Kapitel 17

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DAS LEISE SCHLAGEN des Mäuseherzens verriet die Position der Maus sofort. Wüstenpfote spannte ihre geschundenen Muskeln und sprang. Mit einem schnellen Biss tötete sie die Beute. Wüstenpfote atmete schwer. Schweiß färbte ihr Fell dunkel, sie hechelte wie wild. Wasser hatte sie den ganzen Tag noch nicht bekommen, ihre Muskeln zitterten vor Erschöpfung und Anstrengung. Ihr Begleiter lag im Schatten und fraß genüsslich etwas von der Frischbeute, die sie gerade gefangen hatte. Es war eine sehr magere Ausbeute: zwei Mäuse und ein kleiner Vogel.
Die Schülerin keuchte inzwischen. Es war noch nicht viel Zeit vergangen, doch ihre aufgescheuerten Beine erschwerten ihr das Gehen und sie konnte sich kaum konzentrieren, so sehr benebelte der Schmerz ihre Sinne. Die Schülerin riss sich zusammen, sie musste das durchstehen, schließlich wollte sie überleben. Wenn es doch nur nicht so anstrengend und auszehrend wäre.
Sturmgrau blickte kurz von der Frischbeute hoch, die Wüstenpfote so sehnsüchtig anstarrte. Er grinste hämisch: „Das war noch lange nicht genug, du sollst weiter machen.“
Wüstenpfote knurrte ihn bedrohlich an, folgte aber den Worten. Sie ignorierte den Schmerz und versuchte eine gute Spur zu finden. Sie waren am oberen Rand des WindClan Territoriums, nahe des Hochsteins, hier müssten eigentlich viele Kaninchen leben und ihre Baue haben. Die Schülerin sog erneut die Luft tief ein und sortierte die Gerüche: da war etwas Donnerweg, trockene Erde, abgestandener Dachs und…eine Note gesunder Kaninchen.
Wüstenpfote griff sich diese Fährte heraus. Fast hätte sie sie verloren, da der Schmerz in ihren Beinen wieder aufstieg, doch sie fing sich wieder und fokussierte ihre Gedanken und Jagdinstinkte einzig und allein auf die Beute. Es musste sich irgendwo links von ihr in einem großen Ginsterbusch versteckt haben.
Wüstenpfote folgte ihm, noch war es unwissend und knabberte an einem Grashalm. Leichte Beute für mich, schoss es ihr durch den Kopf, als sie ihr Gewicht auf die Oberschenkel verlagerte und sich langsam vorwärtsschob. Ihr Herz schlug schneller, jetzt bloß keine falsche Bewegung machen, sonst müsste sie Ersatz dafür finden.
Doch Sturmgrau schien gar nicht zu wollten, dass sie ihre Arbeit zweckmäßig erfüllte. Er raschelte absichtlich laut im Gras herum und knurrte leise. Das Kaninchen, das die Geräusche natürlich gehört hatte hob erschrocken den Kopf, entdeckte Wüstenpfote und stürmte in großen Sprüngen davon. Doch die Schülerin war nicht gewillt diese Beute gehen zu lassen.
Sie rannte los.
Ihre Muskeln brannten.
Wüstenpfote jagte dem Kaninchen hinterher. Ihre Lungen brannten, fingen Feuer, förderten fast schon zu wenig Sauerstoff in ihren Blutkreislauf. Sie gab nicht auf, das würde sie nie. Sie schoss vorwärts, hechtete vor die Bahn des Beutetieres und versperrte ihm somit den Weg. Der Hase, der seine Geschwindigkeit nicht früh genug bremsen konnte, prallte gegen sie und somit in die Fänge der Schülerin. Sie tötete ihn mit einem kurzen, kräftigen Biss in den Nacken, damit er keine unnötigen Schmerzen erleiden musste.
Triumphierend stolzierte sie auf ihren Begleiter zu, zwar hatte sie diese Strapaze sehr angestrengt, doch sie konnte sich ein spöttisches Lächeln nicht verkneifen.
„Na, was hat dir den dein Versuch gebracht, die Beute zu verscheuchen?“, fragte sie breit grinsend. Sturmgrau schaute sie missmutig und voller Abneigung an. Er spuckte kurz aus und funkelte sie dann weiter an. Die Schülerin, die ganz ausgelaugt wirkte, tappte zu dem kleinen Haufen, den sie angesammelt hatte und legte ihre neue Beute dazu.
„Das ist noch nicht genug.“, forderte Sturmgrau. Wüstenpfote stöhnte auf, sie hatte schon längst genug von dem ganzen schuften. Das war doch nur ihr schreckliches früheres Leben gewesen, oder? Sie wollte einfach nur zum DonnerClan zurück, mehr nicht. Oder sich zumindest nicht aufarbeiten müssen.
Das war doch einfach zu viel. Sie keuchte leise, als sie sich wieder aufrichtete um erneut eine Beutespur zu finden.
Wüstenpfote kroch geräuschlos die Heidesträucher entlang und kauerte sich in der Nähe eines Baumes nieder. Ihre Sinne waren hellwach und gespannt. Regungslos suchte sie die Gegend nach Leben ab. Sie hielt Ausschau nach den winzigsten Bewegungen, öffnete das Maul, um den feinsten Geruch wahrzunehmen, und richtete die Ohren nach vorne. Dann roch sie die Maus.
Sofort erkannte sie den Geruch. Ihr Magen schmerzte, sie war hungrig, wusste aber, dass diese Beute nicht für sie bestimmt war. Wilde Energie schoss ihr durch den Körper, doch sie blieb regungslos liegen, versuchte herauszufinden, wo sich die Beute befand. Sie lauschte angestrengt, bis sie den Schlag des Mäuseherzens wahrnahm.
Dann blitzte etwas Braunes vor ihren Augen auf. Das Tier bewegte sich schnell durch das Gestrüpp hindurch. Wüstenpfote schob sich näher, dachte daran, wie sie schon etliche Mäuse hier erlegt hatte, wie sie schon die zwei davor heute erlegt hatte. Sie wunderte sich, dass diese Tierchen immer noch so dumm waren, sie mussten doch wissen, dass sie immer hier ihre Jagd begann. Wüstenpfote verlagerte ihr Gewicht auf die Oberschenkel, bis sie den richtigen Abstand fand, um zuzuschlagen. Kraftvoll drückte sie sich mit den Hinterpfoten ab.
Wenn man sie beobachtet hätte, diese ausgemergelte Kätzin, hätte man nicht vermutet, dass so viel Stärke in ihr steckte, auch noch nach so vielen Strapazen und den Wunden an den Beinen und Pfoten. Sie sprang. Sand wirbelte auf, als sie in die Luft stieg.
Die Maus flitzte davon, doch Wüstenpfote war eine erfahrene Jägerin, erfahrener als mancher Krieger. Sie war schneller als ihre Beute. Sie warf sie mit einer Pfote in die Luft, schleuderte sie auf den trockenen Boden und landete direkt auf ihr. Sofort tötete sie sie mit einem schnellen Biss.
Anschließend spitzte sie wieder ihre Ohren. Zuerst nahm sie nichts wahr, doch dann hörte sie das Rascheln von unbedachten Pfoten hinter den Heidesträuchern. Ein fettes Kaninchen hockte dazwischen und knabberte an einigen Beeren. Wüstenpfote wusste, dass die Beute keinen Ton von sich geben durfte, denn sonst hatte sie keine Chance noch etwas zu fangen. Trotz ihrer Erschöpfung war Wüstenpfote stark. Sie bewegte sich im Windschatten der Tiere. Geschickt schlängelte sie sich zwischen den Sträuchern hindurch. Noch hatten sie ihre Beute nicht bemerkt. Es bildete sich eine Pfütze auf ihrer Zunge. Doch dieses Fleisch war nicht für sie bestimmt. Sie sprang, bevor das Kaninchen sie auch nur bemerkt hatte und tötete es ohne mit der Wimper zu zucken. Das würde ihr jetzt vermutlich das Leben retten.
Erschöpft schleppte sie die Beute zu Sturmgrau, der sich wieder in den Schatten gelegt hatte.
Wenigstens vergreift er sich jetzt nicht mehr an der Frischbeute, dachte sie, als sie die Neue hinter sich her schleppte. Sturmgrau öffnete nur kurz die Augen einen Spalt breit, um dann wieder zu murmeln: „Reicht noch nicht.“ Wüstenpfote verzweifelte langsam Sie konnte nicht mehr. Sie würde das nicht länger durchhalten.
Ihre Beine und Pfoten brannten, vermutlich würden sich die Wunden entzünden, da viel Dreck und das offene Fleisch eingedrungen war. Die Schülerin war einer totalen Erschöpfung nahe, sie konnte sich kaum noch auf den beinen halten, geschweige denn laufen. Der Wassermangel setzte ihr ebenso zu wie die Tatsache, dass sie schon lange nichts mehr gegessen hatte.
Widersterbend drehte sie sich um, um erneut die Spur eines Beutetiers zu erschnüffeln. Doch sie konnte nichts wittern außer ihre stetig wachsende Erschöpfung und den Schweiß, der ihr inzwischen dunkelbraunes Fell fast schon schwarz färbte. Die Schülerin hätte vor Freude und Erleichterung laut aufgeschrien, als sie eine alte Amsel landen sah. Diesen Vogel könnte sie noch leicht erwischen. D
essen war sie sich sicher. So strak war sie, dass sie diese Qualen der Jagd aushalten konnte. Und sie würde diese aushalten.
Wüstenpfote biss die Zähne zusammen und kroch auf die Amsel zu. Diese hatte sie noch nicht bemerkt. Unbehelligt stocherte der Vogel in der staubigen Erde auf der Suche nach einem Wurm oder einem Käfer. Sein schwarzes Federkleid glänzte in der Sonne, der orange Schnabel hektisch in die Erde pikend, als gäbe es nichts Wichtigeres als dieses Fleckchen Erde. Wüstenpfote verzog ihre Lippen zu einem kleinen Lächeln.
Du wirst mir vermutlich meine letzten Qualen ersparen, dachte sie. Sie betete inständig, dass es dann endlich reichen würde, dass sie dann endlich genug Beute haben würde und Sturmgrau zufrieden wäre, ansonsten müsste sie auf der Stelle ohnmächtige werden, aber wahrscheinlich müsste sie sogar dann nach Erwachen weiter machen, bis es genug war.
Die Schülerin schärfte ihren Blick, nahm ihre Beute ins Visier. Gleich konnte sie zuschlagen. Die junge Schülerin schlich sich noch weiter an, ihre Oberschenkel schmerzten als sie das Gewicht darauf verlagerte. Sie ignorierte den Schmerz kurzzeitig und fokussierte den Vogel. Er war ganz nah. Hoffentlich würde Sturmgrau nicht dazwischen funken, noch einmal konnte sie nicht so eine Hetzjagd hinlegen wie bei diesem Kaninchen. SternenClan sei Dank tat er es auch nicht.
Ihr Begleiter schlief einfach nur faul im Schatten und wartete darauf, dass Wüstenpfote endlich in der Hitze gar wurde, vermutlich, damit er sie danach verspeisen konnte. Sie verdrehte die Augen.
Ihr Puls beschleunigte sich, das pure Leben steckte in dem alten Vogel. Was für eine komische Tatsache. Er war fett und groß und genau richtig. Wüstenpfote pirschte heran. immer eine Pfote leicht nach der anderen aufsetzend. Das war ihre Chance. Die Schülerin drückte sich lautlos vom Boden ab und flog auf den Vogel zu. Bevor er auch noch irgendetwas überrissen hatte, hatte Wüstenpfote ihn auch schon gepackt. Sie wich den verzweifelten Hieben seines Schnabels aus und zerfetzte ihm mit einem Ruck die Kehle. Blut quoll aus der Wunde, ein bisschen davon sickerte in ihren Mund. Ihr Magen knurrte. Der Vogel sah so saftig aus…
Nein, sie musste sich am Riemen reißen.
Das durfte sie nicht, sie konnte den Vogle nicht verspeisen. Müde schleppte sie ihre Beute zu dem Haufen.
„Reicht es jetzt?“, fragte sie entnervt. Sie hatte einfach keine Ruhe mehr in sich um einen gezügelten Tonfall anzuschlagen. Ihre Pfoten und Beine schmerzten höllisch, ihre Lungen brannten, ihr kompletter Körper war ausgelaugt und ihre Kehle staubtrocken. Und zu allem Überfluss fraß Sturmgrau all die Beute, die die gefangen hatte, sodass sie noch mehr Arbeit hatte. Genau dieser gähnte nun herzhaft, sodass seine Kiefer krachten.
Wüstenpfote zuckte bei dem Geräusch zurück. Es hörte sich an als sei etwas zerbrochen oder kaputtgegangen. Ein grässliches Geräusch. Missmutig verzog sie die Miene. Aus schläfrigen Augen blickte Sturmgrau zu der vor Erschöpfung am ganzen Leib zitternden Schülerin hoch. Sie starrte ihn aus gelb grünen Augen genervt an. Der Kater lächelte leichthin und warf einen schnellen Blick auf den inzwischen ordentlichen Haufen an Beute.
Dann nickte er träge: „Ja, ja. Das passt schon. Du wirst wahrscheinlich morgen noch mehr jagen müssen… aber für den Anfang, passt das gerade noch.“ Wüstenpfotes Zähne knirschten, als sie ihre Kiefer fest aufeinanderpresste.
Dieser nichtsnutzige Taugenichts!
Was bildete sich der eigentlich ein!
Als ob das nicht schon genug Beute für den hungrigen Clan war. Die würden doch sicher auch ein zwei Beutestücke selbst gejagt haben. Die Schülerin schnaubte, taumelte leicht nach rechts und fing sich strauchelnd wieder. Sie war am Ende.
„Die Beute kannst du aber schön selbst ins Lager tragen. Ich mache das nicht.“, fügte Sturmgrau hinzu, der gerade aufgestanden war und sich ausgiebig streckte. Wüstenpfote funkelte ihn böse an, am liebsten hätte sie ihn auch zu ihrer Beute geworfen, wenn sie nicht zu schwach gewesen wäre um ihn zur Strecke zu bringen. Sicherlich würde er einen ordentlichen Appetithappen abgeben…
Aber da das natürlich nicht ging, verkniff sie es sich und zerrte, vor Anstrengung keuchend den Haufen an Beute hinter sich her. Mehrmals strauchelte sie, drohte zu fallen, irgendwie schaffte sie es die ganze Beute ins Lager zu schleppen, ohne auch nur ein Stück davon zu verlieren.
Erschöpft legte sie alles in der Frischbeute-Kuhle ab, damit sich der Clan daran bedienen konnte. Auch ihr knurrte der Magen, doch es war ihr nicht erlaubt etwas zu sich zu nehmen. Gerade als sie ihre Aufgabe erledigt hatte, wurde sie schon von Heidekralle grob zu Boden geworfen und mit einem von Schlafschattengewächs und Wasser getränktes Stück Moos zurück in ihr Gefängnis gezerrt.
Der Eingang blieb offen, schließlich konnte die Schülerin ja nun nicht mehr weglaufen. In ihrer Verzweiflung trank Wüstenpfote alles, was in dem Moos vorhanden war und um ihren knurrenden Magen zu beruhigen aß sie sogar das Grünzeug, es war besser als nichts. Die Schülerin drohte schon wieder in Ohnmacht zu fallen, doch sie hoffte, dass sie mitten in der Nacht wach werden würde um einen Plan zu fassen.

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