, etwas älter als der andere und mit den selben schwarzen Haaren wie die des Mannes, lag neben dem rothaarigen Jungen.
Narfi!
Alle lagen sie tot zu seinen Füßen... Sein Weib, seine beiden Söhne, die Königin Asgards, der Allvater, Thor, Chise, Thorn, Lindel, Malou... All jene, die sie liebte.
Und dann stand er vor ihr, hob ihr Kinn an. Das Kinn, welches lange, tiefe Narben zierte vom linken Auge über Nase und Mund bis runter zur rechten Schulter. Sein Lachen dröhnte in ihren Ohren, am liebsten hätte sie ihn in diesen Moment umgebracht. Abgeschlachtet, so wie er es mit den Menschen getan hatte. Aber ihr Körper gehorchte ihr nicht. Mit einem breiten Grinsen sah er sie an. In seinen Augen spiegelte sich nichts. Keine Emotionen, keine Spiegelung seiner Umwelt. Seine grünen Augen waren nur noch dunkle, funkelnde Seen in deren Tiefen versteckt das Böse und jeglicher Hass auf das Leben verborgen lagen.
»Ich habe euch geliebt. Ich habe versucht, euch alles zu geben, aber nie war es genug«, flüsterte er gefährlich ruhig und sein Blick schweifte ab, versank in Trauer und einer Vergangenheit, die keiner mehr ändern konnte, »Immer stand ich in seinem Schatten. Nie konnte ich Odin zufrieden stellen, nie konnte ich meinem Sternenhimmel und euch das geben, was ihr verdient habt...«
Dann aber kehrte dieser verrückte, emotionslose Blick zurück.
»Endlich ergibt alles einen Sinn. Warum er Thor all die Jahre bevorzugt hat! Auch dich werde ich von all dem Übel befreien. So wie meinen hellsten Stern am Firmament und meine Söhne, meine schöne Tochter. Jetzt kann er euch nichts mehr anhaben!«, grinste er und zückte einen Dolch, wollte zustechen...
Vater!Keuchend und verschwitzt wachte Faye auf. Schon im nächsten Moment rannen ihr unaufhaltsam die Tränen über die Wangen. Wie konnte das alles nur passieren? Seit diesem Tag hatte sie schreckliche Albträume, jede Nacht den gleichen und doch war jeder Traum anders. Grausamer als der vorherige. Sie wusste, dass es nur Träume waren und ihr Vater New York nicht ganz zerstört hatte. Hatten ihn doch Thor und die Avengers aufgehalten.
Leise schluchzend zog Faye die Beine an ihren bebenden Oberkörper, vergrub ihr Gesicht zwischen ihren Armen, versuchte dem leisen Rauschen des Regens zu lauschen, der sich über Kathmandu ergoss. Und seit jenem Tag in New York war sie hier, im Kamar-Taj, ihre Brüder bei dem Hüter der Drachen auf Island, Thor zurück in Asgard wo ihr Vater nun in den Verliesen saß.
Nun war sie hier, ohne ihre Mutter.
Wütend und traurig fegte sie die nasse Decke von ihrem Bett und starrte durch das kleine, dunkle Zimmer durch das Fenster hinaus in die verregnete Nacht. Genau... Ihre Mutter starb, direkt vor ihren Augen. Hatte sie beschützt vor eine der Chimären, die Cartaphilus auf sie losgelassen hatte. Er hatte sich wirklich den besten Moment ausgesucht, gegen ihre Mutter zu kämpfen. Dann, als Loki den Chitauri das Portal zur Erde geöffnet hat. Faye verlor an diesem Tag nicht nur ihre Mutter, auch ihren kleinen Schutzgeist. Cartaphilus schaffte es, die Verbindung zwischen ihr und ihrem Schutzgeist zu trennen und ließ Malou verschwinden. Einfach so. Verschluckt von einem schwarzen Loch.
Es würde nie wieder so sein wie früher...
Da Faye sowieso nicht mehr schlafen konnte, stand sie auf und zog das Lacken ab und auch den Bezug des Kissens. Wieder war alles nass... Alles drei warf sie zu ihrer Tür, pellte sich selbst aus ihrem nassen BH und der grauen Jogginghose und suchte sich aus ihrem Schrank neue Unterwäsche. Während sie sich anzog und dann hinüber zu ihrem kleinen Schreibtisch ging, wo über die Stuhllehne ihre Sachen hingen. Die, die sie meist im Kamar-Taj trug. Erst zog sie sich die dünne, schwarze Hose an, dann das schwarze Langarmshirt, welches sie vor ihrer Brust zu schnüren musste. Über die schwarze Hose zog sie noch eine, ebenfalls dünne, weiße Hose, über das Shirt eine weiße Weste und einen feuerroten, breiten Gürtel. Schlussendlich noch das weiße Halstuch, mit welchem sie immer versuchte ihre Narben im Gesicht zu verstecken. Sie waren eine ständige Erinnerung an das, was vor ungefähr einem halben Jahr in New York geschehen war, und sie wollte nicht ständig angestarrt und gefragt werden, wo sie sich diese denn zugezogen hat.
Kurz ließ Faye ihren Blick durch das Fenster gleiten, ließ ihre empfindlichen Ohren jedes kleinste Geräusch wahrnehmen, dann sah sie zum Mond über den gewölbten Dächern von Kathmandu.
Ihre Gedanken schwirrten umher, mal ergaben sie ein Bild und dann herrschte wieder Chaos in ihrem Kopf. Am liebsten würde sie jetzt raus laufen auf den Trainingsplatz um zu meditieren oder für sich zu kämpfen, aber der Regen hielt sie davon ab. Ihr zweiter Rückzugsort war die Bibliothek, dort würde bis auf dem Bibliothekar bei Nacht niemand sein.
Sie drehte sich zu ihrer Tür, schob die verschwitzten Sachen etwas beiseite, würde sie am nächsten Morgen wachsen gehen, zog sich schnell die dunklen Stiefel an und drehte den Schlüssel um. Fay ließ eigentlich immer ihren Schlüssel stecken, schloss auch immer ab sobald sie ihr Zimmer betrat oder verließ. Nachdem sie die Tür wieder verschloss, hängte das Mädchen sich den Schlüssel um den Hals und versteckte ihn unter der weißen Weste. Als sie auch das Halstuch bis über ihre Nasenspitze gezogen hatte und man nur noch einen kleinen Strich der Narbe über ihrem linken Auge erkannte, drehte sie sich um und lief in Richtung der Bibliothek. Mit einem leisen Seufzen strich sie sich den hellblonden, fast silbernen Pony aus der Stirn. An ihre Haare hatte sie gar nicht gedacht. Die waren immer noch vom Schlaf zerwühlt. Aber Faye würde sowieso keinem begegnen, von daher war es auch egal.
Nach wenigen Meter atmete Faye einmal tief ein und verwandelte sich in einen weißen Fuchs. Das man ihr in dieser Gestalt die Narben im Gesicht ansehen konnte, störte sie aber seltsamerweise weniger.
Wie ein leuchtender Schatten bewegte sie sich durch die dunklen Gänge des Kamar-Taj. Ihr feines Gehör nahm jedes noch so kleine Geräusch auf. Zwischen dem Regen konnte sie auch das leise Flüstern der Windspiele von draußen hören, das friedliche Murmeln der schlafenden Schüler, das kaum wahrnehmbare Knarzen der Dachbalken.
Als sie den Gang hinunter zur Bibliothek lief, konnte Faye schon den Bibliothekar hören. Er war allein, blätterte in einem alten Buch. Das Mädchen liebte dieses Geräusch von aneinander reibenden Seiten. Die Bücher mit ihrem vertrautem Geruch gaben ihr Geborgenheit, fingen sie auf. Erinnerten sie aber auch immer wieder an die Zeit vor New York, vor Thors Krönung. Ja, davor war alles noch normal. Ihr Vater Loki saß viele Abende lang mit ihr, ihrem Tiergeist und ihren zwei Brüdern vor dem Kamin und las ihnen Geschichten von bösartigen Königinnen, liebenswürdige Monstern und verwunschenen Göttern vor. Schon allein der Gedanke an diese Augenblicke trieb Faye Tränen in die Augen, denn im nächsten Moment sah sie das zerstörte New York vor sich und ihre Albträume schoben sich vor ihre Erinnerungen, die sie verzweifelt umklammert hielt. Sie war so wütend auf ihren Vater gewesen und hatte ihn angegriffen, nachdem ihre Mutter in ihren Armen gestorben und Loki durch die Avengers schon längst kampfunfähig war. Trotzdem hatte Faye ihm gedroht. Ihm versprochen, ihn zu jagen und zu töten, sollte sie jemals erfahren, dass er auf freiem Fuß war.
In der Bibliothek verwandelte sie sich wieder in eine junge Frau und grüßte den Bibliothekar. Er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, dass Faye fast jede Nacht vorbei kam und lernte. Er sagte auch nichts dagegen. Passte nur auf, in welche Bücher sie neugierig ihre Nase steckte.
»Was führt dich heute, in dieser regnerischen Nacht, zu den Büchern, weißer Fuchs?«, fragte er freundlich, »Hat dich der Regen etwa schlaflos gemacht?«
Mit einem leichten Lächeln schüttelte sie den Kopf und sie merkte wieder einmal nicht, dass er es hinter dem Tuch eigentlich gar nicht sah.
»Ich kann nicht schlafen. Die Träume«, antwortete Faye mit ihrer ruhigen, fast schon flüsternden Stimme. Seit ihre Mutter tot und Malou verschwunden war, fühlte sie sich extrem verunsichert und schutzlos. Sie hoffte wirklich, dass sie hier über sich hinaus wachsen und stärker werden konnte.
Mit einem mitleidigen Lächeln nickte der Bibliothekar nur. Eigentlich suchte sie immer wegen ihren Träumen Zuflucht bei ihm und den unzähligen, uralten Büchern.
»Komm mit.«
Ohne Zögern und Fragen folgte sie ihm ins Archiv, wo er zwischen den Regalen verschwand und schließlich wieder mit zwei dicken Büchern vor ihr stand.
»Vedisch, klassisches Sanskrit«, erklärte er und reichte ihr die beiden Bücher. Auch wenn er ihr Lächeln nicht direkt sah, so konnte er es doch aus ihren Augen heraus lesen.
»Danke«, flüsterte sie und zog sich im selben Moment zu einem der Tische zurück, von wo aus sie das Augen von Agamoto betrachten konnte. Aber für dieses interessierte sie sich in diesem Moment überhaupt nicht. Das Sanskrit war viel spannender und lenkte ihre Gedanken von dem unheilvollem Traum über ihren Vater ab, in dem er wie in jedem ihrer Träume alles zerstörte und jeden, den sie liebte, getötet hatte.
In denen er sein Ziel erreicht hatte.
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Glasengel {Doctor Strange FF}
Fanfiction"Es ist, wie Heimdall es einmal sagte: Du bist ein Zerstörer, Thor, Odinssohn." Seit dem Tod ihrer Mutter lebt Faye im Kamar-Taj bei der Obersten Zauberin und wird von ihr streng, aber mit Liebe unterrichtet und erzogen. Im Orden gilt sie als beste...