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Drei Tage später wurde Kjartan aus dem Krankenhaus entlassen. Neben den fast schon stündlichen besuchen von seiner Familie und Alister, der ja Ferien hatte, kam zu seiner Überraschung auch die Frau vorbei. Es stellte sich heraus, dass sie Melissa hieß und Professorin an der städtischen Universität war. Sie wollte Kjartan unbedingt persönlich für seine Rettung danken und nachdem sie ihn ewig belagert hatte, willigte er schließlich ein, dass sie ihm einen Gefallen tuen würde.
„Kannst du meinem Bruder einen Studienplatz beschaffen?", hatte er gefragt und seine Situation erklärt. Am nächsten Tag kam sie stolz wieder und erklärt, dass er nur zwei Wartesemester hatte, eines davon das bereits Angefangene. Kjartan erfuhr nie, wie sie das geschafft hatte, und es war ihm egal. Mikael dagegen war völlig hin und weg und hätte Kjartan fast zerdrückt als er die Neuigkeiten erfuhr. Auch Ester kündigte an, dass sie jetzt, wo sie keine Schulden und einen kleinen Geldpuffer hatten, studieren wollte. Sven und Kiki, ganz die unterstützenden Partner, die sie nun einmal waren, versprachen sich in ihre Jobs weiter reinzuhängen um das fehlende Gehalt auszugleichen. Das war einfacher, als es zuerst schien, denn Kiki wurde am letzten Tag vor ihrem Urlaub befördert. Als Kjartan aus dem Krankenhaus entlassen wurde, freute er sich auf Zuhause und auf Weihnachten.
„Wir haben eine Überraschung für dich!", trällerte Kiki, nach ihrem gemeinsamen Mittagessen, „Ich hole es mal!"
Ester sah ihn peinlich berührt an, „Wir hoffen es gefällt dir. Wir waren uns nicht sicher, was dir gefällt. Aber Alister hat es uns vorgeschlagen, also..."
„Wartet mal!", er unterbrach er sie und blickte zu Mikael, „Das habt ihr besprochen, als ich euch vor der Schule gesehen habe?"
„Ja, was dachtest du denn?"
Kjartan wurde rot und versank ein wenig in einem Stuhl, „Alister hat was anderes gesagt."
„Typisch Kjartan, lügen kann er nicht und bemerkt es nicht wenn andere es tun.", lachte Ester, „Vielleicht hätten wir dir lieber ein Buch übers Lügen schenken sollen." Bis auf Kjartan fanden das alle natürlich super lustig.
Kiki kam wieder und hielt ein flaches Päckchen in der Hand. Es war nicht sehr groß.
„Ist es ein Buch?", fragte Kjartan direkt.
„Vielleicht"
„Es ist ein Buch, oder?"
Ester lachte, „Er wird schon besser. Ja, es ist ein Buch."
Kjartan machte das Papier ganz langsam ab. Es war sein erstes Geschenk seit Ewigkeiten und er wollte das Papier aus irgendeinem Grund aufheben. Heraus kam ein Buch, wie erwartet. Der Titel war auf Englisch und lautete „History of Australia", das alleine wäre sicher schon toll gewesen, aber der Name des Autors war der eigentliche Clou. Kjartan keuchte: „Das wollte ich schon ewig!"
„Wissen wir.", sagten alle im Chor.
Mikaels wirkte besonders stolz auf sich: „Alister hat erzählt, dass du den Autoren magst und auch das du am liebsten eine Originalausgabe hättest. Wir haben uns dann eines seiner Bücher herausgesucht, von dem wir dachten, dass du es besonders mögen würdest."
„Danke", sagte Kjartan und sah ehrfürchtig auf das Buch.
Ester, die am Fenster stand, sah plötzlich auf.
„Gerade rechtzeitig, Alister ist da."
„Wie?", wollte Kjartan verwirrt wissen.
„So gesehen dein zweites Geschenk.", scherzte Kiki zwinkernd.
Kjartan vergrub sein purpurrotes Gesicht in seinen Händen.
„Du brennst.", bemerkte Sven.
„Lass es brennen. Vielleicht habe ich ja Glück und ihr nehmt mich endlich ernst."
„Es ist unmöglich dich ernst zu nehmen, wenn du brennst. Du bist zu niedlich, Alister wird das bezeugen."
Kjartan wäre am liebsten auf der Stelle gestorben (angesichts seiner Nahtoderfahrung vielleicht lieber doch nicht).
„Jetzt brennt auch das Buch.", sagte Sven trocken.
„WAS?!", rief Kjartan und starrte auf die Flamme an seinem Buch. Zum Glück war sie noch klein und er konnte sie löschen, bevor etwas passierte. Dafür warf er Kiki einen bösen Blick zu, die zuckte nur mit den Schultern und lief zur Tür, an der es gerade klingelte.
Zwei Minuten später stand Alister im Zimmer und wurde mit Essen überhäuft. Nicht wortwörtlich, aber er lehnte trotzdem ab.
„Hast du schon dein Geschenk?", fragte er Kjartan, der es ihm stolz vorzeigte.
„Wusst ich's doch, dass es dir gefällt. Meine Tipps sind immer richtig!", grinste Alister begeistert.
„Wie kommt es eigentlich, dass du heute Zeit hast?", fragte Ester, „Warum bist du nicht bei deinem Vater?"
„Erstens, mein Vater ist heute bei seiner neuen Freundin.", erklärte er und sah Kjartan dabei gespielt genervt an, „Und zweitens feiern wir Weihnachten auf die normale Weise, nicht die Deutsche."
„Hä?", fragte Kiki.
„Okay für alle", machte Alister klar, „Morgen ist Weihnachten. Heute ist Heiligabend.", Kjartan nickte bestätigend.
„Jedenfalls", begann Alister wieder, bevor es Diskusionen geben konnte, „Habe ich dir trotzdem etwas mitgebracht."
„Alister, du weißt das ich nicht-"
„Pscht", unterbrach er ihn, „ich weiß, aber glaub mir, das wirst du mögen."
Er kramte in seiner Tasche und holte schließlich einen Frischhaltebeutel heraus. Darin war ein einzelner Schokoladenmuffin.
„Ist. Das. Dein. Ernst?!", kommentierte Kjartan säuerlich.
„Voll und ganz. Er ist auch selbst gebacken. Zuhause habe ich noch ein ganzes Blech, aber ich weiß ehrlich gesagt nicht wie gut sie geworden sind. Ich habe noch nie alleine gebacken, deshalb dachte ich du probierst ihn erst und wenn er schmeckt, gehe ich persönlich los und hole dir den Rest."
„Du bist ein Idiot, Alister. Ein Idiot."
„Wieso?", meinte Kiki, „Ist doch süß."
„Das versteht ihr nicht.", meinte Kjartan genervt, aber er nahm sich vor das ganze Blech zu essen, selbst wenn sie scheußlich waren. Das war er Alister schuldig.

Etwas später hatten sich Ester und Sven verabschiedet, sie wollten Essen gehen. Mikael wollte den Abend mit einigen baldigen Mitstudenten verbringen, mit denen er sich bereits getroffen hatte und gut verstand. So war bis auf Alister und Kjartan nur Kiki da. Die beiden Jungen waren inzwischen in Kjartans Zimmer umgezogen, wo sie es sich auf seinem Bett einigermaßen bequem gemacht hatten. Nach einer gewissen Zeit kehrte Stille zwischen ihnen ein.
„Ähm, Alister?"
„Yes?"
„Was wolltest du mir eigentlich neulich sagen? Du weißt schon im Park, auf der Bank."
Alister wich nervös seinem Blick aus, und natürlich musste Kjartan rot werden, als er sah, dass seine Frage offenbar peinlich war.
„Ich...ähm, weißt du...Oh Mann.", er atmete tief ein und aus und sah Kjartan wieder mit dem gleichen intensiven Blick an, wie neulich auf der Bank.
„Kjartan, du bist", er schien kurz nach Worten zu ringen, „toll. Ja, genau das. So toll, das ich...hoffnungslos in dich verliebt bin."
Für einen Moment schien Kjartans Welt still zu stehen. Er starrte sein Gegenüber an und versuchte zu realisieren, was er gesagt hatte.
„Wa-Was?", fragte er dann.
„Du brauchst auch echt immer drei Anläufe. Darf ich dich küssen?"
Verwirrt von der direkten Frage entgegnete Kjartan: „Hast du keine Angst, dass ich Nein sage?"
„Im Moment habe ich mehr Angst, dass du in Flammen aufgehst."
Kjartan fasste sich an die Ohren und bemerkte die Hitze.
„Oh Mann.", murmelte er.
„Also, darf ich?", wiederholte Alister seine Frage hoffnungsvoll.
Kjartan nickte benommen und plötzlich war ihm Alister so nah. Er konnte seinen Atem spüren und kniff instinktiv die Augen zusammen. Dann berührten sich ihre Lippen. Aber nur für einen winzigkurzen Moment. Sofort zuckte Alister zurück.
„Tut mir leid, aber du bist so heiß.", dann kicherte er über seinen ungewollten Wortwitz und fügte hinzu, „Auf zwei unterschiedliche Weisen."
„Idiot", murmelte Kjartan und versuchte verzweifelt sich irgendwie abzukühlen. Es konnte doch nicht sein, dass er jetzt, wo Alister ihn küssen wollte, sich einfach nicht abregen konnte. Er wollte diesen Kuss. Genau, sei ehrgeizig! Als er wieder eine ansatzweise normale Körpertemperatur halten konnte, berührte er kurz Alisters Arm um seine Aufmerksamkeit zurück zu gewinnen.
„Bist du wieder cool? Willst du etwa mehr?", neckte der ihn. Kjartan ging gar nicht darauf ein, sondern näherte sich ihm bis ihre Lippen wieder aufeinander lagen. Dieses Mal für längere Zeit.
Es war unglaublich, so unglaublich das Kjartan vergaß, dass ihm das hätte peinlich sein sollen. Immerhin fing keines seiner Körperteile Feuer. Und er küsste Alister!
Als sie sich lösten, schnappten beide nach Luft.
„Hat der Arzt nicht gesagt, du sollst deine Lungen schonen?", fragte Alister.
„Ich glaube, er meinte ich solle nicht singen oder so."
„Das heißt...ich darf nochmal?"
Kjartan nickte, immer noch außer Atem, aber unfassbar glücklich.
Sie küssten sich wieder, diesmal selbstbewusster und inniger. Sie vergasen ihre Umgebung und auch die geöffnete Tür.
„Klopf klopf, ich unterbreche nur ungern.", ertönte plötzlich Kikis Stimme hinter ihnen. Sofort sprangen die beiden Jungen auseinander und sahen sie geschockt und beschämt an.
„Ich habe dich wirklich gern, Alister", stallte Kiki fest, ihre Miene war gelassen, aber ernst, „Und ihr könnt euch meinetwegen so lange und oft küssen wie ihr wollt, überhaupt kein Problem, aber ich habe hier einen Auftrag in Mikaels Namen auszuführen."
Die beiden sahen sie verwirrt an.
„Das bedeutet", sagte sie und fixierte dabei Alister, „Du verschwindest sofort aus seinem Bett oder ich verpfeife euch auf die absolut peinlichste Art, die mir einfällt."
Alister wurde rot, sprang aber sofort auf.
„Ja, Ma'am!"
„Gut", grinste sie, „Ihr seid nämlich noch nicht soweit."

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Habt ihr den Witz entdeckt? Wenn nein, lesst euch noch mal den ersten Teil durch.
Damit ist dieses wunderschöne Buch abgeschloßen. Wie hat es euch gefallen? Habt ihr gelacht, gewint? Einen der Charaktere verflucht? Wenn ihr mindestens ein Mal ja gesagt habt, bin ich stolz auf mich! Ziel ereicht!
Und hier habt ihr es ein letztes Mal für diese Geschichte,

Tilia out!

Das Feuer und Eis in Mir #WordsAward2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt