Stiles blickte sich hektisch um.
Eigentlich müsste der Wolf doch längst bei ihm sein?
Verblüfft stellte der Biologe fest, dass offenbar etwas anderes gerade die Aufmerksamkeit des Tieres auf sich gezogen hatte und zwar jenes bunte Kleidungsstück, welches Stiles gefunden hatte. In der Dämmerung konnte er gerade eben noch erkennen, wie der Wolf interessiert daran schnupperte, es dann behutsam ins Maul nahm und davontrug. Er trabte aus irgendeinem Grund hinüber zu Stiles Schlitten und legte das T-Shirt dort ab, kehrte dann jedoch wieder um und kam diesmal geradewegs auf den Menschen zu:
„Bitte tu mir nicht weh!" flehte Stiles mit weit aufgerissenen Augen und hielt schützend die Arme vor den eigenen Körper.
Der Wolf gab einen seufzenden Laut von sich. Dann entblößte er sein gewaltiges Gebiss und startete seinen Angriff.
Stiles weinte vor Angst, als das Tier ihn wie erwartet im Genick packte.
Und er brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass der erwartete Schmerz ausblieb?
Der Wolf hatte Stiles lediglich an seiner Kapuze gepackt und begann nun, den Menschen hinter sich her zu zerren:
„Was denn, Blacky? Bist du etwa wählerisch bezüglich deiner Futterplätze?" fragte Stiles mit zitternder Stimme.
Doch scheinbar hatte das Raubtier überhaupt nicht vor, ihn zu fressen. Vielmehr schien dies hier eine Art Rettungseinsatz zu werden, denn Stiles wurde hinüber zu seinem Schlitten geschleift. Dort angekommen ließ der Wolf den Menschen dann ganz einfach wieder frei.
Stiles hievte sich unter Schmerzen auf das Fahrzeug hinauf und sagte unsicher:
„Ich weiß nicht, warum du das getan hast und ob du vielleicht ein heimlicher Bergwacht-Bernhardiner bist, aber Danke, Großer!"
Dann blickte er sich um und stellte angesichts der Dunkelheit und des Schneetreibens fest:
„Aber ich schätze, ich werde wohl trotzdem nicht nachhause finden!"
Stiles hatte wenig Hoffnung, dass er eine Nacht hier draußen überstehen konnte. Wenn er nun ein Zelt gehabt hätte vielleicht, aber einfach so? Wohl kaum!
Trotzdem begann er, in seinem Rucksack zu kramen, um sich für die Nacht einzurichten. Er zog eine Thermodecke hervor und ehe er sich darin einwickelte, lockerte er noch den rechten Schnürsenkel, um seinem verletzten, stark geschwollenen Fuß ein wenig mehr Raum zu verschaffen und die Durchblutung zu gewährleisten.
Dann fand Stiles ein halb erfrorenes Truthahnsandwich in seiner Tasche, doch kaum hatte er es ausgewickelt, kam auch schon der Wolf zu ihm auf den Schlitten gesprungen.
Der Biologe ärgerte sich über seine eigene Dummheit!
Wie konnte er vor der Nase eines Wildtieres mit etwas zu Essen herumwedeln? Was war er? Ein blutiger Anfänger etwa?
„Also gut! Kannst es haben!" bot er dem Wolf friedfertig an und legte es ihm vor die Pfoten.
Nur dass das Tier gar nicht an seinem Essen interessiert zu sein schien. Vielmehr schien es sich auf einen Übernachtungsbesuch bei dem Menschen einzurichten.
Einmal mehr versetzte dieses einzigartige Tier den Wissenschaftler mit seinem Handeln in komplettes Erstaunen. Natürlich waren Wölfe sehr fürsorgliche Tiere, kümmerten sich um ihre Verletzten, brachten ihnen Futter, wärmten sie mit ihren Körpern und beschützten sie, doch das bezog sich für gewöhnlich nur auf Artgenossen, oder vielmehr Mitglieder ihres Rudels!

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Wolf im Schnee
Fanfiction"Mitten in Nacht wurde Stiles wach von einem Ruf aus der Ferne, der ihn bis ins Mark erschütterte und seinen gesamten Körper mit einer Gänsehaut überzog. Es war das Klagen eines einsamen Wolfes, so durchdringend und tragisch, dass es Stiles die Trän...