Kapitel 2

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BEI MONDHOCH war sie wieder zurück im Lager. erschöpft taumelte sie zum Frischbeutehaufen. Sie stöhnte verzweifelt auf, als sie sah, dass kein einziges Beutetier übrig geblieben war. Sie wollte sich schon entkräftet zum Bau der Schüler schleppen, da tippte sie jemand mit einer Pfote an. Wüstenpfote drehte sich um und blickte erstaunt in das Gesicht von Blaufell. Diese war eine der Königinnen der Kinderstube. Diese Kätzin hatte sie großgezogen, das wusste Wüstenpfote. Denn der warme, mütterliche Geruch hatte sich in ihrem Fell abgelegt, war aber überlagert vom Geruch des WindClans.
Blaufell schmiegte sich an Wüstenpfotes Flanke. Die Schülerin schnurrte, sie genoss die mütterliche Wärme. „Meine Kleine. Ich mache mir Sorgen um dich, du bist schon ganz abgemagert.“, schnurrte ihre Pflegemutter besorgt. Wüstenpfote leckte ihr kurz über die Wange: „Mach dir keine Sorgen um mich, mir geht es gut.“ Doch wie um diese Aussage zu bestreiten knurrte ihr Magen wie verrückt.
Zweifelnd stupste Blaufell Wüstenpfote an. „Hier, ich habe dir mein Kaninchen aufgehalten.“, miaute sie fürsorglich und schob das weiße Bündel zu Wüstenpfote hinüber. Die sandfarbene Kätzin stürzte sich sofort auf die Frischbeute. Der herrliche, salzige Geschmack nach frischem Kaninchen vernebelte Wüstenpfotes Sinne. Sie stürzte die Beute hinunter, als hätte sie noch nie etwas Besseres gefressen. Das Kaninchen war saftig und half ihr wieder zu Kräften zu kommen. Sie ließ sich auf den Bauch sinken, da ihre Beine sie vor Erschöpfung nicht mehr tragen konnten. Ihre Muskeln zitterten. Zufrieden schaute Blaufell ihrer Pflegetochter beim Fressen zu. Die Schülerin nagte die Knochen so fein säuberlich ab, dass kein einziger Bissen mehr übrig war.
„Tut mir leid, jetzt hab ich dir deine Beute weggefressen.“, miaute Wüstenpfote entschuldigend. „Das macht nichts.“, schnurrte die Blaugraue, „Heidekralle nimmt dich einfach viel zu hart ran. du bist schon völlig abgemagert und erschöpft. Ich rede mal mit deinem Vater, er soll dir mal einen Tag frei geben.“ „Beim SternenClan, das würdest du für mich tun?“ Blaufell nickte nur und verschwand in der Dunkelheit. Wüstenpfotes Augen glänzten vor Dankbarkeit. Satt und zufrieden rollte sie sich in ihrem Nest zusammen und schlief sofort ein.

Ein zorniges Fauchen weckte Wüstenpfote am nächsten Morgen. Schläfrig öffnete sie die Augen und blickte in das wutentbrannte Gesicht von Heidekralle. Sie sprang auf die Pfoten, doch ihr Mentor schnaubte nur abfällig: „Du kannst liegen bleiben, Weißstern hat mir mitgeteilt, dass du diesen Tag frei hast.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und sein Schwanz zuckte hin und her.
Freude breitete sich in Wüstenpfote aus. Blaufell hatte es geschafft. Sie streckte ihre Glieder und trat aus dem Bau der Schüler. Auch Weißstern trat gerade auf die Lichtung, die von den verschiedenen Bauen eingerahmt wurde. In der Mitte war den Frischebeutehaufen noch nicht aufgefüllt worden. Kurz trafen sich ihre Blicke, doch als sie den kalten, harten Ausdruck auf seinem Gesicht sah, wandte sie sich ab. Sie hatte schon immer gewusst, dass ihr Vater nichts für sie empfand. Doch tief in ihrem Inneren war sie noch immer das kleine, verletzliche Junge, das die Anderen immer beneidet hatte, wenn deren Väter sie in der Kinderstube besuchen kamen. Schmerzlich war sie sich dieser Lücke in ihrem Leben bewusst.
Dennoch war sie stark. Stärker als viele Andere. Wüstenpfote blinzelte noch ein wenig verschlafen in das helle Licht der Sonne, die gerade über den Hochfelsen erschien. Einige Vögel zogen ihre kreisen in weiter Ferne über den Heiden. Wie sehr sie sich doch Flügel wünschte. So gerne würde sie mit den Vögeln fliegen und…und einfach frei sein. Sie konnte alle Qualen erleiden, die ihr auferlegt wurden, jede Hürde nehmen, wenn sie nur frei sein könnte. Das Clanleben engte sie ein. Dieser Tag war der einzige in ihrem ganzen Leben an den sie einmal machen konnte was sie wollte. Trotzdem hinderte sie das Gesetz der Krieger daran sofort jagen zu gehen um ihren Hunger zu stillen. Der Clan kam an erster Stelle.
Sie seufzte, als sie sich ihrer Pflichten schmerzlich bewusste wurde. Ihre Schnurrhaare zuckten. Wiederwillig erhob sie sich und verließ das Lager ohne einen Blick zurück zu werfen. Sie musste noch den Clan versorgen mit so viel Beute wie sie erwischen konnte. Denn sie konnte ich nicht einfach ausruhen und nochmal in ihr Nest zurückkehren. Beim SternenClan, wo wären dann ihr Ehrgefühl?
Manchmal spielte sie mit dem Gedanken eine Einzelläuferin zu werden um endlich diesem eintönigen Clanleben zu entkommen.
Wüstenpfote näherte sich dem Baumgeviert. Dieses war ihr persönliches Jagdrevier. Ihr Herz raste, von wildem Jagdfieber gepackt. Nachdem sie einige kleinere Mäuse gefangen hatte, brachte sie ´diese zum Lager zurück. Seltsam ruhig war es, als sie zurückkehrte, aber das konnte auch an der erdrückenden Hitze liegen, die sich über die Landschaft gelegt hatte. Der Boden brannte fast schon förmlich unter ihren Pfoten. Und sie war froh, als sie endlich wieder den Schatten des Lagers betreten konnte. Sie wusste, dass ihre beute sofort verzehrt werden würde, da jede Frischbeute bei dieser Hitze binnen Stunden zu Krähenfraß wurde.
Die drei Ältesten räkelten sich schläfrig im Schatten des Baus. Wüstenpfote schlenderte mit erhobenem Schwanz zu ihnen herüber. Es war lange her, seit sie das letzte Mal mit ihnen gesprochen hatte. „Wieso bist du denn nicht jagen?“, fragte Glitzerfell, die schildpattfarbene, einst hübsche Kätzin. Ihre Schwanzspitze zuckte empört. Wüstenpfotes Nackenfell sträubte sich. Verlangten die auch noch, dass sie jeden Herzschlag damit verbringen sollte den Clan zu versorgen. „Ich habe heute frei.“, erwiderte sie auf Glitzerfells Anspielung hin. „Papperlapapp. Jedes Mäusehirn weiß doch, dass ihr Schüler einfach nur faul seid.“, meinte Dreibein hochnäsig. Das ging Wüstenpfote zu weit: „Ich schufte mich jeden Tag halb zu Tode und ihr findet, dass ich faul bin?!“
„Nun, die Katzen heute sind eben nicht mehr das, was sie einmal waren.“, setzte Schimmerblüte darauf.
Wüstenpfote fauchte verärgert und wandte sich ab. Nun hielten sogar die Katzen, die sie im Clan am meisten schätzte nicht mehr zu ihr! Wüstenpfote hielt es im Clanlager nicht mehr aus. Von allen Seiten wurde sie mit feindseligen Blicken betrachtet. Schon oft hatte sie mit dem Gedanken gespielt eine Einzelläuferin zu werden um dem Clanleben zu entkommen. Anscheinend schätzte niemand im WindClan sie. Ginster und Hundsrose! Sie würde abhauen. Das hatte sie nun beschlossen. In diesem Clan würde sie nie glücklich werden.

WarriorCats - Ruf der FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt