7. Jocelyn Flores

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Ich stehe auf und wische mir einmal über die Augen. Als ich am Spiegel vorbeikomme, stoppe ich. Meine sind Augen stark gerötet, was nicht einmal davon ablenkt, wie tief meine Augenringe bereits sind. Es wird mir erneut alles zu viel. Und ich hab einfach das Gefühl aus Mias Zimmer raus zu müssen.

Ich will einfach nur rennen. So weit weg wie ich kann. Aber ich renne nicht, es geht nicht. Meine Beine sind wie eingefroren. Weitere Tränen laufen mein Gesicht herunter und ich habe endlich die Kraft mich vom Spiegel abzuwenden.

Ich drehe mich zu Mia um. Sie sieht geschockt aus. Mia kommt zu mir und nimmt mich in den Arm. Ich weine, lautlos. Sie nimmt mich genauso in den Arm, wie es Claire früher immer getan hat, deshalb stoße ich Mia sanft weg nach ein paar Sekunden. Wir schauen uns in die Augen, als sie mir mit einem Finger die letzte Träne wegwischt.

"Es.. es tut mir leid.", ich stürme aus ihrem Zimmer, bleibe jedoch ruckartig stehen, da ihre Eltern unten zu hören sind. Ich gehe zurück, weil ich nicht einfach so an ihnen vorbei rauschen möchte. In Mias Türrahmen bleibe ich stehen.

"Bringst du mich runter?" Sie nickt wortlos. Wir laufen zusammen die Treppen nach unten, als mich ihre Eltern schon begrüßen. "Hallo, Mia stell uns doch nun mal deinen Gast vor. Wir würden ihn gerne kennenlernen." Mia sieht mich erschrocken an. Doch ich nicke ihr zu und lächele zaghaft. Das wird schon irgendwie gehen. Und so gehen wir ins Wohnzimmer.

Mia bringt mich noch raus, nachdem ihre Eltern mich genug ausgequetscht haben. Wir stehen beide vor der Haustür. Sie hat die Tür rangezogen, damit ihre Eltern nicht lauschen können.

"Ich wollte wirklich nicht, dass du dich um mich kümmern musst, geschweige denn mich so erlebst." Mia schaut auf. "Ist schon okay, Eli.", sie lächelt.

"Eli?", antworte ich lachend.

"Ja, also ich finde, dass ist ein guter Spitzname für dich." Sie grinst und will mich schon umarmen zum Abschied, doch ich halte sie dabei auf, woraufhin sie mich irritiert anschaut. "Ich hab deine Nummer gar nicht.", erwidere ich auf ihren Blick und lache ein wenig.

Sie läuft rein und kommt mit einem Zettel wieder raus. "Hier.", sagt sie grinsend. Ich lächele zurück. Nun umarmen wir uns. Als wir uns von einander trennen, küsse ich sie sanft. Es war kein leidenschaftlicher Kuss, aber dennoch ein Kuss mit Bedeutung und ich glaube, dass spürte sie auch. Direkt danach drehe ich mich um und gehe schließlich. Ich schaue nicht noch einmal zurück.

Liebe ich sie? Kann ich jemals jemanden so sehr lieben, wie ich Claire geliebt habe? Ich bin mir unsicher, aber ich kann es versuchen. Ich kann es für Mia versuchen. Sie ist es wert. Als ich bemerke wohin mich meine Beine tragen, möchte ich umkehren. Doch es geht nicht, ich laufe einfach weiter.

Seit der Beerdigung war ich nicht mehr dort. Der Schmerz wird mit jedem Schritt schlimmer und schlimmer. Ich bin nicht weit weg. Ich spüre, wie mein Herz anfängt immer schneller zu pochen. Das Pochen fühlt sich an wie Stiche im Herzen.

Die Stiche arten aus zu heftige Schmerzen. Ich gehe langsam weiter und betrete mit zitternden Beinen den Friedhof. Eine Kälte durchfährt meinen ganzen Körper. Ich versuche mich daran zu erinnern, wo ihr Grab ist. Ich habe das Gefühl, dass meine Welt erneut zusammen bricht. Was ist nur los. Ich verstehe es nicht.

"WAS IST NUR LOS MIT MIR?", brülle ich durch die Gegend, wie ein Geisteskranker. "Was ist nur los..", frage ich mich weinend selbst. Jetzt könnte man meinen, dass ich mich nicht unter Kontrolle habe. Obwohl es stimmt schon, ich habe mich nicht unter Kontrolle. Ich schlucke schwer, als ich Claires Grab finde.

"Claire Edwards. 27.11.2016. Geliebte Tochter, Freundin und Mitschülerin. Ruhe in Frieden."

Erst ein einziges Mal habe ich diesen Text gelesen und zwar zur Beerdigung. Nun lese ich ihn zum zweiten Mal. Ich merke, wie ich zerbreche. Mein Atem geht schneller und die Welt verschwimmt vor meinen Augen. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und schreibe Mia.

Ihre Nummer hatte ich vorhin gleich eingetippt. Ich versuche eine Nachricht an sie zu schreiben, aber ich kann nicht viel erkenne. Tränen steigen mir wieder in die Augen und mir wird schwindelig. Ich beschließe sie stattdessen anzurufen, aber sie geht einfach nicht an ihr Handy.

"WIESO GEHT SIE NICHT AN IHR BESCHISSENES HANDY?", schreie ich über den Friedhof. Es tut mir leid. Wieso entschuldige ich mich bei mir selber? Werde ich jetzt noch verrückt, oder was. Ich rufe Mia noch einmal an.

Nach dem 5. Klingeln geht sie ran. "Ja hallo, wer ist da?", höre ich ihre wundervolle Stimme am anderen Ende der Leitung. "Ich bins.", sage ich mit rauer Stimme, die vom vielen rumschreien sehr kratzig geworden ist. "Elijah hey, was ist denn los? Warum rufst du mich denn an?", sie ist misstrauisch, zurecht.

"Mia, kannst du mich bitte abholen? Bring mich weg von hier. Ich will hier weg.", rufe ich verzweifelt und fange wieder an zu weinen. "Eli, hey beruhige dich. Sag mir, wo du bist. Ich komme hin.", sie, Mia, die wundervoll ist, will mir wirklich helfen. So einem labilen Menschen wie mir.

"Friedhof Nord. Ich stehe hier, du wirst mich finden." Wieso ist sie so gütig? Ich bin grauenvoll. "Eli, pass auf. Ich komme so schnell, ich kann. Bleib einfach genau da. Bis gleich."

Und so legt sie auf. Ich setze mich an den Baum. Bleib ruhig. Bleib einfach ruhig. Ich schlage vor lauter Wut mit meinen Händen auf den Baum ein. Immer und immer wieder, als wäre der Baum mein Boxsack. Ich höre schließlich auf, als ich bemerke, dass meine Hände voller Blut sind.

Werde ich verrückt?

Oder bin ich das etwa schon?
                                                                                                                                  Jocelyn Flores - XXXTENTACION
                                                                                                                                                      

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