„Hey, wieso läufst du jetzt weg? Komm zurück, wir haben uns doch gerade unterhalten?!", rief Clara dem Jungen hinterher, als dieser sie nicht eines Blickes würdigend, aus der Hütte trat und einfach davon ging. Clara versuchte Schritt zu halten, aber mit seinen langen Beinen war der Junge einfach doppelt so schnell wie sie. „Was soll das, hab ich was Falsches gesagt oder so?", sagte Clara empört, „ Also gut, wir reden nicht mehr miteinander, das kann ich auch siehst du, du wirst kein Wort mehr von mir hören.. .Ach übrigens, wo gehen wir hin?", fragte Clara, bekam aber nur einen kurzen Blick von dem Jungen als Antwort. „Ach, Ja stimmt, nicht reden. Na gut." Clara versuchte ihren Mund zu halten, konnte sich aber nicht zurückhalten. „Aber falls wir doch miteinander sprechen würden, weiß ich immer noch nicht, wie ich dich ansprechen sollte." Der Junge verdrehte die Augen und antwortete: „Jeydon" „Ah siehe da, wir können also doch noch reden. Also, wo gehst du hin, Jeydon?", hackte Clara nach, bekam aber nur das übliche Schweigen zurück.
Als Jeydon vor einem See an einem Wasserfall stehen blieb, stellte sich Clara vor ihn, in der Hoffnung, er würde sie mal zur Kenntnis nehmen, obwohl er mit Leichtigkeit über sie hinweg sehen konnte. „Warum bist du so unhöflich zu mir?", fragte sie jetzt endlich ohne es ironisch zu meinen. Als sie daraufhin auch keine Antwort bekam, entschloss sie sich zu gehen. "Ich bin da drüben, falls du doch noch mit mir sprechen willst.", rief sie ihm enttäuscht zu und ging ein Stück am See entlang. Er aber starrte nur weiter auf den See. Clara setzte sich an einen Baum am Ufer hin und wartete.
Nach einer halben Stunde dachte sie, dass Jeydon weg gegangen sein musste und sie alleine gelassen hat. Schon wieder alleine. Es reicht ja schon, dass sie dumm genug war, einfach weg zu gehen. Sie wusste ja kein Stück weit, wo sie ist. Irgendwie sah dieser Ort seltsam aus. Aber sie konnte sich nicht daran erinnern, was denn 'normal' sein sollte. Alles um sie herum war still, wie auf einem Friedhof. Noch nicht mal der Wasserfall war laut genug, um ihre Gedanken zu übertönen. Die Stimmen in Claras Kopf verdrängten alle Gefühle aus ihren Sehnen. Sie wusste nicht mehr, was echt und was nur Hirngespinst war. Sie kniff sich in ihren Arm - sie fühlte rein gar nichts. Sie kratzte an ihrem Bein - immer noch nichts. Vielleicht war sie nur taub von der Kälte geworden. Trotzdem konnte sie nicht mehr und zog ein kleines Taschenmesser aus ihrer Hosentasche, das sie aus irgendwelchen Gründen bei sich trug und betrachtete ihren rechten Arm.
Noch bevor sie anlegen konnte, hörte sie hinter sich näher kommende Schritte und eine Stimme sprach zu ihr: „Hör zu, es tut mir Leid. Ich weiß nicht, was mit mir los ist, dass ich dich einfach so hab sitzen lassen. Ich wollte schon eher kommen, aber ich hab's nicht über mich gebracht... Ich bin schon so lange alleine hier – und dann kommst du und..." „Schon gut.", erwiderte Clara kleinlaut, „Ich möchte doch einfach nur wissen, wo ich bin." „Das wüsste ich auch gerne. Mir ist dasselbe wie dir passiert. Ich war auch dort... und irgendwie ist es mir gelungen dort rauszukommen.", sagte Jeydon währen er sich neben Clara setzte, die ihn nur stumm anschaute. „Du erinnerst dich an nichts, hab ich recht?", frage er sie nach einem Moment des Schweigens. Clara wartete kurz, bevor sie antwortete: „Na ja. Ich weiß nur, dass ich versucht habe mich umzubringen...und laut dem genähten Arm, habe ich es offensichtlich überlebt und... bin dann im Krankenhaus aufgewacht. Als ich mein Spiegelbild gesehen habe, kamen auch einige Erinnerungen an meine Familie zurück. Jedoch sind das recht wenige und..." „Du bist nicht in einem normalen Krankenhaus aufgewacht, Clara", unterbrach sie Jeydon aufgeregt, „und ich auch nicht. Ich meine, sieh dir mal an wo wir sind? Hast du je so einen Ort zuvor gesehen?! Wir sind hier gefangen!" „Ich...ich weiß es nicht mehr.", fing Clara an zu stottern.
Jeydon tat es augenblicklich Leid, dass er so laut geworden ist. Sie konnte schließlich nichts für ihre Gedächtnislücken. Beide schwiegen einen Moment. Danach sprach er nur noch ganz leise: „Deine Erinnerungen kommen irgendwann zurück. Solange du hier bist, bist du sicher." „Und, hast du deine schon wieder zurück?", fragte Clara fast schon flüsternd. „Zum Teil schon. Aber jede neue Erinnerung tut noch mehr weh als die davor. Das macht das Leben hier unerträglich.", antwortete Jeydon noch viel leiser, als Clara es tat. Seine Augen wurden etwas nass, aber er konnte gerade noch seine Tränen zurückhalten. Clara schaute Jeydon die ganze Zeit an, doch er bemerkte es nicht, starrte auf den See und redete einfach weiter: „Ich weiß nicht, wie ich weg von hier kann. Ich werde dir einfach nicht helfen können... ich möchte dir keine falschen Hoffnungen machen, dass wir hier irgendwie rauskommen, wo auch immer dieses 'hier' ist und..." Er bemerkte nun auch, wie Clara ihn anschaute, also drehte er sich zu ihr, weil er erwartete, dass sie jetzt enttäuscht wäre. Clara aber schaute ihn einfach nur an, ohne etwas zu sagen.
