4. Smaragdgrün

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Adeline

„Wie geht es dir?"

Die Verlorenheit ihrer Seele spiegelt sich in ihren grünen Augen wider, als mich Skylar mit einem leeren Blick betrachtet. Ihr Kopf ist leicht zur Seite geneigt, dabei fallen einige Strähnen ihres Ponys in ihr Gesicht.

Ihre Finger kratzen nervös über einige Schnittstellen auf ihrem Handrücken. Immer wieder, bis es blutet.

Ich beobachte sie eine Weile wortlos, ehe ich ihr ein Taschentuch überreiche und sie es zögernd entgegennimmt.

„Wie soll es mir schon gehen.", murmelt Skylar leise, weicht meinem Blick aus und starrt stattdessen auf die Tischplatte. Ihre Finger drücken das Taschentuch auf die Verletzung.

„Immerhin halten mich alle für eine irre Lügnerin."

„Wieso denkst du, dass dich andere für eine irre Lügnerin halten?", frage ich, worauf sie den Kopf hebt und die Augen verdreht.

„Ach bitte, das wissen Sie genau. Meine gesamte Vergangenheit steht doch in ihrem kleinen Büchlein vor Ihnen. Sie wollen es lediglich noch einmal von mir selbst hören.", kommt es verächtlich von ihr.

„Was ich über dich weiß spielt keine Rolle. Ich möchte, dass du dich mir anvertraust und mir von deiner Vergangenheit erzählst.", entgegne ich und schenke ihrer Verachtung keinerlei Aufmerksamkeit.

Ich finde es Immer wieder faszinierend, wie ich bei meinen Patienten die volle Konzentration und Selbstkontrolle besitze, während ich doch bei normalen, zwischenmenschlichen Interaktionen immer wieder die Beherrschung verliere und mir ausmale wie es ist, meine Rache auszuleben.

„Okay.", kommt es abwertend von Skylar, die mir wutentbrannt in die Augen sieht.

„Mein Bruder wurde gekillt und meine Eltern halten mich für eine Verrückte. Ist es das, was Sie hören wollten, Dr. Larson? Die vermeintliche Lüge um meinen ermordeten Bruder, die ich jedem nur auftische, um Aufmerksamkeit zu bekommen?"

Sie funkelt mich hasserfüllt an, während ich die Wut in ihren Worten erneut bewusst ignoriere.

„Und?", frage ich dann, „Stimmt es denn?"

„Wollen Sie mich eigentlich verarschen?", fährt sie mich an, stößt den Stuhl nach hinten und schlägt mit ihren Fäusten auf den hölzernen Schreibtisch.

„Sie denken ebenfalls, ich sei verrückt, nicht? Sie denken ich würde lügen, nur um Aufmerksamkeit zu erregen und die psychisch instabile Siebzehnjährige zu spielen.", lässt sie ihre aufgestaute Wut an mir aus.

„Aber ich sage Ihnen was, Dr. Larson: Es ist wahr. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie mein Bruder erstochen wurde. Ich musste mit ansehen wie er starb, und konnte nichts weiter tun, als zuzuschauen, wie er verblutete."

Ihre Stimme bricht ab, sie senkt den Blick und starrt auf die Tischplatte, während die Tränen unkontrolliert über ihre Wangen laufen.

Regungslos steht sie dort, völlig leer und emotionslos. Als würde sie nicht mehr mitbekommen, was sich um sie herum abspielt.

„Ich glaube dir.", sage ich schließlich, worauf Skylar langsam den Kopf hebt und aus ihrer Starre erwacht.

Mit dem Ärmel ihres Pullis wischt sie sich die Tränen aus dem Gesicht. „Das sagen Sie nur, weil das Ihr Job ist.", kommt es leise und in einem verächtlichen Tonfall von ihr, als sie sich ihre Ärmel nervös über die Hände zieht.

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