#16 3/4

56 7 0
                                    

7:33 Uhr

Dem ersten Schrecken folgte die Erleichterung. Alles schien noch dran zu sein. Außer ein paar Blessuren und einem kleinen Schock keine ernst zu nehmenden Verletzungen. Mittlerweile standen auch Jonas' Freunde auf ihren Beinen und machten, wenn zunächst etwas wackelig, die ersten Gehversuche. „Bist du okay?“, fragte Jonas Jana, die ihn mit ihren tiefblauen Augen und schönen Lippen anlächelte. Er nahm sie in den Arm und tröstete sie. Dann sammelten sie ihre Habseligkeiten auf und wagten einen Blick aus den Fenstern. Während der hintere Zug der doppelt traktierten Straßenbahn unverändert auf den Schienen stand, war der vordere aus diesen herausgesprungen und bot durch seine ungewöhnliche Schieflage einen ungewollt komischen Anblick. Etwas weiter vorne, schon jenseits der Kreuzung zwischen Linksabbiegerspur und Gleisen, stand ein dunkler Wagen, dessen Fahrerseite total eingedellt war. Die Szenerie wurde von Feuerwehr und Polizei bestimmt, die ihre Fahrzeuge in regelmäßigen Entfernungen und zum Schutze des Unfallortes aufgereiht hatten. Drei Feuerwehrmänner machten sich am Auto zu schaffen, während zwei weitere direkt auf die Straßenbahn zukamen. Der Fahrer der Bahn war bereits ausgestiegen und stand neben zwei Polizisten. Aus der Ferne hörte Jonas weitere Sirenen.

Er schien wieder eingenickt zu sein. Zumindest fühlte es sich so an. Sein Kopf war schwer wie Blei. Ein Wunder, dass er diesen überhaupt halten konnte und ihm dieser nicht auf das Lenkrad knallte. An der Fahrertür hörte er seltsame Geräusche. Wie bei einem Heißluftballon, dachte er, wenn der Korb langsam in die Höhe steigt. Kurz bevor der Abfahrt. Denn Ballons, das wusste er von einem Freund, flögen nicht, sondern führen. Komisch, schoss es ihm in dem Moment durch den Kopf, dass mir das mit einem Ballon nicht passiert wäre, obwohl ich dann auch gefahren und nicht geflogen wäre. Seine weiteren Gedanken verschwanden im Unterbewusstsein. Das Geräusch hatte aufgehört und die Stimmen, die er zuvor nur verzehrt wie durch eine zu dicke Glaswand wahrgenommen hatte, waren mit einem Mal ganz nah. Er spürte, wie jemand neben ihm atmete.

Sechs Minuten waren bereits vergangen, seit die mechanische Anzeige die Ankunft der Sechs mit einem Klackern angekündigt hatte. Ein Klackern, das, wie sich im Nachhinein herausstellen sollte, alles andere als fröhlich war. Für einige Zeit hingen die viel zu großen Buchstaben ziemlich trostlos in der Luft herum. Die Leute gingen bis zum Bahnsteigrand, blieben dort eine Weile lang verzweifelt stehen, während sie auf die ihnen versprochene Bahn warteten. Als nichts passierte und die ersten einsahen, dass sich ihr Aufenthalt an dieser Station noch etwas in die Länge zöge, suchten sich einige von ihnen einen Sitzplatz auf genügsam aufgestellten Bänken, während andere wiederum am Bahnsteig auf- und abgingen, in der stillen Hoffnung, dadurch wenigstens die Zeit beschleunigen zu können. Zu letzteren gehörte Dr. Lange, an dessen Armbanduhr der Sekundenzeiger eine Runde nach der anderen drehte und sich nun wieder höhnisch der Zwölf näherte.

„Da vorne ist es!“, rief Martin Meermann, der den Rettungswagen lenkte. Der schlanke Zeigefinger des Mittdreißigers zeigte auf eine Stelle der Straße, auf der ein total zerbeultes Auto mitten auf den Straßenbahnschienen stand. Einige blau uniformierte Männer machten sich bereits an dem PKW zu schaffen, während die Polizisten Zeugen zum Unfallhergang befragten. Alles in allem schienen die bereits eingetroffenen Rettungskräfte gute Vorarbeit geleistet zu haben und auch die Notärztin kam ihnen bereits entgegen.

SAD STORYS ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt