"Warum muss dieses Haus nur so verdammt gruselig aussehen? Das ist ja wie in einem Horrorfilm und nicht gerade so wie man sich in der Regel einen Ort für arme Kinder vorstellt.", sagte ich erstaunt.
"Hier würde ich auch nicht gerne leben wollen.", stimmte Lockwood mir zu. Ich beobachtete sein Gesicht von der Seite. Es wieß nichts draufhin, dass ihn die Sache irgendwie persönlich mitnahm. Kein Hinweis auf seine Gefühle, die er bei dem Anblick eines solch schaurigen Kinderheimes wohl haben musste. Immerhin waren er und seine Schwester nur knapp einem solchen Ort entkommen. Obwohl es mich brennend interessierte, was in ihm vorging, fragte ich nicht nach. Es war Anthony Lockwood und er redete nun einmal nicht gerne über sich selbst und schon gar nicht über seine Vergangenheit. Normalerweise hätte ich schon ein paar Versuche gemacht mehr herauzufinden, aber jetzt direkt vor einem eventuell übernatürlich gezeichneten Ort wollte ich sein Innerstes nicht unnötig in Wallung bringen.
Das ganze Anwesen hätte offensichtich ein paar Reparaturen nötig gehabt. Viele Stellen waren verfallen und ließen den Anschein zu, dass sie kurz vor einem Zusammenbruch standen. Alles in Allem nicht sehr vertrauenserweckend. Lockwood fummelte wärend ich in die Betrachtung versunken gewesen war in seinen Taschen herum.
"Sag mir jetzt nicht, dass du die Schlüssel vergessen hast?!", stöhnte ich genervt. Mir war ziemlich kalt und die Taschen wurden auch nicht leichter.
"Sie müssen hier irgendwo... Aha! Da sind sie schon." Er zog ziemlich erleichtert aussehend einen altertümlichen Schlüssel aus einer seiner vielen Jackentaschen. Mit eleganter Manier schloss er die Tür auf und bedeutete mir voranzugehen. Ich atmete noch einmal tief durch und straffte die Schultern. Ohne das kleinste Zögern trat ich über die Schwelle. Draußen dämmerte es und das Licht schaffte es kaum die Dunkelheit im Haus zu vertreiben. Meine Augen brauchten einen Augenblick um sich an die Umgebung zu gewöhnen. Ich spürte mehr als dass ich es sah, wie Lockwood hinter mich trat. Seine Anwesenheit beruhigte mich wie immer ein wenig. Mein Herz schlug trotzdem nicht weniger schnell. Wir standen in einem schmalen Flur, der beidseitig Türen hatte. Jede einzelne war verschlossen und aus dunklem Holz. An den Wänden war hellbraune Tapete, die wohl auch schon bessere Zeiten erlebt haben musste. Ich entdeckte viele kleine und auch größere Schutzreste, die wohl mit den Jahren viele Kinderhände darauf hinterlassen haben mussten. So viel zu dem, was mir auf den ersten Blick auffiel. Jetzt zu meinen übernatürlichen Wahrnehmungen. Genaugenommen spürrte ich nichts außer der Kälte, aber auch vor dem Haus war es nicht gerade mollig gewesen und ich hätte nicht behauptet, dass es mich beunruhigte. George hatte ja auch nichts herausgefunden, dass auf übernatürliche Vorkommnisse hindeutete. Natürlich waren Lockwood und ich zu professionell, um nicht trotzdem vorsichtig zu sein.
"Machen wir einen Rundgang bevor wir die Kreise legen?", fragte ich.
"Willst du oben oder unten anfangen?", entgegnete Lockwood.
Ich überlegte kurz, dann sagte ich: "Unten."
"Gut. Lassen wir unsere Sachen hier im Flur stehen."
Es war noch recht früh und selbst wenn es hier Geister geben sollte würden sie sich wohl erst in frühstens einer Stunde zeigen. Ich konnte also großzügig anbieten zuerst eine der vielen Türen zu öffnen. Lockwood grinste nur, als ich es verkündete. Natürlich wusste er genau, dass momentan noch nicht viel Mut dazugehörte, aber er sagte nichts. Ließ mir einfach das Gefühl ihm einen Gefallen zu tun.
Trotz meiner Überzeugung, dass wir in diesem Haus nichts Aufregendes finden würden, schlug mir das Herz bis zum Hals, als ich die Finger nach dem ersten Türgriff ausstreckte. Es musste an dem Ambiente an sich liegen, denn ansonsten spürte und hörte ich nichts, was mich hätte beunruhigen mussen. Normalerweise wäre es Georges Aufgabe gewesen regelmäßig auf die Temperatur zu achten und uns Ungewöhnliches mitzuteilen, aber jetzt guckte ich selbst vorm Betreten des Raumes auf meine Multifuntionsuhr. 10°C. Nicht kälter als draußen. Ich drehte den Türknauf und betrat das kleine Zimmer. Es handelte sich um eine Art Büro oder Empfangszimmer. Ein großer Schreibtisch samt Drehstuhl für die Hausmutter und zwei anderen für Besucher. Des Weiteren konnte ich noch ein altes, nun leeres Regal sehen. Ein einzelnes Fenster. Sonst nichts.
"Okay. Hier gibt es nichts.", sagte Lockwood als er die Temperatur begutachtet hatte. "Lass uns ins nächste Zimmer gehen."
Er berührte sachte meinen Ellbogen, als er an mir vorbei in den Flur hinaustrat. Die nächsten Zimmer waren ebenfalls unauffällig. Eine Küche, Schlafzimmer für die Angestellten, ein Esssaal. Wir standen vor der Treppe nach oben. Mittlerweile war es schon so dunkel, dass ich meine Taschenlampe angeknipst hatte. Direkt neben der Treppe gab es noch eine etwas kleinere Tür. Wir öffneten sie und erblickten eine Treppe, die in undurchdringliches Nichts zu führen schien.
"Warum haben diese unheimlichen Häuser eigentlich immer Keller?", grummelte ich und rückte energisch meinen Waffengurt zurecht.
"Du weißt selbst am besten, dass die schlimmsten Geister nicht zwangsläufig im Keller ihre Quelle haben müssen.", sagte Lockwood aufmunternd.
"Schon klar.", sagte ich und wollte gerade vorangehen, als er mich an der Schulter zurückhielt. Erstaunt sah ich zu ihm auf.
"Was gibts?"
"Wenn du willst kann ich zuerst gehen."
In seiner Stimme war nicht einmal der Hauch von Spott zu hören. Nichts weiter als Sorge. Das überraschte mich, da unser Chef eigentlich so etwas wie Angst nicht zu kennen schien.
"Nein, es geht schon. Wozu hast du mich eingestellt?"
Ich grinste breit. Verfluchter Stolz. Ins Geheim hätte ich ihn nur zu gerne vorgehen lassen. Jetzt konnte ich es auch nicht mehr ändern. Ein wenig wiederstrebend ließ Lockwood mich los und ich machte den ersten Schritt auf den Treppenstufen.
Der Keller war nicht schön, aber auch nicht auffällig. Es gab Räume, in denen wohl mal Vorräte oder Ähnliches aufbewahrt worden waren und weitere, denen aktuell keine bestimmten Funktionen mehr zuzuordnen waren.
"Spürst du was, Luce?", fragte Lockwood.
"Nein, aber sind dir die vielen Spinnweben aufgefallen?"
In der Tat gab es hier sehr viele, was normalerweise auf einen Geisterbefall hindeuten konnte, aber ich nahm weder Maladigkeit noch irgendeine andere von Gespenstern verursachte Beschwerde war.
"Wenn das hier ein ganz normales Reinhaus wäre, dann würde ich mich jetzt ins Wohnzimmer setzten und mit dir Tee trinken, aber hier sieht es so verdammt nach Geistern aus, dass ich einfach keine Ruhe habe.", sagte ich.
"Kann ich gut verstehen, aber im Endeffekt ist es auch einfach nur ein altes Haus."
Ich wusste ja, dass er recht hatte, aber so richtig sicher fühlte ich mich einfach nicht, auch nicht als wir wieder oben im Flur standen.
"Lass uns jetzt noch schnell oben gucken und uns dann überlegen, wo wir unsere Kreise aufbauen.", schlug Lockwood vor und ich nickte zustimmend.
Die Treppe knarrte bei jedem einzelnen Schritt fast ohrenbetäubend laut in dem ansonsten so ruhigen Haus. Ich hielt mich mit der einen Hand am Geländer fest und ließ sie im Hochgehen leicht darüberstreichen. Plötzlich hörte ich Kindergelächter und eine zörnige Stimme, die unverständliche Namen rief. Wie angewurzelt blieb ich stehen und konzentriete mich auf den Nachhall dieser Erinnerung. Lockwood war ebenfalls stehen geblieben. Er brauchte gar nicht erst zu fragen, dafür kannte er meine Gabe schon viel zu gut. Als ich ihn ansah zog er fragend eine Augenbraue hoch. Immer noch schweigend, um mich nicht zu stören.
"Ist schon okay. Es waren nur Kinder, die gelacht haben und eine Erwachsene, die wohl mit ihnen geschimpft hat. Ich glaube nicht, dass es etwas zu bedeuten hat."
"Okay. Sag bescheid, wenn du noch etwas warnimmst."
In den oberen Räumen waren vor Allem Kinderbetten und Waschräume. Es gab einen etwas größeren Saal, in dem noch ein paar alte Spielsachen lagen. Wir entdeckten mehrere Puppen und ein altes Schaukelpferd, dem ein hölzernes Auge fehlte. In der Ecke lagen ein paar Blätter und ich bügte mich, um sie mir genauer ansehen zu können. Es waren bunte Zeichnungen, die wohl von den Kindern gemacht worden waren, kurz bevor die Hausmutter gestorben war. Mir lief ein Schauder bei dem Gedanken über den Rücken. Ich erhob mich langsam und ging zu dem Schauckelpferdchen. Ganz sacht legte ich ihm meine Hand auf den Kopf. Wie ein Stromschlag durchzuckte mich die Erinnerung und ich spannte jeden Muskel im Körper an.
"Los sing mir ein Lied, damit ich schlafen kann."
"Ich möchte nicht. Ich war schon gestern dran."
"Was ist mit Mrs Gordener? Soll sie uns vorsingen."
"Wo ist sie eigentlich?"
"Ich habe sie den ganzen Tag noch nicht gesehen!"
Es waren Kinderstimmen, die das Gespräch führten und mir war natürlich klar, was als nächstes passiert sein musste. Mrs Gordener hatte den Kindern nichts mehr vorsingen können. Es hatte an diesem Abend kein Schlaflied gegeben.
In diesem Moment hörten wir unten die erste Tür knallen.
DU LIEST GERADE
Geisterschimmer
FantasyLockwood & Co haben einen neuen Fall, der sie in ein altes Waisenhaus führt. Spielt nach dem zweiten Buch, hat allerdings nichts mit den weiteren Handlungen in den Folgebänden zu tun. Über eure Meinungen würde ich mich wirklich freuen. Schon mal vie...