Kapitel 1

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Sekundenschnell riss sie ihre Augen auf und schrie. Es war nur wieder einer dieser Albträume, wo sie zuerst immer tiefer fiel und dann in einem Raum landete, der immer enger zu werden schien. Clara hat Platzangst und ihre Albträume handeln grundsätzlich nur von immer enger werdenden Räumen. Die schönsten Träume die sie erlebt hatte, und sie fühlten sich so echt an, als hätte sie sie wirklich erlebt, handelten von Weiden und grünen Blumenwiesen die sich unendlich weit streckten. Clara liebte die Freiheit und das Gefühl der Euphorie. Es war wie ein Traumland für sie, in das sie jede Nacht erneut flüchten konnte. Nur diesmal ist es wieder ein Albtraum gewesen.
Clara ist ein verträumtes und schüchternes Mädchen: 16 Jahre jung,  hellbraune, wellige Haare und geschwungene himbeerrote Lippen. Außerdem hat sie wunderschöne smaragdgrüne Augen, für die sie alle ihre Mitschülerinnen beneideten. Nur eine tat das nicht: Ihre Beste Freundin Alice. Sie war die einzige Freundin die Clara besaß. Alice war ein freches Mädchen mit blonden Locken, himmelblauen Augen und Sommersprossen. Sie war immer an Claras Seite. Die beiden verstanden sich sehr gut und trafen sich sehr oft bei je dem anderen Zuhause. Sie waren Kindergartenfreundinnen, doch als sich eines Tages ihre Wege zu den weiterführenden Schulen trenten, blieb Clara, so verschlossen sie in sich war, immer allein zurück. Sie verbrachte die Pausen alleine, hatte weder einen Partner bei Projektarbeiten, noch beim Schulsport. Im Unterricht hörte sie nur still zu, machte ihre Aufgaben lustlos und zog sich immer in den Hintergrund zurück, was zur Folge hatte, dass ihre Noten stark absanken. Zum Teil konnten sich Lehrer nicht mal an ihren Namen erinnern, weil sie so unauffällig geworden war, und dachten, dass sich der Rektor in der Anwesenheitsliste der Kurse vertan hätte. Zuhause fühlte Clara sich nicht besser. Lautlos verbrachte sie die Tag vor dem Fenster sitzend und in die Leere starrend. Zu ihrer Besten Freundin, die nun in einen andern Staat gezogen ist, hatte sie längst keinen Kontakt mehr.  Alleingelassen und unverstanden von der Außenwelt, zog sie sich ungewollt eine schlimme Depression zu, welche Schlafparalysen und Panikattacken mit sich brachte. Nur im Traum konnte sie ihrer farblosen, verblassten Welt entfliehen. Doch von Tag zu Tag wurde ihr Leben unerträglicher, sodass sie von dunklen Gedanken verfolgt wurde. Sie stand im Badezimmer und betrachtete die sauber gestapelten Rasierutensilien in der Box ihres Vaters. Dann schwangte ihr Blick hinüber zum Fenster hinaus in den Garten. Alle Farben waren verblasst und hinterließen nur eine schwarz-weiße Nebelspur. Die Bäume vertrocknet, die Blumen eingegangen. Selbst die Plastikschaukel hat ihren rot-goldenen Farbglanz verloren.




"Was?!", schreckte Clara verwundert auf. Sie musste eingenickt sein, denn es ist mittlerweile wieder dunkel geworden. Wieder dunkel. Clara erinnerte sich wieder an ihr Bett, aus dem sie durch das Fenster in ihrem Zimmer das Mondlicht sehen konnte. Sie schaute sich erneut um, wobei sie sich noch ganz verträumt drehte und die Größe des Krankenhausbettes deutlich unterschätzte. Mit dem Rücken zuerst landete sie auf dem harten Linoleumboden, sodass sie kurzzeitig keine Luft bekam. Nach einer kurzen Zeit ging es dann wieder und Clara zog sich an der Bettkante hoch. Bei dem Aufprall musste sich die Verkabelung von ihrem Körper gelöst haben, sodass sie normal aufstehen konnte. Sie überprüfte, ob sie sich ernsthaft verletzt hat und ob sie ohne die Geräte stabil war. Alles schien in Ordnung zu sein. Also trat Clara mit kleinen Schritten zur Tür hinaus um nach jemandem zu suchen, der ihr weiterhelfen könnte.

Je länger sie suchte, desto müder wurde sie. Alles schien leer zu sein. Wie in einem Horrorfilm, war kein einziger Laut zu hören, bis auf die zierlichen Schritte von Clara, die durch die weiten Gänge des Krankenhauses schallten. Die Rezeption und alle Räume in die Clara blicken konnte, waren leer. Sie fing plötzlich an panisch zu atmen. Es war so leise, dass Claras Herzschlag schon lauter als ihre Schritte geworden ist. Auf einmal hörte Clara sie wieder: Die Stimmen. Die Stimmen, die sie immer wieder aufs Neue verunsichert haben. Da kam wieder eine Erinnerung hoch. Sie sah Bilder vor ihren Augen, wo sie auf ihren linken Arm starrte. Sie sah auch Bluttropfen auf dem Boden und einen kurzen Ausschnitt eines Einwegrasierers. Diese Erinnerungen erweckten in ihr Schmerzen, die Clara einfach nicht zuordnen konnte. Sie zuckte ein wenig in sich zusammen. Weiter, leicht humpelnd unterwegs sah sie am anderen Ende des Ganges endlich jemanden. Es war eine Dame, gekleidet in ein weißes Gewand. Clara schrie: „Miss, warten sie!" und fing an so schnell an zu rennen, wie sie nur konnte. Ganz kurz bevor sie die erschrockene Dame erreichen konnte, wurde ihr schwindelig, schwarz vor Augen und sie kippte auf der Stelle um. Das letzte Bild, das sich Clara noch sehen konnte, war ihr linker Ärmel voller Blutflecken.

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