No Angels [Kurzgeschichten]

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Keine Engel || 1

Sie war sich nie sicher gewesen ob es Engel gab. Sie war fasziniert von ihnen, ja, aber waren sie auch wirklich da?

Manchmal war sie aus dem Haus gegangen, einfach so, ohne irgendjemandem Bescheid zu sagen.

Um herauszufinden, ob es sie gab, die Engel.

In ihren kleinen bunten Kinderschuhen, die Strickmütze auf dem Kopf, war sie die Straßen entlang gelaufen.

Die Augen nach oben gerichtet, auf all die großen Menschen, die sich an ihr vorbei drängten, sie anrempelten, ihre Handys am Ohr.

"Ich sagte doch schon: Der Termin ist wirklich dringend! Ich kann ihn nicht verschieben..."

"Das wäre dann nächste Woche. Ja. Bis dahin könnten wir es geschafft haben..."

"Nein. Fünftausend mindestens, so wie die Aktien gerade stehen..."

Das kleine Mädchen verstand nicht, wovon die großen Leute da redeten. Das waren wohl nur ganz normale Erwachsene. Auf jeden Fall keine Engel.

Am Ende der Straße angekommen, sah sie sich Suchend um. Wo sollte sie nun hingehen? Da entdeckte sie eine zusammengekauerte Gestalt auf dem Boden sitzen. Sie stellte sich direkt vor die verbeulte Mütze, die vor dem Mann lag. Er hob langsam den Kopf, und seine langen, strähnigen Haare fielen ihm in sein ausgemergeltes Gesicht.

"Hallo", sagte das kleine Mädchen und setzte sich neben den alten Mann.

Es war schon viele Jahre her, dass jemand das letze mal 'Hallo' zu dem Mann gesagt hatte. Seine Frau hatte ihn vor die Türe gesetzt und Glück hatte er noch nie gehabt in seinem Leben. Seit drei Jahren verbrachte er nun schon jeden Tag auf der Straße. Seine Stimme war ganz eingerostet vom ewigen Schweigen.

"Hallo", keuchte er leicht verwundert, bevor er geschüttelt wurde vom heftigen Husten.

"Bist du krank?", fragte sie mit mitfühlendem Augen. Der Mann nickte nur schwach mit dem Kopf.

"Also wenn ich krank bin, gibt meine Mama mir einen Saft und dann bin ich wieder gesund. Warum kaufst du dir nicht einfach Saft?"

Die kindliche Unschuld des Mädchens brachte ihn zum lächeln. Sie wusste nichts von den schlimmen Dingen auf der Welt.

"Weißt du", sagte er und räusperte sich, "ich würde mir gerne Medizin kaufen, aber das geht nicht. Das wenige Geld, das ich habe, brauche ich für Essen."

Das Mädchen starrte nachdenklich in den wolkenbedekten Himmel, bevor sie plötzlich aufstand und die Straße in die Richtung zurücklief, von der sie gekommen war.

Der alte Mann sah ihr verwundert hinterher, bevor er sich hustend wieder enger in seine Decke einwickelte.

Das Mädchen aber betrat ein altes, heruntergekommenes Haus. Vor der Eingangstüre hing ein elektrisch leuchtendes Schild, auf dem ein blinkedee Stab mit einer sich darum windenden Schlange abgebildet war.

Obwohl das Mädchen nicht lesen konnte, hatte sie das Schild erkannt. Sie war schon oft mit ihrer Mama in Läden wie diesen gewesen.

Sie sah sich kurz in der Apotheke um, bevor sie auf den dünnen, pickeligen Mann im weißen Kittel zuging. Dieser sortierte gerade Fläschchen in einem Regal.

"Hallo."

Kai Möllemann, der junge Apotheker drehte sich zu der piepsigen Stimme um. Das kleine Mädchen, das vor ihm stand, sah ihn mit großen Augen an.

"Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte er leicht irritiert. Die Kleine nickte nur.

"Und wie kann ich dir helfen?", bohrte er nach. Er war noch nie der Geduldigste gewesen.

"Ich brauche eine Medizin gegen Husten."

"Husten ist keine Krankheit, es ist nur ein Symptom, das auf eine Krankheit hinweist.", sagte Kai Möllemann und kratzte unauffällig an einem seiner Pickel. Doch das Mädchen sah ihn nur verständnislos an. Seufzend fügte er hinzu: "Ich darf sowieso keine Medizin an Minderjährige Verkaufen. Tut mir Leid. Bring nächstes Mal doch deine Mama mit."

"Aber es ist ja nicht für mich! Es ist für den armen Mann drüben am Ende der Straße! Hier ist mein ganzes Geld, das ich dabei habe. Kannst du nicht mitkommen zu dem Mann? Er braucht deine Medizin sehr dringend."

Nach langer Diskussion mit dem sturköpfigsten kleinen Mädchen, das Kai Möllemann jeh kennengelernt hatte, kam er mit zu dem Penner. Er schenkte ihm Hustenbonbons und verschiedene Flaschen mit Medizin. Das Geld des Mädchens wollte er schlussendlich nicht annehmen.

Während Kai Möllemann begann, mit dem Penner über die Entwicklung der Krebsforschung zu reden, war das kleine Mädchen schon wieder weitergegangen. Sie hatte den beiden Männern zum Abschied noch einmal gewunken und war dann um die nächste Ecke verschwunden. Sie war sehr froh, dass es dem alten Mann dank der Medizin jetzt hoffentlich bald wieder besser gehen würde. Und sie war auch froh, dass der große, schlaksige Apotheker einen Freund zum Reden gefunden hatte, denn der alte Mann hörte ihm doch tatsächlich interessiert zu.

Eine Ecke weiter sprang dem kleinen Mädchen ein Süßwarenladen ins Blickfeld.

Ihr Geld hatte sie ja noch, deshalb wollte sie sich nun eben damit etwas leckeres zu Naschen kaufen. Das sanfte Bimmeln des Glöckchens über dem Eingang verriet ihre Anwesenheit.

Eine dicke, mit bunten Perlenketten behängte Frau lugte über den Tresen. Als sie das kleine Mädchen sah, lächelte sie sie strahlend an.

"Hallo", sagte das kleine Mädchen.

"Hallo, mein Kind! Was möchtest du kaufen? Alles was du dir nur wünschen kannst, habe ich hier in meinem Laden!"

Das Mädchen dachte kurz nach.

"Wenn du alles hast und meine Wünsche erfüllen kannst, bist du dann sowas wie ein Engel?"

Die dicke, bunte Frau lachte.

"Nein, nein Schätzchen, also ein Engel bin ich ganz sicher nicht! Ich hab schon so viel falsch gemacht in meinem Leben... Und sowas passiert Engeln doch nicht, oder?"

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Hallo :)) Das hier ist jetzt mal der erste Teil :) Zu dieser kleinen Story wird es auch so bald wie möglich eine Fortsetzung geben, doch normalerweise sollen die Kurzgeschichten nur ein Kapitel lang werden... Wenn es euch gefallen hat, dann bitte voten oder kommentieren! Danke! ♥

xxSimi

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