Ich steige aus der Dusche und wickle erst ein Handtuch um mein Haar, dann eines um meinen nassen Körper. Nach Abtrocknen und Eincremen gehe ich in mein Schlafzimmer. Ich betrachte mich in dem großen Spiegel, während ich mein Haar mit dem Handtuch vorsichtig trocken knete. Ich war schon ewig nicht mehr beim Friseur, weshalb meine honigblonde Mähne mir mittlerweile bis weit unter den Busen reicht. Früher gefiel mir mein Spiegelbild. Ich bin nicht eingebildet, aber ich bin zufrieden. Blaue große Augen, gerade Nase, geschwungene Lippen. Das Gesicht meiner Mutter. Auch deshalb gefällt es mir. Auch an meinem Körper habe ich nichts auszusetzten. Ein straffes C-Körbchen, flacher Bauch, ein wohlgeformter Hintern und lange schlanke Beine. Eine Tänzerfigur. Von den Haaren bis zum Bauch gefällt mir auch jetzt noch alles.
Aber von der Hüfte abwärts möchte ich mich lieber gar nicht ansehen. Die zum Teil großen Narben auf beiden Seiten meiner Hüfte und auf meinem linken Bein sind furchtbar. Die Ärzte haben sich wirklich Mühe gegeben und eigentlich sind die Narben den Umständen entsprechend gut verheilt. Trotzdem finde ich sie abgrundtief hässlich. Außerdem erinnern sie mich jedes Mal an den verdammten Abend vor 18 Monaten. Deshalb wende ich auch diesmal den Blick ab und gehe nach nebenan in meinen Kleiderschrank.
Ja, ich kann in meinen Kleiderschrank reingehen. Mir hätte auch ein normaler Schrank gereicht, aber bei der Wahl der neuen Wohnung hatte ich nicht viel mitzureden. Seit dem Unfall packt meine Mutter mich in Watte. Ich liebe sie, aber ich hätte es auch keine Sekunde länger mit ihr in einem Haus ausgehalten. Deshalb habe ich mich darauf eingelassen, in diese großzügige Wohnung zu ziehen. Mein Paps hat sie gekauft und mir alles besorgt was ich wollte. Natürlich musste es ein Haus mit Aufzug sein. Doch den benutze ich nur, wenn meine Mutter mich besucht. Sonst befolge ich den Rat des Arztes und nehme jede Bewegungsmöglichkeit im Alltag wahr Keine Vermeidung von Bewegung. Nur den Profisport musste ich aufgeben.
Seitdem umsorgt meine Mutter mich wie eine Glucke, weshalb Elli sie immer den Wachdrachen nennt. Wenn Paps sie nicht öfter mal abends zum Essen oder ins Kino entführt hätte, damit Elli vorbeikommen kann, wäre ich wahrscheinlich durchgedreht. Und das hat er auch gemerkt, weshalb er meiner Mutter auch den Vorschlag mit dieser Wohnung gemacht hat. Er bezahlt alles. Ich muss nicht mal arbeiten gehen. In manchen Momenten fühle ich mich richtig schlecht dabei, auf seine Kosten zu leben. Immerhin war das der Vorwurf, den alle meiner Mutter machten, als sie vor fünfzehn Jahren mit Thomas zusammengekommen ist. Sie, alleinstehend mit zwei Töchtern im Alter von neun und fünf Jahren. Er, alleinstehend, gutaussehend und verdammt wohlhabend. Doch das Geld hat nie eine Rolle gespielt. Die Beiden lieben sich aus ganzem Herzen.
Es hatte Paps einiges an Überredungskunst gekostet, bis sie mit uns bei ihm eingezogen ist. Erst vor fünf Jahren haben die beiden dann endlich geheiratet. Und jedes Mal, wenn ich seither Unterstützung in Form von Geld abgelehnt habe, hat Thomas das akzeptiert. Doch seit dem Unfall tut er wirklich alles für mich. Und ich musste einsehen, dass es nichts bringt sich dagegen zu sträuben. Nachdem ich an einem Abend, nach einer anstrengenden und nervenaufreibenden Reha Einheit, zuhause weinend zusammengebrochen war, hatte Paps mich in mein Bett getragen und mich nicht mehr losgelassen, bis ich mich halbwegs beruhigt hatte. Die Worte, die er sprach werde ich nie vergessen: „Mein kleines Mädchen. Mach dir keine Sorgen, es wird alles schon wieder. Auch wenn es lange dauert und wehtut, du schaffst das. Wir schaffen das. Ich bin für dich da. Dir wird es an nichts fehlen. Egal was du brauchst, du bekommst es. Und wenn du denkst es hilft dir, zu weinen, dann werde ich dich halten. Wenn du lachen willst, mache ich mich für dich zum Affen. Wenn du gerne aus einem Flugzeug springen möchtest, springe ich mit dir. Und wenn du um die Welt reisen möchtest, mache ich das möglich. Mein kleines Mädchen, ich liebe dich."
Wenn ich daran denke, erscheint ein Lächeln auf meinem Gesicht. Er hat Wort gehalten. Er hat mir jeden Wunsch von den Augen abgelesen, auch wenn er manchmal etwas übertreibt. Wie zum Beispiel mit dieser Wohnung. Aber ich beschwere mich nicht.
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Die Eisprinzessin (Leseprobe)
RomanceBelle's Leben hat sich durch eine einzige Nacht verändert. Sich zurück ins Leben zu kämpfen war dabei ihr kleinstes Problem. Sie muss ihren Traum aufgeben und den Männern hat sie den Rücken gekehrt. Doch dann trifft sie ihn. Den einen Mann der ihr L...