"Ich nehme an, dass ich mir das gerade nicht eingebildet habe oder?"
Meine Stimme klang ein wenig schwächlich, wie ich zu meiner Schande zugeben muss.
"George meinte doch er hat nichts gefunden!", brauste Lockwood auf. "Warum knallt die Tür, wenn er nichts gefunden hat. Er findet doch sonst immer alles."
"Lass uns noch einmal überlegen. Was hat George genau gesagt? Vielleicht haben wir etwas überhört."
"Das bringt doch nichts!"
Lockwood sah auf mich herab und lächelte. Da hatten wir es mal wieder! Dieser Mensch konnte einfach nicht wie jeder "Normale" seine Angst zeigen. Nein! Er musste diese Situation wieder einmal genießen. Eigentlich hätte mich das furchtbar aufregen müssen, doch in diesem Moment fand ich es einfach nur tröstlich. Es gab hier anscheinend Geister. Na und? So etwas war immerhin unser Job. Wir würden uns nicht unterkriegen lassen.
"Dann lass uns gehen. Ein paar Kreise werden wir wohl noch auslegen können."
Wir wandten uns zur Treppe. Alles war ruhig. Es schien so als wäre der Knall eben nichts weiter als Einbildung gewesen. Der Lichtstrahl meiner Taschenlampe strich über das Geländer. Ich versuchte noch einmal meine Gabe einzusetzten, aber ich spürte nichts.
"Kannst du irgendwas wahrnehmen?", fragte ich Lockwood in möglichst unbeschwertem Tonfall. Es war nicht ratsam zu viele schlechte Emotionen zu zeigen, wenn eventuell ein Besucher in der Nähe war.
"Nein. Das Haus gibt nichts preis."
"Wie ist unser Plan?"
"Wir gehen zu unseren Taschen und bringen das Nötigste an Waffen in Stellung. Ich frage mich nur warum jetzt schon? Es ist doch noch viel zu früh." Letzteres sagte er mehr zu sich selbst als zu mir. Ich zuckte mich den Schultern, was ihm in der Dunkelheit bestimmt entgangen war. Wir liefen die Treppe hinunter und begannen sofort an Ort und Stelle einen Bannkreis auszulegen.
"Oben und im Keller noch einen?", fragte ich und nahm schon einmal eine der dicken Ketten.
"Ja würde ich auch so sehen. Ich gehe in den Keller."
Das war wieder typisch Lockwood. Immer der liebe Gentleman aus dem Bilderbuch. Doch ich wollte nicht das er in den Keller ging. Dort hatten wir zumindest Spinnenweben gefunden und egal was Lockwood sagte, ich nahm es als klares Indiz für die Quelle. Als ich gerade zum Gegenargumentieren ansetzten wollte, sprang er auf und war schon hinter der Tür zum Keller verschwunden.
Beim Gehen grummelte ich vor mich hin. Dieser Mensch war einfach unglaublich. Er zog Gefahren förmlich an und stürzte sich trotzdem immer wieder in schlimme Situationen hinein.
Ich beschloss den Bannkreis nur wenige Schritte von dem oberen Treppenansatz auszulegen. So hatten wir von jedem Zimmer aus einen guten Zugang. Es dauerte eine halbe Ewigkeit bis ich fertig war, da die schwere Eisenkette rostig geworden war. Genervt runzelte ich die Stirn. Ich musste tatsächlich eine der alten eingepackt haben, und unsere wunderschöne neue mit Silberzusatz verstaubte unbenutzt im Übungskeller. Als ich es endlich geschaffte hatte einen wenigstens halbwegs runden Kreis zu legen, erhob ich mich wieder und sah erwartugsvoll die Treppe hinunter, im Glauben Lockwood zu sehen, der mich amüsiert angrinste. Doch unten stand kein Lockwood.
"Lockwood!", rief ich beim Hinunterlaufen. War er etwa noch im Keller. Obwohl ich so lange gebraucht hatte, um die Kette auszulegen. Die Tür zum Keller war verschlossen und ich riss sie in wachsender Sorge auf. Wieder rief ich Lockwoods Namen. Keine Antwort. Wild entschlossen zog ich meinen Degen und rannte die Treppe hinunter in die Dunkelheit. Mich umfing nichts als Stille.
"Lockwood?", meine Stimme kam mehr wie ein Hauchen aus meinem Mund. "Wo bist du?"
Den Lichtstrahl meiner Taschenlampe ließ ich suchend hin und her rasen. Er fand nichts als die Steinwände und unebenen, erdigen Boden. Ein erneutes Knallen ließ mich zusammenzucken. Es brauchte noch einen Sekundenbruchteil bis ich erkannte, dass es die Kellertür gewesen war. Obwohl sich alles in mir dagegen streubte knipste ich die Taschenlampe aus. Meine Fähigkeiten waren besser in völliger Finsternis.
Wo steckte Lockwood? Mir geisterten hunderte Versionen von verschiedenen Möglichkeiten durch den Kopf. Eine schrecklicher als die andere. Was sollte ich tun, wenn ich ihn nicht fand? Besser nicht daran denken... Es gab definitiv einen Geist hier. Doch warum zeigte er sich nicht? Warum konnte ich ihn nicht wahrnehmen?
"Lockwood!", rief ich erneut. Hinter mir wisperte es. Ohne zu zögern fuhr ich herum. Meine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, aber ich konnte trotzdem nichts erkennen, was die leise Stimme erklärt hatte. Die Haare auf meinen Armen stellten sich auf und mir lief ein kalter Schauder den Rücken hinunter. An meinem Waffengürtel befanden sich mehrere Salz- und Eisenbomben und auch eine mit Magnesiumfeuer. Vor unserer Abfahrt hatte ich ihn mehrfach überprüft, aber jetzt ließ ich meine Hand doch noch einmal jede einzelne Waffe abtasten, um sicherzugehen, dass sie alle da waren. Ganz langsam, Schritt für Schritt nährte ich mich wieder der Treppe. Wo immer Lockwood auch steckte, ich konnte nur sicher sagen, dass unser Geist hier unten bei mir war. Noch einen Schritt mehr. Mein Fuß traf eine so kalte Stelle am Boden, dass ich erschrocken Luft holte. Dann hörte ich ein ersticktes Röcheln. "Lockwood? Lockwood bist du das?", jabste ich erschrocken und knipste meine Taschenlampe an. Sie gab nur ein schwaches Flackern von sich und erlosch dann. Typisch in der Nähe von Manifestationen. Meine Hand berührte sachte eine kalte Steinwand und mich durchzuckte die Erinnerung. Es waren eher Gefühle als tatsächliche Ereignisse. Ich spürte Angst, dann Schmerz und dann wieder eine unglaubliche Furcht. Es handelte sich also um ein Opfer.
"Was ist mit dir passiert?", versuchte ich es möglichst furchtlos. "Ich will dir helfen."
Ein gellender Schrei. Dann stampfende Schritte direkt neben mir. Erschrocken fuhr ich zurück und wünschte mir sehnlicher denn je, dass Lockwood wieder bei mir wäre. "Lass mich dir helfen!", sagte ich noch einmal laut und deutlich. Langsam bildete sich um mich herum leicht schimmernder Nebel. Jetzt ging es also zur Sache. Der Geist hatte genug von dem Versteckspiel. 'Zeig dich nur, dann werfe ich eine Salzbombe nach dir.', dachte ich verzweifelt. Der Nebel verdichtete sich und mir kamen schreckliche Bilder in den Sinn, die sich langsam in niederschmetternde Melancholie zu verwandeln drohten. Ich schüttelte meinen Kopf und versuchte die eisige Kälte aus meinen Gedanken zu verdrängen. Ich musste hier raus. Oben in einem der Kreise könnte ich mir dann einen Plan machen und überlegen, wie ich nach Lockwood suchen sollte. Der Kreis! Hatte Lockwood nicht hier unten einen auslegen wollen? Doch wo war er? Hatte Lockwood es nicht mehr geschafft? Im Dunkeln konnte ich es nicht sagen. Schneller trat ich noch ein paar Schritte zurück und damit näher an die rettende Treppe. Mein Hacken traf die unterste Stufe. Ich konnte nichts hören. Schnell ging ich die ersten drei Stufen hoch. Ein Schrei, Klirren, ein laut brausender Windzug, der mir die Haare aus dem Gesicht wehte. Und dann endlich eine Manifestation. Genaues konnte ich nicht erkennen, nur einen schimmernden Umriss, der auf mich zu kam.
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Geisterschimmer
FantasyLockwood & Co haben einen neuen Fall, der sie in ein altes Waisenhaus führt. Spielt nach dem zweiten Buch, hat allerdings nichts mit den weiteren Handlungen in den Folgebänden zu tun. Über eure Meinungen würde ich mich wirklich freuen. Schon mal vie...