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«Liebes, kannst du mir bitte das Wasser geben?», fragte eine ältere Frau mit brüchiger Stimme.
«Sicher», antwortete das Mädchen und reichte ihrer Grossmutter das Glas, welches zuvor auf dem Nachttisch gestanden hatte. Kalt waren die bleichen Finger der älteren Frau, als sie die des Mädchens streiften. Doch dieses strahlte sie an, wobei ihre Augen hell leuchteten. Liebevoll erwiderte die ältere Frau das Lächeln, während sie das Wasser langsam in ihren Mund fliessen liess.
An ihren Händen waren Nadeln erkennbar, die ihre fahle Haut durchstachen und offenbar dauerhaft mit einem Kleber angebracht waren. Ihre weissen Haare waren ein wenig zerzaust und ihre Stirn vor Sorgen in tiefe Falten gelegt. Dunkle Augenringe zeichneten sich unter ihren gläsernen Augen ab, welche die Erschöpfung von der Operation des letzten Tages wiederspiegelten.
Mit zitternden Händen gab sie ihrer Enkelin das Glas zurück, die es behutsam aus ihren Händen nahm und auf die Ablage stellte.
«Geht es dir schon etwas besser?», wollte die Enkelin mit grossen Augen wissen, wobei Besorgnis in ihrer Stimme mitschwang.
Die Grossmutter antwortete wieder mit einem feinen Lächeln und drückte sanft die Hand des Mädchens.
«Ja, Valeria», meinte sie schliesslich bescheiden, doch die Enkelin konnte die Müdigkeit in ihren Augen sehen, wie erschöpft sie war. Sie konnte den Schmerz und die Erschöpfung sehen, die ihre Falten preisgaben. Selbst dieses geübte Gesicht konnte nicht verbergen, dass dahinter ein Mensch steckte, der längst nicht mehr das war, was er einst angestrebt hatte.
Valeria versuchte sich an einem Lächeln, das ihr jedoch nicht wirklich gelang und senkte betrübt den Kopf. Für einen kurzen Moment entstand eine unangenehme Stille.
«Es wird dunkel, du solltest gehen», meinte dann ihre Grossmutter liebevoll und drückte wie selbstverständlich Valerias Hand, was für diese ein unmissverständliches Zeichen dafür war, dass sie nun gehen sollte.

VerabschiedungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt