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„Kiki? Was machst du da?", fragte Mikael seine Freundin.
Sie grinste, „Aufräumen."
Das glaubte Mikael ihr nicht, obwohl ihr Zimmer es sicherlich nötig gehabt hätte. Überall lag Kleidung herum und ihr Bett war nie gemacht.
„So früh am Morgen? Und seit wann achtest du auf Ordnung?"
„Also wirklich. Das bist du über sechs Jahre mit mir zusammen und dachtest ich bin unordentlich."
„Ja, weil du unordentlich bist. Also was machst du da?"
„Okay, ist gut.", gab sie zu, „Ich suche dieses eine Kleid."
„Warum?"
„Habe ich das nicht erzählt? Heute kommt ein Restauranttester. Wenn ich mich gut mache, werden mir vielleicht die Schulden erlassen. Ich will gut aussehen, darum. Aha! Hier ist es!", sie hob eines der Kleider hoch und begann sich umzuziehen.
„Mach nichts kaputt.", war Mikaels trockener Kommentar.
„Also wirklich, als ob ich je etwas kaputt machen würde.", sie verdrehte spielerisch die Augen. Beide wussten ja, dass sie nur Schulden hatte, weil sie einen Stapel Teller runter fallen gelassen hat.
Mikael seufzte, „Du weißt, beeile dich nicht und versuche nicht anzugeben."
„Ja ja, ich kann auf mich aufpassen. Ich muss jetzt los. Liebe dich.", sie gab ihm einen kurzen Kuss auf die Stirn, bevor sie aus dem Zimmer verschwand.
Mikael schüttelte nur den Kopf. Auch er musste sich fertig machen, in einer halben Stunde wurde er im Supermarkt erwartet. Kassierer war eine eher undankbare Beschäftigung, aber immerhin bekamen sie dadurch an ein wenig Geld. Nachdem an diesem Tag jedoch die dritte alte Dame alles in einzelnen Cents bezahlte, fragte sich Mikael, ob es das wirklich wert war. Zum Glück hatte er danach Mittagspause und konnte sich kurz die Beine vertreten. Als es soweit war, verließ er den Supermarkt fluchtartig und sprintete quasi auf die Straße. Im Nachhinein wünschte er sich, dass er sich mehr Zeit gelassen hätte. Oder gar nicht gegangen wäre. Oder nicht so verdammt viel Mitgefühl gehabt hätte.
Eigentlich konnte er seine Kraft so weit kontrollieren, dass er nicht die Gedanken der Menschen auf der Straße las. Heute war Mikael aber nicht konzentriert, er dachte über Kjartan nach. So passierte es manchmal, dass er den einen oder anderen Gedankenfetzten mitbekam. Die meisten ignorierte er einfach, aber heute hörte er etwas Aufmerksamkeiterregendes: Habe ich alles für heute Abend? Das Messer ist schon bereit, sehr gut dann kann ich mich auf heute Abend freuen. Endlich kann ich sie aus dem Weg räumen.
Mikael blieb abrupt stehen und starrte der Frau hinterher, deren Gedanken er gerade gelesen hatte. Sie war bereits an ihm vorbei gelaufen und er konnte ihr nicht weiter zuhören. Hatte sie wirklich einen Mord geplant? Ohne weiter darüber nachzudenken, lief Mikael ihr hinterher. Auf der belebten Straße fiel das nicht auf.
Mein Alibi sitzt. Ich muss nur noch sicherstellen, dass sie heute Abend da ist. Zum Glück vertraut sie mir.
Es ging immer weiter und sie bemerkte nicht, dass Mikael sie keine Sekunde aus den Augen ließ. Plötzlich blieb sie vor einem Haus stehen. Mikael lief erst ein Stück weiter und schielte auf die Klingel, die die Frau benutzt hatte, anschließend tat er so, als ob er einen Anruf erhalten hatte und blieb einige Meter weiterweg stehen. Jetzt bräuchte er Esters super Ohren, denn er konnte nur wenige Worte verstehen. Er sah wie die potenzielle Mörderin an der Tür klingelte und kurze Zeit darauf eine zweite Frau die Tür öffnete. Sie war klein, aber strahlte übers ganze Gesicht als sie ihren Besuch erkannte.
„Marie! Es ist so schön dich zu sehen, was machst du hier?", rief sie laut genug, dass Mikael es verstand. Marie dagegen antwortete leiser. Darauf nickte die kleinere Frau begeistert und umarmte Marie, bevor sie laut rief, „Bis um sieben dann!"
Marie antwortete noch und ging dann weiter die Straße entlang. Mikael folgte ihr nicht mehr. Sie hatte es ihm ja geradezu lächerlich einfach gemacht. Vielleicht wollte er ein normales Leben leben, aber sein Gewissen befahl ihm die Frau zu retten. Er beendete seine Arbeit früher und war damit schon um fünf Zuhause. Dort rief er Sven und Kiki an und erklärte ihnen kurz, was passiert war. Ester hatte er es auch schon erzählt.
„Ich kann nicht.", antwortete Kiki ihm, „In einer Stunde kommt der Restauranttester, wenn ich jetzt gehe, werde ich definitiv gefeuert. Ihr bekommt das auch ohne mich hin, du hast das Kommando. Okay?"
Mikael seufzte, „Okay."
„Keine Sorge, Schatz. Eine gegen Drei und ihr habt Superkräfte, was soll schon schief gehen?"
„Du hast Recht. Bis heute Abend."
„Genau! Sieh es positiv. Ich liebe dich."
„Ich liebe dich auch.", sagte Mikael lahm, bevor er auflegte. Manchmal fragte er sich wie er mit seiner lauten und extrovertierten Freundin mithalten sollte, geschweige denn als ihre Anführerin ersetzen. Kiki hatte diese Aufgabe aus gutem Grund. Wenigstens war es nur dieses eine Mal bei einer sehr einfachen Aufgabe. Sie mussten nur die Polizei rufen und Marie davon abhalten die andere Frau zu töten.

Das Feuer und Eis in Mir #WordsAward2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt