In den folgenden Tagen ging es Stiles kleinem Patienten zunehmend besser; sogar so gut, dass der Fuchs nun damit anfing, dem Menschen gründlich die Hütte auseinanderzunehmen!
Jedes Mal, wenn Stiles von einem seiner Ausflüge ins Haus zurückkehrte, fragte er sich, was das kleine Ungeheuer wohl dieses Mal wieder angestellt, umgestoßen oder zerkaut haben mochte und so wurde es langsam Zeit, sich einzugestehen, dass es Zeit wurde, Scotty 2 wieder in die Wildnis zu entlassen, auch wenn es Stiles schwerfiel, denn um ehrlich zu sein, hatte er die Gesellschaft des Tieres genossen und ohne den kleinen Strolch würde es wohl ganz schön einsam werden.
Als der Biologe also an diesem Morgen nach dem Frühstück das Haus verließ, nahm er Scotty ganz einfach mit sich. Und während dem Menschen selbst ein wenig Wasser in den Augen stand, gingen dem Tier derartige Sentimentalitäten vollständig ab. Der Polarfuchs blickte sich noch einmal nach seinem Lebensretter um und dann entfernte er sich in übermütigen Sprüngen, wälzte sich fröhlich im Schnee und ward schon bald nicht mehr zu sehen:
„Gern geschehen, du undankbarer Schuft!" rief Stiles ihm gutmütig lächelnd hinterher: „Lass' dich nicht wieder fangen, in Ordnung, Scotty?"
Dann startete der Wissenschaftler seinen Schlitten und fuhr eine ganze Weile über Land.
Nachdem es in den vergangenen Tagen häufig geschneit hatte, war es heute zum ersten Mal wieder sonnig und freundlich, auch wenn das nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass es inzwischen noch kälter geworden war.
Den einsamen schwarzen Wolf hatte Stiles zuletzt einmal kurz an dem Tag gesehen, nachdem er ihn auf Film eingefangen hatte. Es war ihm fast so erschienen, als wollte das Tier dem Menschen noch einmal zeigen 'Ich lebe! Die Jäger haben mich nicht gekriegt!', aber seitdem war er weder in der Realität in Erscheinung getreten, noch war er vor einer von Stiles stationären Kameras aufgetaucht.
Wahrscheinlich war er längst weitergezogen.
Ein wenig vermisste der Mensch ihn bereits.
Auch die Jäger hatte Stiles nicht mehr gesehen, seit sie einmal ganz kurz vor seiner Linse erschienen waren und er war heilfroh darüber. Ihre Spuren hatte Stiles jedoch sehr wohl gefunden, nämlich sechs Tretfallen, die er an verschiedenen Orten in den letzten Tagen ausgemacht hatte. Selbstverständlich hatte er sie sogleich entschärft und konfisziert.
Stiles befand sich im Revier des Rudels der alten Alpha-Wölfin. Dieses hatte er in den letzten Tagen immer wieder beobachtet und gefilmt und die Tiere hatten scheinbar beschlossen, dass dieser einzelne, seltsame, aufdringliche Mensch mit seinem Schlitten keine Gefahr für sie darstellte, denn sie duldeten ihn in ihrer Nähe, ohne sich in ihren täglichen Verrichtungen stören zu lassen.
Auch heute hatte Stiles das Rudel wieder ausgemacht, spähte sie mit einem Fernglas aus und nun versprach es interessant zu werden, denn die Tiere befanden sich auf der Jagd. Sie hatten ein Karibu mit seinem etwa sechs Monate alten Jungen von der Herde getrennt und eingekreist. Das Muttertier und ihr Kind hatten keine wirkliche Chance und dennoch beschlossen sie scheinbar, nicht kampflos unterzugehen. Als Flucht nicht mehr möglich war, stellte sich die Kuh schützend vor ihr Kalb, präsentierte ihr Geweih und stellte sich der aussichtslosen Schlacht.
Solche Szenen hasste Stiles im Grunde, doch er versuchte, es mit der nötigen wissenschaftlichen Distanz zu sehen. Wölfe mussten nun einmal fressen!
Zum Glück ging es schnell und die Beutetiere mussten nicht lange leiden.
Und dann geschah etwas bemerkenswertes. Als es nämlich ans Fressen ging, versuchte ein junger, kräftiger, vorwitziger Rüde sich vorzudrängen und sich als Erster zu bedienen. Natürlich wurde er hierfür von seiner Alpha in seine Schranken verwiesen und wich schließlich auch zurück, doch Stiles ahnte, dass dieses Männchen sicherlich früher oder später versuchen würde, seine Anführerin zu beerben, um selbst der Alpha zu werden.

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Wolf im Schnee
Fanfiction"Mitten in Nacht wurde Stiles wach von einem Ruf aus der Ferne, der ihn bis ins Mark erschütterte und seinen gesamten Körper mit einer Gänsehaut überzog. Es war das Klagen eines einsamen Wolfes, so durchdringend und tragisch, dass es Stiles die Trän...