„Du bist wirklich feinfühlig. Denkst du eigentlich nach bevor du redest?“ Tragischerweise muss ich feststellen dass er mit allem recht hat was er gerade gesagt hat. Ein normaler Mensch hätte die Dose wieder weggestellt und daraufhin versucht nicht mehr daran zu denken oder ihn vorsichtig darauf angesprochen. Und dann gibt es mich. Den Elefanten im Porzellan Laden. Oder halt der Elefant in Michaels Zimmer. „Oh und glaub mir ich weiß wie das jetzt abläuft. Entweder verurteilst du mich dafür oder du behandelst mich wie Porzellan. Also wenn du nicht zufälligerweise ein unverurteilender Mensch bist der mich auch als ganz normalen Menschen sieht kannst du meinetwegen bleiben ansonsten ist die Tür direkt hinter dir.“ Ich habe noch nie einen Menschen mit einer psychischen Krankheit kennen gelernt. Ich kann ja gerade mal mit Leuten umgehen die bei Kritik nicht gleich in Selbsthass versinken. Ich kann eh kaum die richtigen Worte finden, wie soll ich das dann bei jemandem schaffen der am Ende des Tunnels so oder so nur Dunkelheit sieht?
Ich weiß ja nicht wie es wirklich in seinem Kopf zugeht, aber soweit ich über Depressionen bescheit weiß ist es eigentlich nur ein ewiger Kampf gegen sich selbst, Pure Verzweiflung und Lustlosigkeit. Dort wo ich Licht sehe, sieht er Dunkelheit. Das Leben ist ein einziges Leid und genau deshalb kann ich mir nicht erklären warum er so viel Wert darauf legt das ich ihn möglichst nicht schonend behandle. Ich kann zwar verstehen das er keine Sonderbehandlung möchte…aber macht man das nicht automatisch? Warum lerne ich eigentlich immer Leute kennen die es mir schwer machen sich mit ihnen zu verstehen?
„Hast du gerade das Antidepressiva in dir?“ frage ich schließlich da ich diese Frage als eine sehe bei der ich nichts falsch machen kann. Zudem will ich wissen wie er das gerade alles aufnimmt was ich sage…Ich kenn ihn zwar kaum, aber trotzdem will ich mich nicht komplett daneben benehmen. Außerdem tut er mir leid. „Sehe ich so aus? Nein tue ich nicht. Meine Topfpflanze nimmt die Pillen für mich.“ Sagt er relativ ruhig und ich blicke durchs Zimmer.
„Ich sehe keine Topfpflanze.“
„Und aus diesem Grund kaufe ich mir morgen auch eine neue. Ich bin der Meinung dass irgendwelche Chemikalien mich auch nicht besser fühlen lassen. Meine Mutter sieht das jedoch anders, weshalb ich die Pillen ja irgendwie los werden muss.“ Kreativ.
„Und deshalb lässt du eine Topfpflanze leiden.“ Vervollständige ich den Satz und fange kurz an zu lachen, verstumme jedoch wieder als er mich relativ unbeeindruckt ansieht.
„Warum erzähle ich dir eigentlich soviel? Wir kennen uns seit 10 Minuten.“ Murmelt er und ich zucke die Schultern. Es ist mir auch neu das man mit mir tiefgängigere Gespräche führt als den üblichen smaltalk, jedoch ist diese Situation auch mehr als unangebracht für fragen wie: Wie geht es dir? Wenn ich so darüber nachdenke ist wie geht es dir, die letzte Frage die ich ihm stellen werde. „Warum geht es dir so schlecht?“ frage ich, natürlich unüberlegt, und er starrt auf seine Füße. Wenn ich eins kann, dann Leute in unangenehme Situationen bringen. „Wenn ich will dass du es weißt, wirst du es auch noch erfahren.“ Sagt er schließlich und ich nicke hastig. „Tut mir leid, ich wollte nicht so unangebracht fragen aber ich“ doch weiter komme ich nicht denn er unterbricht mich schnell. „Sag nichts mehr. Du machst dich gerade sympathisch.“ Er schaut von seinen Füßen auf und guckt mich mit seinen grau grünen Augen an, dazu zeigt er mir ein kleines, unbedeutenes aber schönes lächeln. Ich weiß nicht ob es Einbildung ist, aber seine Augen haben etwas trauriges an sich. Dieses kleine Lächeln was er mir bis jetzt ein, zwei mal gezeigt hat erreicht auf jeden fall nicht seine Augen. Wie sagt man so schön, Augen sind die Spiegel der Seele.
„Wo gehst du eigentlich zur Schule?“ frage ich da es so langsam mir unangenehm wurde darüber nach zu denken wie es so in ihm vorgeht. „Ich hab geschmissen.“ Antwortet er, was ein stöhnen aus mir hervorbringt. Mein Leben verläuft wie eine gerade Linie und seins so…auf und ab. Wahrscheinlich verwirrend aber trotzdem interessant. „Es ist leichter die Schule hinter sich zu lassen wegen der ganzen Band Geschichte.“ Erzählt er mir und ich setze mich neben ihm auf sein Bett, auch wenn er nicht gerade danach gefragt hat. Aber er redet mit mir. Er redet offen mit mir. Und das nach so kurzer Zeit. Wir sitzen starr nebeneinander, gucken uns nicht an, sondern die gegenüberliegende Wand. Ich höre nur seinen langsamen Atem und rieche leider nur mein eigenes Parfüm. Ich liebe den Geruch anderer Leute – wenn er denn gut ist. „Was meintest du eigentlich vorhin damit dass es nur Druck ist in einer Band zu sein? Ich dachte immer es wäre etwas worauf man neidisch sein könnte.“ Frage ich ohne ihn anzusehen. Ich weiß das es wieder einer dieser Fragen will bei der jeder charismatischer Mensch mich schlagen würde, aber mir ist das wissen wichtiger. „Selbstkritik und Negative Gedanken sind folgen der Depressionen. Alles nachzulesen bei Wikipedia meine liebe.“ Sagt er beinahe bissig was dazu steht das ich aufstehe. „Was machst du?“ fragt er und ohne das ich mich zu ihm umdrehe sage ich: „Nach Hause, zu Wikipedia.“ Und mit diesen Worten verschwinde ich durch die Tür. Nicht etwa aufgebracht oder wütend, nein mit einem kleinen grinsen auf dem Gesicht. Ich bin noch nicht fertig mit dir Michael Clifford.
Zuhause angekommen, laufe ich an meiner Mutter vorbei die sichtlich überrascht darüber aussieht das ich an einem Sonntag freiwillig Zeit mit einem anderen Menschen verbracht habe, direkt in mein Zimmer und schmeiße mich auf mein Bett auf dem ebenfalls mein Laptop liegt und fahre ihn auch. Während der Zeit tipple ich mit meinen Fingern auf der Tastatur herum und versuche die letzten 30 Minuten sinnvoll zu verarbeiten. Ich habe nichts gegen Michael. Er scheint in Ordnung zu sein. Er ist halt nur kaputt. Und auch wenn ich kaum was über ihn weiß – zwar was schwerwiegendes aber noch lang nicht alles- bin ich der Meinung das er eine gerechte Behandlung verdient, auch wenn er sich das so nicht wünscht. Da ich jedoch dafür geboren wurde das falsche zu sagen, muss ich dafür sorgen es bei ihm zu verhindern. Es reicht ja das ich einmal sage „Irgendwie sehen deine Haare komisch aus.“ Und schon kommen ihm Gedanken in den Kopf von denen alle überflüssig und falsch sind. Das würde ich zwar nie zu ihm sagen da ich seine Haare genial finde aber egal. Es war vielleicht ganz sinnvoll dass wir in der Schule einmal ein Referat über Depressionen gehalten bekommen haben und dass ich mir sogar 65 % des Vortrages gemerkt habe. Ich würde mich nicht so übermäßig darum kümmern einen übertrieben guten Eindruck bei ihm zu hinterlassen wenn ich nicht ganz sicher wüsste dass wir uns noch öfter begegnen als mir und höchstwahrscheinlich auch ihm lieb ist und ich mich nicht dafür verantworten will wenn wegen meinen bissigen Kommentaren ein Suizid stattfindet. Oder ich bin einfach eine Person die sich schnell um andere sorgt. Ich hing noch eine gute Stunde vor meinem Laptop, bis mir die verschiedenen Internetseiten praktisch gesagt haben dass ich mich scheiße Michael gegenüber verhalten habe. Zu hart. Und genau das hat mich dazu veranlasst am nächsten Tag eine neue Topfpflanze für ihn zu kaufen. Als Entschuldigung für mein undurchdachtes verhalten. Ich wette ich bin die erste Person die eine Topfpflanze zum verstecken von Pillen als Entschuldigung kauft und auch noch denkt das es eine gute Idee wäre.
DU LIEST GERADE
Unconditionally | Michael Clifford
Fanfiction"Ich war mir sicher dass meine liebe ihn retten kann. Er war sich sicher dass ich ihn nur unter der Bedingung liebe." Als Dawn den mit Depressionen erkrankten Michael kennen lernt, hätte sie nie erwartet das er sich gerade durch sie besser fühlt. Da...