Irgendwas an diesem Jungen kam ihr furchtbar vertraut vor, als hätte sie ihn schon Mal gesehene, konnte ihn aber keinem Gedankengang zuordnen. Während sie überlegte, schaute sie ihm die ganz Zeit in die Augen. Es war wie ein Déjà-vu. Plötzlich war es ihr auch nicht mehr unangenehm, denn sie hatte das Gefühl sicher hier zu sein. Nie mehr alleine sein. Das war alles, was sie jetzt in diesem Moment spürte. Ohne es zu bemerken glitt ihr Blick hinunter auf seine Lippen. Jeydon schien unauffällig langsam näher zu kommen, bis ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Clara dachte nicht mehr nach, sie ließ es einfach geschehen. Jeydon aber zuckte zurück.
Beide räusperten sich nacheinander, um das unangenehme Gefühl aus der Luft zu verdrängen, aber so ganz gelang ihnen das nicht. Jeydon stand rapide auf und versuchte irgendwas zu sagen: "Ähm ja...also... wir müssten dann mal los, es wird bald dunkel."
Irgendwie kam es Clara nicht nur so vor, als wäre es ihm unangenehm. Jeydon war nebenbei die Trauer förmlich ins Gesicht geschrieben, was sie aber nicht wirklich verstand. "Ähm, ja. Klar.", antwortete sie rasch. Ihr war die Situation auch hochgradig unangenehm.
"Wie konnte ich so blöd sein?", dachte Clara. Sie kannte diesen Jungen einen Tag und hat schon versucht ihn zu küssen. Einfach so. Sie wusste ja nicht mal, ob sie ihm vertrauen konnte. Aber irgendwas sagte ihr, dass er nicht log, bei all dem, was er erzählt hat. Sie war sich sogar ziemlich sicher dabei. Wie konnte sie versuchen ihn zu küssen. Hat sie sich etwa verliebt? Aber Clara fühlt gar nichts mehr. Alle ihre Gefühle waren wie betäubt. So etwas zu tun wäre also einfach nur eine Dummheit gewesen.
Den ganzen Weg bis zur Hütte schwiegen beide. Keiner wusste so richtig, was er sagen sollte. Als Jeydon in das kleine Haus eintrat, machte er einen Kerzenleuchter an. Clara stand vor der Tür. Sie wusste nicht recht, ob sie auch rein gehen durfte. Jeydon stellte sich vor sie und fragte: „Willst du etwa draußen schlafen? Komm doch rein." "Danke.", sagte Clara kleinlaut und trat mit diesen Worten auch hinein. Sie beobachte, wie Jeydon an dem Schrank ging um irgendwelche Klamotten rauszuholen. Er warf diese auf das Sofa und schaute Clara an. "Willst du das Oberteil oder die Hose?", fragte er ohne eine Miene zu verziehen. Sie schaute ihn nur verwirrt an. "War nur ein Spaß.", sagte er hinterher, warf sich die Hose über die Schulter und verschwand hinter einer Tür, die offenbar ins Badezimmer führte. Clara nahm sich das übergroße T-Shirt und las die Aufschrift: Atlanta Falcons 1965. Irgendwoher kannte sie diesen Namen, aber woher wusste sie nicht. Vielleicht würde es ihr noch einfallen, dachte sie. Da musste sie wieder daran denken, dass Jeydon ihr gesagt hat, wie sehr jede neue Erinnerung wehtun würde. Sie schaute auf und erblickte versehentlich Jeydon, der die Tür vom Badezimmer offensichtlich nicht bis zum Anschlag geschlossen hat. Sie zog ihren Blick jedoch schnell weg, als sie bemerkte, dass er sie im Spiegel erblickt hatte. Schnell schaute sie runter, wissend, dass sie echt dämlich sei und tat so, als hätte sie nur in die Nähe der Tür geschaut und ihren Bluck hin und her schwanken lassen.
Nach einer Zeit kam Jeydon wieder ins Zimmer und sah, dass Clara schon im Bett eingeschlafen war. Also legte er sich aufs Sofa zum Schlafen. Es hat lange gedauert, bis er tatsächlich eingeschlafen ist, da ihn die lauten Gedanken in seinem Kopf endlos quälten. Er hatte Angst. Zuvor hatte er nie Angst gehabt. Aber seitdem er Clara wieder zurück hatte, fürchtete er, ihr auf irgendeine Weise wehzutun. Kaum schloss er die Augen, da waren seine Albträume auch wieder da.
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Dead soul hospital
HorrorClara Andrews wacht in einem Krankenhaus auf. Sie weiß weder wo sie ist, noch warum sie dort ist. Anscheinend hat sie einen Selbstmordversuch begangen. Wie will sie nun weiter leben? Wer ist der Junge, der aus dem nichts kommt und ihr den Kopf verdr...