Hektisch schmiss ich einen Block, Stifte und eine Mappe in meine Schultasche und sprang die Treppe hinunter, rauschte mit einem kurzen Gruß an meiner Mutter vorbei und hetzte nach draußen. Ich hatte vergessen, mir einen neuen Wecker zu stellen und stattdessen den benutzt, den ich früher hergenommen hatte. Gestern war ich noch von meiner Mutter geweckt worden aber heute war ich deswegen fünfzehn Minuten zu spät dran und musste mich jetzt beeilen, noch rechtzeitig anzukommen.
Den Weg zur Bushaltestelle sprintete ich in Rekordzeit und kam deshalb zwar außer Atem aber pünktlich an und erwischte den Bus um ein Haar.
Als ich in den Gang zu unserem Klassenzimmer einbog, wurde ich fast von einem lachenden Stegi über den Haufen gerannt. Erschrocken taumelte ich einen Schritt zurück, während der Blonde „Sorry!" rief und sich hinter mir vor Tim versteckte, der wohl versuchte, ihn zu kitzeln.
Lachend klopfte der Größere mir auf die Schulter und begrüßte mich kurz, dann sprang er hinter mich, packte seinen Freund an der Hüfte und hob ihn hoch. Während Stegi kichernd um sich schlug und irgendwie versuchte, sich zu befreien, lief ich zu Freddie, der mich mit einem kurzen Handschlag begrüßte. Grinsend sahen wir dem Pärchen dabei zu, wie sie versuchten, sich gegenseitig zu kitzeln, wobei Stegi keine Chance hatte, obwohl er zwei Hände frei hatte und Tim nur eine – immerhin musste er seinen Freund gleichzeitig tragen.
Auch der Rest der Klasse beobachtete die Beiden, einige Mädchen tuschelten und schienen die Beiden süß zu finden, die Jungs machten teilweise Bemerkungen und lachten darüber, doch nichts deutete auf Feindseligkeit, Intoleranz oder Abneigung hin. Niemand regte sich darüber auf, dass das zwei Jungs waren. Keiner verurteilte Stegi für seine 'Unmännlichkeit', wenn man es denn so nennen wollte. Alle akzeptierten das Pärchen und sowas zu sehen machte mich glücklich.
Allerdings wurden die Beiden nach kurzer Zeit von unserem Englischlehrer unterbrochen, der um die Ecke kam und die Beiden wegen ihrer Lautstärke zu Recht wies. Nachdem er den Raum aufgesperrt hatte, setzten wir uns alle auf unsere Plätze und mir fiel auf, dass Manu, wie schon am Vortag fehlte.
Im selben Moment deutete unser Lehrer auf den leeren Stuhl und fragte: „Fehlt da ein Schüler?" Nachdem einige Sekunden lang niemand etwas gesagt hatte, fingen die Schüler in den ersten Reihen an zu nicken und jemand sagte: „Ja, Manu ist noch nicht da."
Unser Lehrer schnappte sich das Absentenordner, warf einen Blick hinein und verkündete: „Es ist niemand entschuldigt. Weiß jemand, wo der Schüler ist?" Nachdem erst wieder keiner antwortete, sagte Freddie schließlich: „Der kommt schon noch. Hab noch nie erlebt, dass Manu pünktlich war."
Der Gesichtsausdruck unseres Lehrers, der Herr Schwub hieß, wie ich inzwischen nachgelesen hatte, änderte sich von routiniert zu überrascht und schließlich wurde sein Blick grimmig und er verkündete: „Gut, dann warten wir auf ihn. Und wenn er ankommt, kriegt er eine nette Überraschung."
Bei dem Gedanken, dass Manu am Tag zuvor erst zur vierten Stunde aufgetaucht war, musste ich grinsen. Sollte unser Lehrer ruhig seine Unterrichtszeit verschwenden, uns Schüler störte das herzlich wenig.
Was mir schon eher Sorgen bereitete war diese sogenannte Überraschung. Was würde Manu passieren? Ich teilte meine Bedenken Freddie mit, dieser sagte allerdings nur: „Egal was Herr Schwub auf Lager hat, Manu wird irgendwie kontern. Und das so oft, bis er ihn nie wieder für's zu spät kommen belangt. Das war bis jetzt bei allen Lehrern so."
Wir warteten geschlagene 18 Minuten, bis Manu herein geplatzt kam. Sofort lagen alle Blicke auf ihm und er sah sich verwundert um, bevor er fragte: „Was ist denn hier los? Habt ihr noch nicht angefangen?" Sofort kam unser Lehrer auf ihn zu und schnauzte ihn an: „Wie wäre es mit einer Entschuldigung und einer Erklärung für Ihr zu spät kommen?"
Der Blick, den er daraufhin von Manu erntete, glich dem glasig – milchigen Blick eines schlecht gelaunten Karpfens, während der Braunhaarige betont gelangweilt sagte: „Ooh, Herr Schwub, es tut mir ja sooo Leid. Leider kann ich ihnen keine ausgelutschte Ausrede auftischen, warum ich zu spät bin, hatte kurz gesagt einfach keine Lust."
Dann wollte er sich auf den Weg zu seinem Platz machen, doch unser Lehrer, der vor Wut schon langsam anfing, rot anzulaufen, zischte: „Sie können gleich vorne bleiben, ich werde Sie mal ein paar Vokabeln ausfragen."
Manu ging ungerührt weiter in Richtung seines Platzes, ließ seinen Rucksack auf den Boden fallen und fragte: „Und welche Vokabeln wollen Sie abfragen? Ich gehe nicht davon aus, dass Sie gestern schon Unterrichtsstoff durchgenommen haben, immerhin waren Sie gestern noch auf Hawaii und haben den ersten Schultag geschwänzt, nicht wahr?"
„Nein, ich war wegen Krankheit entschuldigt!", entrüstete sich unser Lehrer, doch seine erschrocken aufgerissenen Augen, die fahrigen Handbewegungen, die sich leicht überschlagende Stimme und die Millisekunde, die er vor seiner Antwort gezögert hatte, verrieten, dass Manu voll ins Schwarze getroffen hatte.
„Ich werde Sie über die Wörter von letztem Jahr ausfragen!", verkündete Herr Schwub mit grimmiger Miene, „Mal sehen ob Sie dann immer noch eine so große Klappe haben wie jetzt!" „Ich gehe davon aus.", antwortete Manu nur und schlurfte von der letzten Reihe wieder in Richtung Tafel. Dann sah er unseren Lehrer mit einem gleichzeitig erwartungsvollen und herablassenden Blick an und dieser fing an, die Vokabeln abzufragen.
Manu antwortete.
Und wie er antwortete!
Die Antworten folgten keine Sekunde, nachdem unser Lehrer die Vokabel ausgesprochen hatte, man konnte meinen, der Junge wäre zweisprachig aufgewachsen, so präzise und trotzdem vielfältig waren seine Antworten. Denn für manche Vokabeln wusste er nicht nur eine, sondern gleich mehrere englische Bedeutungen, die er alle aufzählte.
Das Triumphierende Funkeln in seinen Augen wurde immer deutlicher, während sich unser Lehrer sichtlich bemühte, ihn doch noch einmal zu überrumpeln. Irgendwann, nach fast zwanzig Minuten, musste sich Herr Schwub allerdings eingestehen, dass Manu ihm über war und er schickte ihn zähneknirschend auf seinen Platz zurück.
Als der Braunhaarige sich gesetzt hatte, fragte er allerdings noch: „Krieg ich darauf eigentlich eine Note?" „Nein!", antwortete der Lehrer nur wütend. „Wäre ich schlecht gewesen, hätten Sie mir eine sechs eingetragen, da bin ich mir sicher.", sagte Manu mit einem teilweise triumphierenden, gleichzeitig aber auch angriffslustigen Tonfall.
Zornig drehte sich Herr Schwub um und schrie schon fast: „Es hat Sie nicht zu interessieren, wie ich meine Noten verteile, verstanden?" Mit ganz ruhiger und gelassener Stimme fragte Manu plötzlich: „Ist Ihnen das nicht peinlich?" „Was?", fragte der Lehrer zähneknirschend. „Sie wurden gerade von einem Schüler bloßgestellt und regen sich jetzt auf wie Rumpelstilzchen!"
Mit wutverzerrtem Gesicht blaffte Herr Schwub: „Jetzt spiel' dich nicht so auf! Nur weil du ein paar Vokabeln wusstest, heißt das nicht, dass du dir alles erlauben kannst!" „Vielleicht nicht wegen diesen lappigen Vokabeln", antwortete Manu immer noch völlig gelassen, „Aber zumindest deswegen, weil ich ihnen, wenn Sie mir kurz Bedenkzeit geben würden, eine Reihe englischer Wörter und ihre deutsche Bedeutung nennen könnte, von denen Sie in beiden Sprachen noch nie etwas gehört haben, geschweigen denn, die Sie übersetzen könnten!"
Mit aufgerissenen Augen sah unser wütender Lehrer den Jungen an, der immer noch mit einer Mischung aus Langeweile und Belustigung nach vorne sah und schien abzuwägen, ob er das wirklich riskieren sollte, besann sich dann allerdings eines Besseren und antwortete nur grimmig: „Ich verschwende meine Zeit nicht mit albernen Kinderspielchen."
„Besser so!", flüsterte mir Freddie ins Ohr, „Letztes Jahr hat Manu Herrn Funack in Grund und Boden gerechnet. Der war danach fertig, das war nicht mehr schön. Der Junge hat mehr drauf als ein Taschenrechner!"
Während Freddie geflüstert hatte, hatte sich Herr Schwub zur Tafel gedreht und fing jetzt an, so aggressiv die Themenschwerpunkte dieses Jahres und unsere benötigten Materialien aufzuschreiben, dass ihm zweimal die Kreide abbrach. Nachdem wir alles abgeschrieben hatten, rauschte der immer noch genervte Lehrer aus dem Raum und ich konnte Manu nur bewundernde Seitenblicke zu werfen.
Wenn er so mit jedem Lehrer umging, konnte ich gut verstehen, wieso es niemanden gestört hatte, dass er zu spät dran gewesen war.
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Kürbistumor - Perfect Stranger
FanficWas hat dieser Manu nur an sich, dass jeder Respekt, fast Angst vor ihm hat? Wieso weiß er alles und wo ist er, wenn er nicht in die Schule geht? Diese Fragen fesseln Patrick, deswegen sucht er nach Antworten. Ich Let's reade die Story auch auf YouT...