Kapitel 4

947 50 10
                                    

Es war, als würde sie von einer übergroßen hellbraunen Pelzkugel getroffen werden. Mit einem lauten „Uffff“ sank Wüstenpfote zu Boden. Sie setzte sich irritiert auf und schüttelte ihren Kopf um die Sternchen und die Benommenheit zu vertreiben.
Vor ihr kauerte eine angriffslustige Pelzkugel, die sie aus grauen Augen anfunkelte. Wüstenpfotes Nase zuckte. Das war nicht die einzige DonnerClan Katze, die sich in der Nähe befand. „Gharr Garrrarr“, der Schlachtruf kam laut aus der Kehle ihrer Angreiferin hervor. Wüstenpfote musste wohl oder übel gegen sie kämpfen, wenn sie zum Zweibeinerort kommen wollte. Und zwar schnell, denn es näherten sich noch zwei Katzen, die garantiert keine Schüler waren.
Resigniert begab Wüstenpfote sich in Angriffsstellung. Ihre Angreiferin blinzelte kurz ungläubig, als hätte sie Gegenwehr nicht er wartet. Doch schon nach einigen Herzschlägen war sie wieder aufmerksam. Wüstenpfotes Schwanz zuckte hin um her. Sie fegte einige Blätter durch die Gegend. Dann spannte sie ihre Muskeln an. Bereit zum Kampf.
Die braune Pelzkugel sprang. Wüstenpfote rollte sich schnell zur Seite. Sie kam geschickt wieder auf den Pfoten auf. Das war ein einfaches Manöver gewesen. Die Hellbraune landete im Sand. Eine Klette hatte sich hinter ihrem Ohr verfangen. Bevor sie sich von dem Aufprall erholen konnte, schlug Wüstenpfote zu. Natürlich mit eingezogenen Krallen. Sie wollte sie nicht verletzten. Ihre Angreiferin duckte sich gerade noch unter dem Schlag weg. Sie zahlte es Wüstenpfote mit gleicher Münze heim. Doch Wüstenpfote hatte die Pfote kommen sehen. Aber statt sich aus dem Schlag heraus zu bewegen, nutzte sie die offensive Haltung der hellbraunen Schülerin aus. Sie rollte sich unter ihren Bauch und stieß die Pfoten nach oben.
Wüstenpfote wusste um ihr Risiko. Für den kurzen Moment, den sie auf dem Rücken lag, war ihr Bauch ungeschützt. Dennoch klappte ihr Manöver und die Schülerin segelte durch die Luft. „Wind Clan!“, knurrte sie, „Schicken sie etwa schon Schüler um uns anzugreifen?“
Diese Frage irritierte Wüstenpfote: „Was? Ich will euch nicht angreifen. Ich bin alleine hier.“
„Sie hat Recht. Prüfe die Luft, Mausepfote, und beruhige dich.“, ein kräftiger hellbrauner Kater mit einer weißen Hinterpfote war hinter Wüstenpfote aufgetaucht.
Vor Schreck zuckte sie kurz zusammen. Sie hatte ihn nicht kommen gehört, da sie so vertieft in den Kampf gewesen war. Der Hellbraune wurde von einem schwarzen Kater flankiert, der Wüstenpfote feindselig musterte. Sie legte die Ohren an und starrte finster zurück. „Ja, Sonnenfell.“, miaute Mausepfote auf dessen Zurechtweisung hin. Zufrieden senkte der Hellbraune den Kopf. Dann wandte er sich zu ihr: „Wer bist du? Ich habe dich noch nie auf einer großen Versammlung gesehen.“
Wüstenpfote neigte respektvoll den Kopf und miaute: „Ihr könnt mich gar nicht auf einer großen Versammlung gesehen haben. Ich war erst Schülerin im zweiten Mond.“ „Wieso war?“, fragte Mausepfote neugierig. Ihre Schnurrhaare zuckten ehrlich interessiert.
Wüstenpfote überlegte ob sie es ihnen erzählen konnte. Und sie stufte die anderen Katzen als vertrauensvoll ein. „Nun es ist so, dass ich sozusagen vom WindClan geflohen bin…“ „Wieso?“, unterbrach die Schülerin sie. Dafür hielt sie einen mahnenden Stups mit der Pfote auf die Nase von ihrem Mentor. Sie gab ein unwilliges Geräusch von sich und schwieg.
Wüstenpfote hatte sich inzwischen entspannt und sich auf ihr Hinterteil gesetzt. Nur ihre Schwanzspitze zuckte noch hin und her. Anschließend fuhr sie fort: „Ich habe mich jeden Tag von Mondhoch bis Sonnenhoch, von Sonnenhoch bis Mondhoch zu Tode geschuftet. Ich musste alleine den Frischbeutehaufen befüllen; wenn ich es nicht schaffte, wurde ich bestraft. Bei der größten Hitze Ausdauerrunden um das Lager laufen, wenn ich zu langsam war, bekam ich nichts zu essen. Ich musste trainieren bis ich vor Erschöpfung umfiel. Wenn ich das tat, bestrafte mich mein Mentor wieder. Ich war so oft halbtot im Heilerbau, dass ich nicht mehr mitzählte. Als ich das Lager befestigen musste habe ich mir si viele Wunden zugezogen, weil ich vor Erschöpfung kaum noch laufen konnte. Die einzige Mahlzeit am Tag bestand, wenn überhaupt, aus einer kleinen mageren Feldmaus. Deshalb bin ich geflohen. Ich will eine Einzelläuferin werden.“, schloss sie ihren Bericht.
Es war einfach alles herausgebrochen. Ihre Schnurrhaare zitterten bei der Erinnerung an das Leben, das sie noch heute Morgen geführt hatte. Mausepfotes Augen waren weit aufgerissen und ihr Maul stand offen. Der Schwarze hob eine Pfote und klappte den Kiefer der kleinen Kätzin zu. Ihr Fell hatte sich vor Aufregung gesträubt.
Sonnenfell sah Wüstenpfote voller Mitgefühl an: „Und das bei einer Schülerin von zwei Monden.“ Er schüttelte verständnislos den Kopf. „Du bist eine gute Kämpferin. Dein Manöver sah gekonnt aus.“, lobte er. Dankend senkte Wüstenpfote den Kopf.
„Wie hast du das ausgehalten?“, platzte Mausepfote heraus. Anscheinend konnte sie ihre Neugierde doch nicht im Zaum halten. Mit ihrem gesträubten Fell sah die Kätzin aus wie ein Pelzball mit Augen. Wüstenpfote schätzte sie ungefähr auf ihr eigenes Alter. Sie blinzelte ihr freundlich zu: „Ich dachte, ich müsste wegen meinem Vater gewissen Pflichten erfüllen. Bis es mir zu viel wurde.“
„Dein Vater?“, trotz des tadelnden Blicks ihres Mentors fragte sie weiter. „Mein Vater ist Weißstern.“ Nun spürte sie wieder die Augen der zwei Krieger auf ihr liegen. „Dann musste du doch wissen, warum die Wind Clan Patrouillen ständig in unser Territorium eindringen und unsere Krieger angreifen.“, miaute der Schwarze gereizt.
„Jaguarkralle.“, der mahnende Ton in Sonnenfells Stimme ließ ihn inne halten. Fragend hob Wüstenpfote den Kopf: „Nein, ich weiß nichts von Übergriffen. Aber ich durfte auch nie auf Patrouillen mitgehen.“
„Fuchsdung, du lügst!“, fauchte Jaguarkralle.
Das ging Wüstenpfote zu weit. „Was weißt du schon von mir? Ich habe meinen Vater nicht interessiert. Er sah mich nicht mal als meine Tochter an.“, fauchte sie zurück. Sonnenfell hielt Jaguarkralle zurück. Wüstenpfotes Fell hatte sich vor Wut gestäubt und ihr Schwanz peitschte hin und her. „Sie lügt.“, beharrte Jaguarkralle. Wüstenpfote stieß ein bedrohliches Knurren aus, dass einem Löwen alle Ehre gemacht hätte. Erschrocken duckte Mausepfote sich. Doch als sie merkte, dass Wüstenpfote nicht angreifen würde, entspannte sie sich.
„Ich warne dich, Hauskätzchen.“, knurrte sie Jaguarkralle an, „Ich werde locker mit dir fertig.“ Spöttisch glitzern seine Augen. „Pah, das Hauskätzchen bist du.“ Zur Antwort knurrte sie nochmals bedrohlich. „Jeder weiß doch, dass WindClan Katzen falsche Schlangen sind.“, höhnte er. Mausepfote zuckte bei den Worten zusammen.
Als sie Wüstenpfotes finstere Miene sah, warf sie ihrem Mentor einen erschrockenen Blick zu. „Jaguarkralle, du bist selbst Schuld, wenn sie dich fertig macht. Du hast sie provoziert, ich werde Wüstenpfote nicht aufhalten.“, warnte Sonnenfell den schwarzen Kater.
Ein Sonnenstrahl fiel auf seinen Pelz und tauchte ihn in gleißenden Bernstein. „Ich bin der beste Kämpfer des DonnerClans.“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „Mit diesem WindClan Balg werde ich locker fertig.“
Wüstenpfote bleckte die Zähne. Sie würde jeden Moment angreifen. Sonnenfell seufzte resigniert: „Sag aber nachher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“, miaute er und setzte sich zu Mausepfote, die das Geschehen fasziniert betrachtete.
Noch nie hatte sie ihren älteren Bruder, Jaguarkralle, so aufgebracht gesehen. Ja, es stimmte, dass er der beste Kämpfer war. Aber sie wusste, wie töricht er sein konnte. Wie oft hatten ihn Silberstern oder Rattenkralle im Übungskampf besiegt. Und sie hatte die kalte Berechnung der WindClan Schülerin am eigenen Leib erfahren. Jede ihrer Bewegungen waren gezielt und überlegt gewesen.
Wüstenpfote knurrte ihren Gegner an. Alle ihre Muskeln waren zum Zerreißen gespannt. Er war zu weit gegangen. Ihren Clan konnte er verhöhnen wie er wollte, aber wenn er sie beleidigte, riss der Löwe in ihr aus und kam zum Vorschein. Am liebsten hätte ihn sofort in Stücke gerissen. Aber zuerst hatte sie auf Sonnenfells Einverständnis gewartet. Ansonsten wäre der Angriff einer offenen Kriegserklärung gleich gekommen.
Ihr sandfarbenes Fell hatte sich gesträubt. Die Hitze machte ihr nichts aus. Für den Teil war es sogar durch den Schatten der Bäume ganz angenehm. Im WindClan Territorium war es viel heißer gewesen. Denn dort boten nicht so viele Bäume Schutz vor der Sonne. Die Anderen litten sichtbar darunter. Auch der hochmütige Jaguarkralle hechelte um seinen Körper abzukühlen.
Wüstenpfote beleckten die Zähne Sie würde ihn fertigmachen.
Die beiden Katzen umkreisten sich, jede bereit zuzuschlagen. Jaguarkralles dunkler Pelz schluckte die Sonne förmlich. Unter seinem Fell traten Muskeln hervor und er war um ein gutes Stück größer als Wüstenpfote. Doch das minderte ihre sichtbare Stärke nicht. Das Spiel der Muskeln glänzte geschmeidig unter ihrem sandfarbenen Fell. Ihre gelben Augen funkelten angriffslustig. Sie wartete auf einen Angriff ihres Gegners. Instinktiv fuhr sie ihre Krallen aus. Das hier war kein Übungskampf mehr. Das war tödlicher Ernst.
Da Jaguarkralle so schien als würde er in nächster Zeit nicht als Erster zuschlagen, sprang sie. Er wollte ihr durch einen Schritt nach vorne die Flugbahn abschneiden und ihr den Bauch aufschlitzen. Doch Wüstenpfote hatte in seinen Augen gesehen, was er vorhatte. Sie war darauf vorbereitet und deshalb konnte sie seinem Schlag schnell ausweichen. Damit hatte Jaguarkralle nicht gerechnet und zögerte einen winzigen Herzschlag lang.
Das nutzte Wüstenpfote aus. Sie balancierte ihren Körper aus und schoss nach vorne. Wüstenpfote zog ihre Krallen über sein Gesicht.
Jaguarkralle heulte überrascht auf. Blut tropfte aus einer Wunde über seinen Augen. Wütend schlug er zurück. Nur knapp konnte die Schülerin den ausgefahrenen Krallen entkommen. Sie rollte sich über die Seite um ein wenig Anstand zwischen sie und Jaguarkralle zu bringen. Wie zum Schlag holte sie aus, doch sie verharrte mit der Pfote in der Luft und wartete Jaguarkralles Reaktion ab.
Dieser kauerte sich kampfbereit vor sie. Seine Muskeln waren gespannt. Bereit zum Sprung Ihre Augen fixieren sich. Blitze schossen zwischen ihnen hin und her. Die Spannung knisterte in der Luft.
Dann sprang er. Wüstenpfote konnte seiner schieren Muskelkraft nicht wiederstehen. Er nagelte sie mit den Krallen auf dem Boden fest. Sie bohrten sich in ihre Schulter. Bevor er nach ihrer Kehle schnappen konnte, hatte sie ihn mit den Hinterpfoten in die Luft befördert. Einige Büschel Fell riss er ihr aus. Wüstenpfote kam auf die Pfoten.
Jaguarkralle lag hechelnd im Staub. Er hievte sich mit zitternden Muskeln hoch. Die Hitze machte ihm zu schaffen. Der Schlag hatte gesessen. Doch er hatte anscheinend noch nicht genug. Jaguarkralle bleckte die Zähne und knurrte Wüstenpfote an. Sie merkte, dass er geschwächt war. Das nutzte sie aus. Wüstenpfote holte aus und traf ihn mitten ins Gesicht. Jaguarkralle taumelte zurück. Wüstenpfote stürzte sich auf ihn und drückte ihn zu Boden. Er keuchte. Sein Brustkorb hob und senkte sich.
Im Gegensatz zu ihm hatte sie gelernt mit totaler Erschöpfung umzugehen. Es schwächte sie nicht. Sondern machte sie einen Zeit lang stärker. Sie ließ noch einmal ein bedrohliches Knurren hören. Dann knockte sie ihn mit einem gezielten Schlag auf den Nacken aus. Ohnmächtig erschlafften Jaguarkralles Muskeln.
Zufrieden setzte sie sich auf und leckte sich stolz über die Brust. Sonnenfell und Mausepfote traten zu ihr. „Guter Kampf. Sehr beeindruckende Techniken.“, lobte Sonnenfell sie. Die Schülerin knuffte sie in die Schulter: „Da hast du es meinem Bruder aber gezeigt.“ Voller Zuneigung leckte sie Wüstenpfote genoss Mausepfotes Freundlichkeit. „Willst du uns zum DonnerClan Lager begleiten? Vielleicht nimmt Silberstern dich ja im Clan auf.“, fragte Mausepfote hoffnungsvoll.
Wüstenpfote überdachte das Angebot.

Einige Herzschläge lang.

Dann wäre ich wieder an einen Clan gebunden. Aber im DonnerClan werde ich die Freiheit genießen können, die ich mir immer gewünscht hatte, überlegte sie.
Danach willigte sie ein. Sie warf einen kurzen Blick zu Sonnenfell, der zustimmend nickte. Anschließend sah sie zu dem ohnmächtigen Jaguarkralle. „Wir können ihn hier nicht liegen lassen.“, miaute sie.
„Du hast Recht, ich werde ihn tragen.“, miaute Sonnenfell. „Nein, ich habe ihn K.O. geschlagen, ich trage ihn zum Lager.“, widersprach Wüstenpfote. Mit einem Blick versicherte sie, dass niemand ihr diese Entscheidung abnehmen konnte. Sie schulterte den schweren Kater. Seine Vorderpfoten legte sie sich über die Schultern. Nun brachen die Katzen auf.

WarriorCats - Ruf der FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt