2. Vorlieben

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Adeline

Ich bin müde. Dicke, dunkle Augenringe lassen mein blasses Gesicht noch farbloser erscheinen als es sowieso schon ist. Gähnend greife ich nach der schwarzen Strickmütze, die neben mir auf dem Beifahrersitz liegt und ziehe sie über den Kopf. Ich werfe einen Blick auf die Anzeige meines Autos. Es ist kurz vor sieben. Um neun Uhr muss ich auf der Arbeit sein, jedoch bin ich vorher noch mit meinem besten Freund Ben in einem Café verabredet. Nach dieser langen schlaflosen Nacht kann mich nur noch ein Kaffee aufwecken, so kam es gerade wie gerufen, dass Ben mich vor einer halben Stunde anrief um zu fragen ob wir spontan vor der Arbeit einen Kaffee trinken gehen wollen. Ben ist siebenundzwanzig, ein hoffnungsloser Romantiker und wohnt in einer WG mit seiner Mutter, welche immer noch seine Wäsche faltet.

In meiner Handtasche krame ich nach einem Lippenbalsam, den ich bevor ich losfahre auftrage. Ich hatte es mir vor Jahren mal angewöhnt, und diese Gewohnheit habe ich bis heute beibehalten. Seufzend starte ich mein Auto und drehe sofort die Heizung hoch. Die Scheiben sind von der Kälte ganz beschlagen, sodass ich erst ein paar Minuten warten muss, bevor ich losfahre. Meinen Schal ziehe ich enger um mich herum. Ich bin die Kälte zwar gewohnt, jedoch friere ich einfach viel zu schnell und muss mich deshalb immer einpacken.

Fünf Minuten später mache ich mich auf den Weg. Die Straßen sind leer, der Himmel wolkenverhangen. Vermutlich fängt es gleich auch noch an zu regnen. Normalerweise ist morgens auf meinem Arbeitsweg mehr los als heute, jedoch scheint es so als hätte die Dunkelheit alles um sich verschlungen und nur mich und mein Auto verschont.

Als ich etwas später am Café ankomme, sehe ich Ben schon von weitem, wie er in seinem dicken Wintermantel eingepackt vor seinem Auto steht. Er fährt einen schicken weißen Audi, den ihm seine Mutter damals zum Collegeabschluss schenkte. Ich parke, steige aus und laufe zu ihm rüber. Ein Strahlen geht über sein Gesicht als er mich erblickt. Aufgeregt streicht er sein strohblondes, wirres Haar nach hinten. Egal wie sehr Ben versucht, dieses zu stylen, es bleibt unordentlich, als hätte es ein Eigenleben.

„Adeline!", ruft er freudig, breitet seine Arme aus und zieht mich an sich in eine liebevolle Umarmung. „Wie geht es dir?", fragt er dann und lächelt. Seine bernsteinfarbenen Augen glitzern mich an. „Geht so. Meine Schlafstörungen halten mich wieder wach. Ich bin einfach nur müde." Ich verziehe mein Gesicht. „Außerdem kann ich mich schon gar nicht mehr erinnern wann ich zuletzt mal eine Nacht durchgeschlafen habe. Und weißt du was noch richtig schrecklich ist?" Ich lege meine Hand auf Bens Arm und mache ein trauriges Gesicht. „Meine Zahnpasta ist leer und ich komme ums Einkaufen jetzt nicht mehr herum."

Sofort beginnt Ben zu lachen. Er weiß genau wie sehr ich es hasse einkaufen zu gehen, weshalb ich es immer so lange versuche aufzuschieben wie nur möglich. „Schockiere mich doch nicht immer so.", kommt es schmunzelnd von ihm. „Ich habe wirklich gedacht es sei etwas schlimmes passiert."

Ich schüttele den Kopf und hake mich bei Ben ein.

„Bei mir passieren ständig schlimme Dinge. Aber ich habe gelernt damit umzugehen."

Ben verdreht nur mit einem gespielt genervten Blick die Augen, ehe wir beide uns auf den Weg ins Café machen. Als Ben die Glastür öffnet, kommen mir sofort die Wärme und der Duft von frischem Kaffee entgegen. Wer mich kennt weiß, ich liebe Kaffee. Ich würde schon fast behaupten, er sei mein Lebenselixier.

„Ach, wie ich es hier liebe.", sagt Ben als er sich strahlend im Café umsieht. Im Gegensatz zu Ben, dem Stammkunden, bin ich heute das erste Mal hier. Sonst sind wir entweder morgens direkt in die Stadt einen Kaffee trinken gefahren, oder hatten uns einen an der Tankstelle geholt. Heute morgen hat Ben mich jedoch überredet in sein Lieblingscafé neben seiner Lieblingstankstelle zu fahren. 

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