Kapitel 22

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ES WAR AM ABEND, als Wüstenpfote damit beginnen konnte heimlich den Tunnel zu graben. Sie musste vorsichtig sein, denn im Lager herrschte noch immer ein reges Treiben. Die Schülerin wurde von Windstern in ihren Bau geschoben und Hasenfell legte ihr mit einem gehässigen Grinsen das mit Schlafschattengewächs und Wasser getränktes Moos hin. Wüstenpfote funkelte ihn feindselig an und verzog sich in den Schatten des Gefängnisses.
Windstern lachte verächtlich: „Hast du etwa Angst?“
Bevor sie ihm eine bissige Erwiderung entgegenschleudern konnte waren Beide vom Eingang weggetreten. Wüstenpfote unterdrückte ein verärgertes Knurren. Sie zwang sich, nicht von der Wut leiten zu lassen. In ihr stieg ein gewaltiges Grollen hoch und die heiße Glut in ihrem Inneren entfachte sich zu einem erneuten Feuer. Dieses breitete sich rasch zu einem Feuerbrand aus. Sie versuchte das Rasen zu besänftigen und leitete diese Energie in ihrem Plan. Sie würde sie brauchen, denn der Bau war gut errichtet worden und alle Wände waren verstärkt. Diese gute Arbeit galt es zu überwinden. Wüstenpfote drang in die dunkelsten Teile des Baus vor und suchte nach der dünneren Stelle am Wall.
Die Schülerin fand diese rasch, denn man hörte durch diese Wand das leise Rascheln des Windes. Bei allen anderen Seiten des Gefängnisses herrschte Totenstille. Wüstenpfote schnupperte. Niemand schien ihr Zurückziehen bemerkt zu haben. Sie war noch immer in einer gefährlichen Situation, sie musste schnell machen. Die Schülerin suchte sich die dünnste Stelle im Wall und schlug ihre Krallen hinein. Ihre Pfoten verhakten sich im Gestrüpp. Schmerz durchzuckte ihre Schultern, als sie an den Ästen zog und zerrte. Doch es war nicht so schlimm wie die, die sie erlitt, als sie zum Jagen gezwungen worden war. Noch immer schmerzten all ihre Muskeln und Gelenke.
Kein natürlicher Schmerz, sondern einer, der durch die vielen Foltern und Qualen des WindClans hervorgerufen worden war. Wüstenpfote schnaubte und ächzte, ihre Krallen lösten sich mit einem Ruck. Sie taumelte nach hinten und stürzte mit einem leisen Stöhnen auf den Rücken. Die Schülerin schüttelte den Kopf um die Lichtpunkte zu vertreiben, die eine Ohnmacht ankündigten. Nicht schon wieder. Ich muss das schaffen, seufzte sie in Gedanken. Sie wagte es nicht ihr Leid laut zu verkünden, denn sie konnte ja gehört werden. Ihre Zähen knirschten, als sie diese heftig aufeinander biss. Sie holte erneut aus und ließ ihre Krallen auf das Gebüsch niedersausen. Einige kleinere Äste rissen heraus und fielen mit Erdbröckchen zu Boden. Wüstenpfote machte weiter.
Sie war sich nicht sicher, ob ihre Krallen dabei ausrissen würden oder ob sie ihre Pfoten so stark verletzten würde, dass sie nicht mehr richtig auftreten konnte. Es war ihr eigentlich egal. Sie wollte bloß hier raus und die Schmerzen, die das mit sich bringen würde, konnte sie auch auf ihrer Flucht ertragen.
Wüstenpfote nahm ihre Zähne zu Hilfe und biss sich in einem großen Ast fest. Sie stemmte ihre Beine in die Erde und all ihre Kraft stieg in ihr auf. Ihre Krallen stießen sich in die Erde und hielten sie fest. mit aller Kraft zog sie an dem Ast. Ein leises Knacken war zu hören, doch das Gewächs bewegte sich keinen Millimeter. Wüstenpfotes Zähen schmerzten, doch sie dachte nicht daran loszulassen. Die Schülerin schüttelte den Kopf, bewegte ihn angestrengt von rechts nach links und versuchte das Holz ein wenig zu verschieben, damit es in einer günstigeren Position läge um es herauszuziehen. Aber dieses störrische Stück wollte einfach nicht.
Wüstenpfote unterdrückte einen wütenden und genervten Aufschrei, es schien nicht zu klappen. Es wollte nicht klappen. Hat sich der SternenClan gerade gegen mich verschworen?, fragte sie sich im Geiste. Sie schüttelte den Kopf und stemmte sich erneut gegen den Ast. Als etwas mit einem lauten Krachen brach, zuckte sie zusammen. Ihre Ohren waren steil aufgerichtet, ihre Schnurrhaare zitterten und ihr Schwanz peitschte hin und her.
Das Herz raste wie wild, es klopfte si heftig, als würden tausend Pfoten über die Erde trommeln und die Landschaft erzittern lassen. Doch Wüstenpfote hatte Glück.
SternenClan sei Dank!
Wenn Heidekralle, Windstern oder sonst irgendein Anhänger sie erwischen würde, wäre das ihr Ende. Wüstenpfote horchte erneut angestrengt. Kein einziges Geräusch war zu vernehmen, nun, die Katzen im Lager verursachten schon einigen Lärm, doch etwas Verdächtiges war nicht zu bemerken. Sie erinnerte sich an Nebeldunkels Worte non gestern Nacht.
Noch immer schmerzte es sie tief im Inneren ihrer Seele, dass er sich für sie opfern wollte. Die Schülerin hatte es eigentlich nicht als wahr ansehen wollten, doch sie musste ihm vertrauen, wenn sie entkommen wollte. Und schließlich hatte er auch von einer wichtigen Prophezeiung über sie erzählt. Das durfte sie nicht vernachlässigen. Die Erwartung des SternenClans lag nun doppelt und dreifach auf ihr.
Wieso erwarteten alle nur so viel von ihr?
Konnte sie nicht einfach nur eine normale Schülerin sein, die eine gute Kriegerin werden wollte?
Nein, anscheinend war ihr dieser Traum nicht vergönnt. Sie musste anscheinend die Last der Verantwortung für viele Katzenleben schon in ihren jungen Monden übernehmen. Erneuter Schmerz schoss durch ihre Adern, als sie ihre Zähne mit einem Ruck aus dem Holz befreite. sie taumelte nach hinten und wollte sofort wieder auf den Ast losgehen, als sie eine vertraute Stimme vernahm. Sie hielt erschrocken inne.
Heidekralle!
Ihr Puls schnellte in die Höhe. Und ein kalter, eiskalter Schauer rann ihr den Rücken hinunter. Hatte er etwa ihr Treiben bemerkt? Vorsichtig schlich sie sich zum Eingang des Baus. Inzwischen war es tiefste Nacht. Der Halbmond erhellte das Lager nur teilweise. Wüstenpfote nahm deutlich den beißenden WindClan Geruch wahr. Doch die zwei Duftnoten, die daraus hervorstachen und dessen Katzen ganz in der Nähe waren, ließen sie kalt erschauern. Wüstenpfote drückte sich eng an die Mauer aus Ästen und trockenen Blättern und versuchte ihren schnellen Atem zu kontrollieren.
Windstern und Heidekralle!
Konnte es denn noch schlimmer kommen? Sie schluckte schwer. Das durfte doch nicht wahr sein! Angestrengt versuchte sie zu vernehmen, von was die Beiden sprachen. „…weiß ich auch. Doch was bleibt uns anderes übrig?“, ertönte Heidekralles leise zischende Stimme. „Du hast Recht, Aber die Verräterin wird bald den Geist aufgeben. Wir müssen handeln.“, erwiderte Windstern. Wüstenpfote wurde hellhörig, als ihr ‚Kosename‘ erklang. „Verzeih mir diese Frage, Windstern, aber was werden wir tun, wenn sie doch überlebt?“ „Das wird sie nicht.“, lachte ihr Vater kalt. „Dafür werde ich sorgen.“ Heidekralle stimmte ebenfalls gehässig lachend zu. Es überlief Wüstenpfote eiskalt. „Der DonnerClan wird nicht länger das Antlitz dieses Waldes verschandeln, wenn wir erst einmal fertig sind.“, frohlockte der zweite Anführer verachtend.
„Heute Morgen, Heidekralle, heute Morgen werden wir uns bereit machen, Heidekralle. Ich werde nicht länger warten. Morgen wird der DonnerClan untergehen und der Wald wird im Blut der Katzen dieses Clans da baden!“
Wüstenpfote zuckte vor Schreck zusammen. Ein lautes Pfeifen in ihren Ohren verhinderte es, dass sie die weiteren Worte verstehen konnte. Sie sank in sich zusammen. Sie musste sich beeilen, es blieb ihr nicht mehr viel Zeit. Vor Schock zitterten ihre Glieder und ihr ganzer Körper. Wie sollte sie das bloß so schnell schaffen? Sie musste sofort wieder an die Arbeit gehen. Nichts konnte sie nun mehr aufhalten. Die anfängliche Angst war einer allesdurchdringenden Entschlossenheit gewichen. Sie würde verdammt noch mal ihren Clan beschützen und retten. Niemand durfte den Katzen dort Schaden zufügen. Niemand! Sie verwandelte all ihren Schock in Wut, die Angst in Entschlossenheit, den Hass in Liebe zu ihren Clan. Die Tyrannen würden damit nicht durchkommen!
Nein, niemals. Es hieß zwar immer ‚Sag niemals nie‘ in diesem Fall galt dieses nicht. Niemals würde der DonnerClan vom WindClan besiegt und unterdrückt werden. Nie! Wüstenpfote stürzte sich auf das Gebüsch und bearbeitete es mit ihren Krallen, Zähnen und Pfoten. Sie würde es schaffen!
Windstern und Heidekralle würden nicht mit ihrem Plan durchkommen, dafür konnte sie sorgen.
Und sie würde es auch tun, selbst dann, wenn sie ihr eigenes Leben dafür eintauschen müsste.

WarriorCats - Ruf der FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt