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„Seid ihr soweit?"
„Ja, Ma'am!"
„Mission startet in, drei...zwei...eins!"
Vier Menschen erwachten aus ihrer bisherigen Starre und begannen ihre verschiedenen Aufgaben aufzunehmen. Zuerst fiel die große, kräftige Frau auf, die mit ihrem Ellenbogen ein riesiges Loch in die Wand des Gebäudes schlug. Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper, auch ihre Begleiter zeigten keine Überraschung. Während die Anderen das Gebäude betraten, blieb sie draußen. In ihrer Hand hielt sie eine kleine Hundepfeife, die als Warnung vor Wachposten diente, falls sie welche erblickte. Die größte Person, ein hagerer Mann, schien von einer Sekunde auf die andere ins Nichts zu verschwinden. Zwei kleinere Gestalten schlichen währenddessen durch das Halbdunkle. Zielgerichtet liefen sie auf eine der Glasvitrinen zu, in der ein vollständig grün angelaufener Dolch lag.
„Ist alles klar?", fragte der größere Mann.
Eine Frauenstimme erklang: „Keine weiteren Sicherheitsvorrichtungen für den hier."
Der Mann wandte sich wieder zur Vitrine und ohne, dass er einen weiteren Finger rührte, hob sich das Glas vom Sockel. Die Frau packte den Dolch und lies ihn in ihrer Tasche verschwinden. Die Glaskuppel senkte sich wieder und die beiden begaben sich wieder zum Ausgang. Sobald die Frau am Eingang sie erblickte, rannte sie die Straße herunter. Sie rannte in einer Geschwindigkeit, die kein menschliches Wesen normalerweise schaffen würde, das musste sie auch, denn die große war für ihr Alibi zuständig. Die anderen dagegen verließen das Museum durch die eigentliche Tür, auch sie öffnete sich wie von Zauberhand. Kurz nachdem sie heraustraten, wurde auch der große Mann wieder sichtbar und nickte um ihnen zu zeigen, dass er ganz nach Plan die Überwachungskameras lahm gelegt hatte. Kein Videomaterial würde an ihren Ausflug erinnern. „Warum muss sie auch immer so angeben?", hörte man leise den kleinen Mann fragen, während sich das Loch in der Wand ganz alleine wieder zusammen baute. Dann folgten die drei Gestalten der Vierten die Straße herunter.

Ohne Maske und mit dem zuletzt erworbenen Schatz sicher verstaut, zeigten Ester, Kiki, Mikael und Sven keine Superkräfte oder benahmen sich in irgendeiner Weise wie Verbrecher. Sie waren eine Familie, wenn auch eine recht Ungewöhnliche. Kiki und Ester waren alte Schulfreundinnen, während Kiki eine absolute Optimistin war, blieb Ester aber bodenständig. Obwohl sie sich häufig wie eine Mutter benahm, konnte sie nicht wirklich die Gefühle Anderer abschätzen. Außer der Andere hieß Sven. Oh, die beiden waren ein Paar. Sven, ein Cousin von Kiki, war ein stiller Denker. Er hielt sich immer im Hintergrund, aber irgendwie war er der Kleber, der den Haussegen immer wieder gerade rückte. Das war nötig mit den beiden Brüdern Kjartan und Mikael. Mikael war ein einschüchternder Kerl, nicht sehr groß, aber überzeugt von dem, was er tat, setzte er sich immer wieder durch, auch gegen seinen kleinen Bruder. Er war deutlich jünger als die Anderen und durfte, dank seinem Bruder, nicht bei ihren „Raubzügen" dabei sein. „Zu gefährlich.", sagte Mikael jedes Mal, wenn er ihn fragte. Denn für seine Familie war er das normale Familienmitglied, weil er immer noch keine übernatürlichen Fähigkeiten gezeigt hatte. Da er schon ein Teenager war, bedeutete das, dass er das Gen auch nicht hatte. Seltsam ja, denn sein Bruder war schließlich ziemlich mächtig, aber sie alle hatten sich damit abgefunden. Alle, außer Kjartan. In Momenten wie diesen, wenn er im Umkleideraum der Sporthalle zurück blieb, ließ er kleine Flammen an seinen Fingerspitze entstehen oder gefror die Wassertropfen am Badspiegel. Mehr traute er sich nicht, niemals. Denn dann, nur wenn er es selbst zuließ, würde er unnormal werden. Vielleicht wäre er dann mehr wie seine Familie, aber die andere wichtige Person wäre auf einmal weit weg. Niemand aus seiner Familie hatte wirklich Freunde. Sie hatten Kontakte, Kontakte auf dem Schwarzmarkt, wo sie ihre gestohlenen Schätze vertickten. Aber Freunde? Nein. Menschen, die normal waren, durften keine engen Beziehungen zu ihnen bilden. Kjartan wusste das, aber solange er nicht wie seine Familie war, musste er das nicht beachten.
„Kommst du?", fragte eine andere Jungenstimme durch die Tür. Kjartan ließ schnell die Flammen ersterben, bevor er seinem besten Freund die Tür aufmachte. Minimal kleiner als Kjartan und mit den grünsten Augen, die jemals diese Welt erblickt hatten, sah ihm abwartend Alister entgegen: „Wo bleibst du? Herr Tischler wartet schon, er hat mich hochgeschickt."
Kjartan nickte und ging an ihm vorbei zur Sporthalle. Er war schon immer still und abwesend, aber manchmal (heute) war er zu still. Alister war lang genug in seiner Nähe um den Unterschied zwischen normal still und irgendetwas-ist-ganz-faul-still zu bemerken.
„Kjartan? Alles gut? Du bist heute so still.", fragte er. Er war immer so besorgt!
Kjartan antwortete nur ärgerlich: „Alles in Ordnung. Kommst du jetzt oder was?"
Auch den Rest des Tages versuchte Alister Antworten aus Kjartan zu bekommen, aber er blieb still. Eigentlich wollten sie sich an diesem Tag bei Kjartan treffen, aber auch das sagte er ab, mit der Entschuldigung, dass seine Eltern es ihm wegen der Hausaufgaben nicht erlaubten. Alister wusste nicht, dass Kjartans Eltern nicht mehr bei ihm waren und er bei seinem Bruder lebte. Hätte man Kjartan gefragt warum, hätte er keine Antwort geben können. Stattdessen schaffte er es immer und immer wieder eine Ausrede zu finden, weshalb Alister nicht zu ihm kommen sollte. So auch heute und Kjartan kehrte alleine nach Hause zurück. Als er die Tür öffnete, bemerkte er, dass sie nicht abgeschlossen war. Normalerweise war er der Erste Zuhause, weil die Erwachsenen meistens Überstunden oder Spätschicht hatten.
„Hallo?", rief er in die kleine Wohnung, bereit einen möglichen Einbrecher anzuzünden. Nicht dass er das wirklich gekonnt hätte, aber vielleicht hätte es ihm Angst gemacht? Statt einem Dieb, kam Ester aus ihrem Zimmer, obwohl das theoretisch dasselbe war.
„Morgen, Kjartan.", grüßte sie gelassen, „Wie war es in der Schule?"
Sofort wusste Kjartan das irgendetwas nicht stimmte. Ester war nur dann so gelassen, wenn sie irgendwas verschwieg.
„Ganz okay, aber was machst du hier so früh?", fragte er misstrauisch.
„Ach", sie winkte ab, „Offensichtlich bin ich nicht ausgebildet genug um meinen Job weiter auszuführen."
Kjartan stockte, „Heißt das...du wurdest gefeuert?"
„Genau, ist ja nicht so, dass ich schon seit einem halben Jahr dort arbeite, aber nein! Mein Chef hasst mich!", sie sah mich entschuldigend an, „Tut mir leid, aber wenn ich nicht Ende der Woche einen neuen Job habe, können wir doch nicht in den Ferien wegfahren."
„Und der Dolch?", fragte Kjartan, mit fast flehendem Unterton, aber sie schüttelte den Kopf, „Der Einbruch ist erst einen Tag her. Selbst die besten Kontakte werden da nicht dicht halten können. Außerdem, so wertvoll ist der Dolch nicht. Ein bis Zweihundert Euro, mehr kriege wir dafür nicht. Tut mir leid, vielleicht geht es nächstes Jahr."
Kjartan murrte nur und verschwand ohne ein weiteres Wort in seinem Zimmer. Es wunderte Ester nicht, er war schon immer ein sensibler Junge und hatte es auch nicht leicht. Andererseits konnte Ester nichts dafür, wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie studiert und könnte jetzt in einem ordentlichen Job gut verdienen. Und sie hatte sich auch nicht dafür entschieden ständig einen schlechten Chef zu bekommen. Noch viel weniger konnte Ester etwas für die schlechten Jobs der anderen Familienmitglieder. Aber das war das Los der Menschen mit übernatürlichen Kräften. Nur wenige von ihnen hatten einen Abschluss, geschweige denn Abitur und studiert. Die meisten von ihnen wurden kriminell oder landeten auf der Straße. So gesehen hatte Ester sogar Glück, ihre Mutter hatte zum Beispiel nie lesen gelernt und wäre vielleicht nie älter als zwanzig geworden, wenn ihr Vater sie nicht aufgelesen hätte. Und trotzdem war sie früh gestorben. Übermenschen, wie sie manchmal genannt worden, hatten eben einfach mehr Pech als andere. Sie waren häufiger in Unfälle verwickelt, wurden schneller krank und die meisten hatten Lernbehinderungen. Kiki zum Beispiel hatte ADHS und Sven hatte Lese-Rechtschreib-Schwäche. Ein Jammer, wo er doch einer der intelligentesten Menschen war, die Ester je kannte.
Statt also zu studieren, was sie so gerne getan hatte, schließlich hatte sie auch ein Abitur, musste sie sich von einem Job zum anderen hangeln. Die Anderen saßen genauso in ihrer Beschäftigung fest und Geld kam nur weniges zusammen. Und dann gab es da noch Kjartan, dem eigentlich eine vergleichsweise rosige Zukunft entgegen sah, der sich aber immer zurück zog und abkapselte.
So kam es, das selbst als alle Zuhause waren, Kjartan sein Zimmer immer noch nicht verlassen hatte und er tat es auch nicht auf deren Anweisungen hin. Nachdem der Junge eine Stunde keinen Ton von sich gegeben hatte, fehlte Mikael jede Geduld: „Kiki, brich die Tür auf."
„Spinnst du?", rief Ester, „Wir können uns keine kaputten Türen leisten!"
„Wenn er jetzt nicht sofort daraus kommt...", drohte der Größere, er war immer etwas schnell mit drastischen Maßnahmen.
„Ist ja gut, du machst dir Sorgen, aber mach nicht gleich das Haus kaputt!"
„Warum kommt er denn nicht raus?", fragte Sven plötzlich. Mikael sah ihn nur irritiert an.
„Ich meine ja nur, dass wir uns lieber Gedanken darüber machen sollten, warum er nicht raus kommt.", erklärte Sven.
„Genau!", stimmte Ester ihm zu und lief auf ihren Freund zu, „Darum liebe ich dich."
Sven lächelte sie an, während Mikael über seine Worte nachdachte. Plötzlich traf es wie einen Blitz: „Heute ist der Tag!"
Verwirrt sahen ihn die anderen im Raum an.
„Der Tag, an dem unsere Mutter ihr wisst schon...weggegangen ist."
Kiki meldete sich nun auch zu Wort: „Letztes Jahr war es nicht so schlimm."
Mikael zuckte mit den Schultern. Er sah ein bisschen niedergeschlagen aus.
„Na ja, das liegt vielleicht an dem was ich ihm gesagt habe.", sagte Ester, „Ich bin gefeuert wurden. Ich habe ihm gesagt, dass wir jetzt wahrscheinlich nicht wegfahren können."
„Streich das „wahrscheinlich"", murrte Mikael, „Mir wurde das Gehalt gekürzt."
„Mir auch", brummte Sven.
Kiki sah ein wenig schuldbewusst aus, „Ich habe Schulden. Mein Chef hat rausgefunden, dass ich das mit den Tellern war.
„Was für ein scheiß Tag.", fasste Ester zusammen. Die anderen nickten und eine unangenehme Stille breitete sich aus.
„Es gibt da noch diese Vase...", schlug Mikael vor und sah Kiki an. Ihr Kommando zählte letztendlich.
„Meinst du die im Museum?"
Er nickte, aber Kiki seufzte und sagte Nein, „Der letzte Überfall war gerade erst. Sie werden bessere Sicherheitsvorrichtungen haben."
„Und die Bank?", fragte Ester. Stille, dann nickte Kiki langsam.
„Aber nicht zu viel. Genug um uns bequem über den nächsten Monat zu bringen, mehr nicht."
„Aye, aye", riefen die anderen im Chor, dann runzelte Ester die Stirn, „Was ist mit Kjartan? Sagen wir ihm Bescheid?"
Mikael zögerte, bevor er antwortete: „Nein"

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°*°

Wie versprochen, da ist es. Hat es euch gefallen? Irgendwelche Kritik? Ich bin da ganz offen.
Ich werde euch nicht sagen, wie lang die teile werden oder wie viele es gibt. Also lasst euch überraschen. Ihr werdet schon bemerken, wenn sie zu Ende ist xD. Nun denn,

Tilia out!

Das Feuer und Eis in Mir #WordsAward2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt