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Es musste hell sein. Zumindest schienen unter seinen Augenliedern kleine Sonnen zu brennen. Er hörte ein stätiges Piepen und, Jubel? Tatsächlich, aber es hört sich an, als ob es weit von seinem Standort entfernt war. Er konnte auch Gespräch vernehmen, obwohl ihm nicht wirklich klar war, was die Worte bedeuteten. Er musste in einem Bett liegen und neben ihm, das spürt er, saß jemand. Er versuchte seinen Arm zu heben, aber großer Schmerz durchzuckte ihn, darum ließ er es bleiben. Es war als hätte er am ganzen Körper großen Muskelkater. Sein Versuch sich zu bewegen blieb nicht unbemerkt, die Person neben ihm bewegte sich und sprach, aber er konnte keine Worte entschlüsseln. Er hörte sie, aber verstand sie nicht, wie eine fremde Sprache, nur dass er sich sicher war, dass er diese Sprache eigentlich verstehen sollte.
„Kjartan", sagte die Stimme. Kjartan war sein Name, das wusste er. Langsam wurden die Worte klarer, aber sie konnte sie noch immer nicht verstehen.
„Kjartan, kannst du mich hören? Bist du wach?"
Er öffnete seine Augen und blinzelte ein paar Mal. Neben ihm saß... „Alister?", fragte er mit seltsam rauchiger Stimme. Er lag in einem hellen Raum, an der Wand hing ein laufender Fernseher. Von ihm musste der Jubel gekommen sein. An Kjartans Armbeuge hing eine Infusion und viele andere Geräte waren um ihn herum aufgebaut.
„Oh, man.", grinste Kjartans bester Freund, „Mikael wird so sauer sein, dass du gerade jetzt aufgewacht bist, wo er nicht da sein kann."
Verwirrt sah Kjartan ihn an, „Wha-What?", mehr brachte er nicht heraus. Seine Stimme fühlte sich kratzig an und das Sprechen tat weh.
Alister reichte ihm schnell ein Glas Wasser. Als er sicher war, dass Kjartan wieder zu hören konnte, begann er wieder zu sprechen: „Du bist im Krankenhaus. Ich muss jetzt den Arzt rufen, damit er dich abchecken kann, dann kann ich dir alles andere erkläre okay?"
Kjartans Kopf brummte, was sagte Alister?
„Where's Mikael?", fragte er. Kjartan hatte den Namen seines Bruders gehört. War ihm etwas passiert?
Alister sah ihn erst verwirrt an und Kjartan fragte sich warum, bis ihm klar wurde, dass er auf Englisch gefragt hatte, wo sein Bruder sei. Er konnte sich nicht mehr erinnern wie man auf Deutsch danach fragte.
„Later, okay?", sagte Alister ebenfalls auf Englisch, weil er verstand das Kjartan zu benommen war um etwas anderes als seine Muttersprache zu verstehen, „He will be there later then I'll explain to you. A doctor will come in soon. He's going to check on you."
Kjartan nickte und schloss wieder die Augen. Er war so müde. Alister stand auf, aber Kjartan nahm nicht war, was er tat. Kurze Zeit später kam ein Arzt und zwei Krankenschwestern. Sie testeten seine Reflexe, wechselten seine Infusion und nahmen ihm etwas Blut ab. Der Arzt versuchte ihm auch ein paar Fragen zu stellen und Alister musste als Übersetzter einspringen, weil keiner der anderen Anwesenden wirklich Englisch beherrschte. Als sie schließlich verschwanden, schlief Kjartan wieder ein.

Er fühlte sich viel besser, als er wieder aufwachte. Seine Kehle tat ihm immer noch weh, aber wenigstens konnte er wieder richtig Deutsch verstehen. Diesmal war Alister auch nicht alleine. Kjartan öffnete seine Augen, und sofort verstummten die Gespräche neben ihm. Mikael, Kiki, Ester und Sven waren alle zur Stelle und lächelten ihm mehr oder weniger zu. Sie saßen verteilt im Raum auf Stühlen, während Alister wieder neben ihm auf dem Bett saß.
„Mornin' sleepyhead", grinste er, „D'you sleep well?"
Kjartan gähnte und antwortete: „Gut genug um wieder Deutsch zu reden, danke."
„Schön zu hören. Ich konnte deinen Dialekt kaum verstehen."
„Ich konnte dich auch kaum verstehen.", motzte Kjartan eingeschnappt.
„Hast du etwas gegen britischen Dialekt?", rief Alister gespielt geschockt, „Ich dachte immer der zieht alle magisch an."
„Nein, das hast du falsch verstanden. Der Trick funktioniert nur bei Mädchen aus Amerika. Ich bin Australier. Und ein Junge, falls du es nicht bemerkt hast. Zumal dein Dialekt gar nicht so britisch ist wie du dir das immer vorstellst. Du sprichst einfach nur undeutlich."
„Zu schade.", seufzte Alister. Kjartan steckte ihm nur wortlos die Zunge heraus, was ihn zum Lachen brachte.
„Schön zu sehen, das es dir gut geht.", unterbrach sie da Mikael, „Wir hatten große Angst um dich."
Kjartan wurde ein wenig rot, „Was war mit mir?"
„Rauchvergiftung und offenbar hast du dich überanstrengt. Du wärst fast erstickt."
Langsam krochen die Erinnerung zurück zu Kjartan, aber so richtig schloss sich das Bild nicht.
„Was ist passiert?"
Die anderen sahen sich schuldbewusst an, keiner wagte es, zu sprechen, außer Alister: „Was weißt du noch?"
Kjartan überlegte kurz, dann antwortete er: „Ich weiß noch, dass dieser Typ, der sich für mich ausgegeben hat, das ganze Feuer heraufbeschworen hat. Ich wollte die Familie beschützen und dann...ist alles ganz vage."
Mikael und Kiki sahen sich besorgt und fragend an, dann blickten sie zu Kjartan.
„Was meinst du mit „Er hat dich nachgemacht"?", fragte Mikael misstrauisch.
Kjartan wurde rot, jetzt hatte er sich verplappert. Gerade wollte er zu einer Erklärung ansetzten, da unterbrach ihn Alister: „Nicht. Ich habe ihnen schon alles gesagt, was ich weiß. Mikael will mir nur nicht glauben, deswegen will er es noch mal von dir hören."
Kjartan nickte und mied es bewusst seine Familie anzusehen.
„Woher weißt du es, Alister?"
Er grinste, „Du bist total durchschaubar. Ständig hat die Temperatur gewechselt und irgendwann habe ich beobachtet, dass das mit deinen Gefühlen zusammenhängen muss. Und als ich dir das eine Mal vom Skim-Quartett erzählt habe, bist du ganz nervös geworden, da war ich mir eigentlich schon ziemlich sicher. Der endgültige Beweis war dann das mit deinen Ohren."
Als Kjartan bewusst wurde, was Alister meinte, wurde er wieder rot und seine Ohren begannen zu rauchen.
Alister kicherte, „Genau das"
„Wie niedlich", grinste Kiki und selbst Mikael musste sich ein Lachen verkneifen. Sofort bedeckte Kjartan seine Ohren mit den Händen, vor allem damit niemand die kleinen Flammen entdeckte.
Als Kjartan seine Hände wieder sinken ließ, wurde es still im Raum.
„Seit wann weißt du davon, Kjartan?", fragte Mikael. Er musste es nicht weiter ausformulieren, jeder wusste, was er meinte.
„Ich habe es von Anfang an gewusst. Ihr wart sofort in den Nachrichten."
Es wurde wieder still. Kjartan war sauer, er wollte sie anschreien, aber ihren Blicken nach zu urteilen, tat sie das innerlich schon selbst.
Sven überraschte alle, indem er zuerst sprach: „Es tut uns leid. Wir hätten dir sagen sollen, was passiert ist."
Kiki und Ester stimmten nickend zu, Mikael sah starr zu seinem kleinen Bruder. Der hielt stand und sah nicht eine Sekunde lang weg.
„Mikael", mahnte ihn Ester, „Denkst du nicht, dass gerade du dich entschuldigen solltest?"
Er nickte, blieb aber stumm und sah weiter Kjartan an.
Alister räusperte sich, „Vielleicht sollten wir kurz draußen warten."
Sie nickten und verließen den Raum. Sobald sie alleine waren, stand Mikael langsam auf. Er deutete mit fragendem Blick auf den Platz auf dem bis gerade Alister gesessen hatte. Da Kjartan keine Reaktion von sich gab, sondern nur die kahle Wand anstarrte, setzte sich Mikael einfach. Diesmal sahen sie sich nicht an, ihre Blicke führten in andere Richtungen.
„Wir wurden ausgezeichnet.", begann Mikael vorsichtig, „Besondere Verdienste für die Stadt, es hat sich heraus gestellt das der Verrückte, gegen den du gekämpft hast, ein ziemlich dickes Vorstrafen Register hatte. Er war schon lange gesucht.", er zögerte und sah den immer noch stummen Kjartan an, bevor er weiter sprach, „Die Belohnung waren mehrere tausend Euro, damit sind alle unsere Schulden bezahlt. Niemand weiß, wer wir sind. Wir sind maskiert auf die Bühne gegangen. Es weiß auch keiner, wer du bist. Außer der Frau, aber sie hat geschworen nichts zu sagen. Ihr Mann stand unter Schock und kann sich an nichts erinnern."
„Wie geht es ihrem Sohn?", unterbrach ihn Kjartan, sah Mikael aber nicht an.
„Er hat Verbrennungen zweiten und dritten Grades, aber die Ärzte sagen, dass er wieder gesund wird."
Kjartan nickte stumm und auch Mikael führte das Gespräch erst nach einer kurzen Pause weiter: „Die Leute glauben, dass nur wir vier beteiligt waren. Ich dachte, es ist besser für dich, wenn du nicht noch tiefer in die Sache hineingezogen wirst."
Kjartan schnaubte: „Du dachtest."
„Wo ist das Problem?", fragte Mikael.
„Genau das. Du denkst, du weißt was am besten für mich ist, aber du verpasst, dass wir zwei unterschiedliche Menschen sind.", jetzt sah er Mikael wieder an, „Nur weil du denkst etwas über mich zu wissen, muss es nicht richtig sein."
Mikael nickte, natürlich wusste er das, aber was hätte er machen sollen?
„Du könntest mehr mit mir reden, dann könnte ich dich besser verstehen.", schlug er vor, was er schon so lange hatte sagen wollen,"Aber ich bin für dich verantwortlich, und deswegen muss ich manchmal Entscheidungen für dich treffen, ohne dich fragen zu können."
Kjartan senkte schuldbewusst seinen Blick. War Mikael sauer auf ihn? War er doch zu weit gegangen?
„Kjartan", sagte Mikael ungewöhnlich sanft, „Rede mit mir, dass hilft mehr als zu weinen."
Der Jüngere hatte die heißen Tränen gar nicht bemerkt, die sich ihren Weg seine Wangen hinab suchten. Er kümmerte sich nicht weiter darum.
„Kjartan, warum hast du mir nichts von deinen Kräften erzählt?", es war so simpel, und gleichzeitig so unsinnig. Kjartan wollte es ihm nicht sagen, er würde lachen. Er schüttelte den Kopf, schniefte.
„Ist es wegen unserer Mutter?"
Kjartan schluchzte auf. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr, er schüttelte sich und die Tränen, vorher nur einzeln vorhanden, flossen in Bächen zusammen.
„Du kannst mir alles erzählen. Ich werde nicht lachen oder böse auf dich sein."
Kjartan gehorchte als hätte er Ewigkeiten nur darauf gewartet, dass Mikael ihm das sagte. Vielleicht hatte er das auch.
„Sie-sie hat euch gehasst.", brachte er hervor, „Sie hat mir immer und immer wieder erzählt, wie sehr sie euch hasst."
Vorsichtig, als wäre er eine fragile Blume, nahm Mikael ihn in den Arm und streichelte ihm über den Rücken. Kjartans Hände krallten sich in seine Jacke beim Versuch sich Halt zu suchen.
„Ich habe sie gefragt, warum und sie ha-hat gesagt, da-dass ihr Mo-mo-monster seid. Sie hat gesagt, da-das ihr nichts we-wert seid."
Mikael tat es weh zu hören, wie seine eigene Mutter über ihn gesprochen hatte. Aber er war viel zu wütend um das wirklich wahrzunehmen. Diese Frau hatte einem wahrscheinlich gerade einmal Fünfjährigen erzählt, dass sein Bruder und Vater Monster waren. Und dank ihr, war sein kleiner Bruder jetzt völlig am Boden zerstört. Mikael konnte es nicht fassen.
Es dauerte eine Weile bis Kjartan wieder in der Lage war, weiter zu sprechen. Er löste sich von seinem Bruder, hielt aber dessen Hand fest, als er weiter sprach. Mikael machte es glücklich zu sehen, dass er ihm endlich wieder vertraute.
„Als ich mit fünf das erste Mal...Anzeichen gezeigt habe, hat sie mich angeschrien und mir gesagt, dass ich das nie wieder machen dürfte. Ich konnte es damals überhaupt nicht steuern, wenn ich gelacht habe, sind Funken entstanden. Wenn ich konzentriert war, wurde es kälter, aber ich wusste doch selber nicht was passierte. Es ist immer weitergegangen, ich habe versucht es zu unterdrücken, aber es hat nichts geholfen. Irgendwann ist sie nicht mehr wieder gekommen. Ich dachte, ich hätte irgendwas falsch gemacht. Darum habe ich gelernt es komplett zu unterdrücken. Ich dachte, ihr geht sonst auch."
„Aber wir haben dir doch alles erklärt...", sagte Mikael erschüttert darüber, was Kjartan ihm gerade beichtete.
„Aber eure Kräfte waren anders. Ihr hättet nicht einfach das Haus abfackeln oder jemanden einfrieren können. Ich hatte Angst vor meinen Kräften."
„Und wieso hast du dann gelernt sie einzusetzen?"
Kjartan überlegte kurz, „Ich glaube, irgendwann habe ich sie einfach hingenommen. Ich bin älter geworden und habe gelernt, dass ich keine Angst vor mir selbst haben muss, aber ich wollte trotzdem normal sein. Ich wollte diese Kräfte nicht haben, kein anderes Kind hatte das und mich mochte eh schon keiner. Und dann erst recht, als Alister kam...", Kjartan machte eine Pause. Es war peinlich darüber zu sprechen.
„Ich habe mir noch nie so sehr gewünscht, ganz normal zu sein. Ich wollte nichts vor ihm verheimlichen. Er hatte auch keine Geheimnisse vor mir, ich habe mich schuldig gefühlt.
Und dann habt ihr diese Superheldengeschichte abgezogen. Ich war so sauer auf euch. Ich habe mich verraten gefühlt, als wäre ich kein Teil der Familie mehr. Ich war schon immer der Außenseiter bei euch. Ich habe mich mehr wie ein Teil von euch gefühlt, wenn ich meine Kräfte nutzte."
Kjartan sah ihn wieder an, und Mikael fühlte sich schuldig. Als Kiki ihn angeschrien hatte, dachte er wahre Schuldgefühle zu haben. Aber am Ende des Tages war es immer Kjartan, der ihn wirklich berührte. Ihm wurde bewusst: Vielleicht wäre Kjartan nicht hier, wenn Mikael wirklich versucht hätte, ihn zu verstehen.
„Aber warum hast du uns nichts davon erzählt?", fragte er. Wenn nicht damals, dann jetzt. Jetzt hatte Mikael die Chance, seinen Bruder endlich zu verstehen.
„Weil ich dann nicht mehr normal gewesen wäre. Ihr hättet mir verboten Alister zu sehen."
Mikael sah ihn lange an, bevor er wieder sprach: „Kjartan, du bist mein kleiner Bruder.", sagte er sanft und strich Kjartan liebevoll durch die hellen Haare, „Du warst nie ein Außenseiter, und wirst das auch nicht sein. Wir alle lieben dich, du hättest nur den Mund aufmachen müssen und ich wäre persönlich um die Welt gereist um diese Frau, die sich unsere Mutter schimpft, zu finden und es ihr heimzuzahlen. ich hätte dir nicht verboten Alister zu sehen, nicht wenn ich weiß, wie viel er dir bedeutet. Ich hätte alles für dich gemacht."
„Ich weiß", sagte Kjartan schuldbewusst, „Ich wusste nur nicht...ich war mir nicht sicher."
„Ist gut, jetzt kannst du dir sicher sein.", er lächelte Kjartan warm an, „Es tut mir leid, Kjartan. Ich wollte dir niemals weh tun. Ich dachte, und ich weiß, du hasst das, es wäre besser für dich. Was wäre, wenn jemand Rache ausüben will, und herausfindet wer wir sind? Rate mal, wer dann als erster auf seiner Opferliste stände."
„Ich", murmelte Kjartan und verschluckte sich fast an dem Wort.
„Du, ganz genau. Ich dachte, wenn du nichts von alledem weißt, kann man dich nicht lange festhalten. Ich habe nicht an deine Gefühle gedacht und das tut mir wirklich, wirklich leid."
„Ich war auch nicht ehrlich zu euch...", murmelte Kjartan.
„Nein, sicherlich nicht, aber ich verstehe wieso. Du musst dich nicht schuldig fühlen."
Kjartan sah ihn hoffnungsvoll an: „Du verzeihst mir?"
„Ich habe dir schon lange verziehen, aber ich hoffe du kannst das auch."
Kjartan lächelte, „Ja, dir sei verziehen, Mikael."
„Das freut mich zu hören, meine Majestät.", grinste er zurück, „Versprochen, dass uns sowas nie wieder passiert?"
„Versprochen, Bruder."
Mikael strahlte förmlich, als Kjartan das sagte, „Du bist der beste kleine Bruder, den ich nur haben könnte."
„Lass das", sagte Kjartan beschämt und spielte an seiner Bettdecke, „Bring mir lieber ein Glas Wasser. Meine Kehle fühlt sich an wie Schleifpapier."

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Sorry not sorry for nothing. Happy Mikael! Wup wup.

Achso auch hier wieder, wenn ihr eine Übersetzung für das Englische braucht, sagt Bescheid.

Tilia out!

(es kommt nur noch ein Kapitel)

Das Feuer und Eis in Mir #WordsAward2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt